Steuern sind der für eine zivilisierte Gesellschaft zu zahlende Preis.

(Oliver Wendell Holmes)

Die Klimakrise beschleunigt sich. Ein alarmierender Bericht der Weltorganisation für Meteorologie belegt, dass die globalen Klimawandelindikatoren alle Rekorde gebrochen haben, sie teilweise nicht einmal mehr in gängigen Tabellen darzustellen sind. Westafrika verzeichnet Hitzerekorde. Ungebrochene Dürre lässt die chilenischen Trinkwasservorräte versiegen. „Von allen Kontinenten der Welt erwärmt sich Europa am schnellsten. Die Klimarisiken gefährden die Energie- und Ernährungssicherheit, die Ökosysteme, die Infrastruktur, die Wasserressourcen, die Finanzstabilität und die Gesundheit der Menschen in Europa.“ Alles keine Überraschung und lange vorhergesagt. Seit über vierzig Jahren ist ausbuchstabiert, was zur Verlangsamung der Klimakrise geschehen muss, nämlich drei sich ergänzende und gegenseitig verstärkende Innovationen: Der Ausbau erneuerbarer Energiequellen, die Erhöhung der Energieeffizienz und ein reduzierter Energieverbrauch.1

Regierungen betonen gerne die beiden ersten Elemente und ignorieren das Dritte, weshalb sie in einer Falle von Teillösungen stecken, welche nur teilweise funktionieren. Ein zentrales psychologisches – und marktwirtschaftliches – Prinzip wird außer Acht gelassen, nämlich dass Menschen und Unternehmen eher auf Anreize als auf Apelle reagieren. Wenn zwei Euro Pfand für einen Einkaufswagen verlangt werden, kommen alle wie von Zauberhand zum Ausgangspunkt zurück; wenn nicht, verunstalten sie rostend die Landschaft. Genauso ist es mit Energie, die vergeudet wird wenn der Verkaufspreis weit unter dem tatsächlichen Wert liegt. Zu billige Energie hat eine perverse Steuerungswirkung, sichtbar zum Beispiel an den Lampen, die immer brennen, an den Ladentüren, die trotz Heizung oder Kühlung sperrangelweit offenstehen, an den dreitonnigen SUVs, die einen 70 kg Menschen zum Abholen einer 1 kg Pizza um die Ecke fahren und an den €65 Wochenendflügen nach Antalya oder Athen, Lissabon oder London, Palma oder Paris. In Deutschland wird der Marktpreis für fossile Energie durch drei staatliche Eingriffe verfälscht, d.h. künstlich verbilligt, nämlich:

  • durch das süße Gift der Subventionen von jährlich ca. €70 Milliarden, von denen die private Dienstwagennutzung mit rund €3 Milliarden zu Buche schlägt, die Steuervergünstigungen für Dieselmotoren mit rund €8 Milliarden,
  • weil der erhobene CO2 Preis von €45 pro Tonne weit unter den entstehenden Folgeschäden von €195 und €680 pro Tonne liegt; und
  • weil die Systemkosten der Energiewende von der Regierung noch nicht veröffentlicht wurden und deshalb die Budgetierung von €460 Milliarden für den Ausbau der Stromnetze bis 2045 aussteht. Niedrige Energie und CO₂-Preise kommen zwar hauptsächlich den Wohlhabenden zugute, sind aber allgemein beliebt. Konsumenten und Produzenten, Landwirte und Fluglinien, Hotelbesitzer und Feriengäste betrachten sie als Gewohnheitsrecht und sind dem Argument unzugänglich, dass sie die Einführung erneuerbarer Energiequellen verhindern, Effizienzsteigerungen verzögern und den sorgsamen Umgang mit einem wertvollen Gut verhindern.

Billige Energie ist darüber hinaus auch ein gewaltiges Gerechtigkeitsproblem, weil die wahren Kosten nicht von den Nutznießern bezahlt werden, sondern von anderen, die kein Mitspracherecht haben, insbesondere von Armen, von der Natur, von Menschen im globalen Süden und von nachfolgenden Generationen. Wegen dieser Auslagerung von Kosten – in der Volkswirtschaft ist der Fachausdruck Externalisierung gebräuchlich – ist die Erderhitzung eine Frage der Gerechtigkeit, also in erster Linie ein ethisches und politisches Problem, und erst nachrangig eine wissenschaftliche, technische oder finanzielle Angelegenheit.

Am Zustand der Bundesbahn, der Bundeswehr und der Bundesregierung kann man ablesen, dass Deutschland mit seinem privaten Wohlstand und seiner öffentlichen Armut sowie mit seiner höchst ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen auf dem falschen Weg ist. Die Menschen spüren es wenn ihnen ein X für ein U vorgemacht wird, und dass es nicht stimmen kann, wenn eine Kanzlerin ihre Politik für alternativlos erklärt oder wenn ein Kanzler versichert, dass sich nichts ändern wird oder muss. Selbst nicht nach Corona, trotz und während des russischen Angriffs auf die Ukraine, angesichts der sich beschleunigenden Klimakrise und ungeachtet des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, welches der Regierung €60 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen strich.

Ändern wird sich aber viel müssen. Sollte das Erreichen der Klimaschutzziele nicht zu ambitionierteren Bemühungen führen, werden die zukünftigen Generationen mit der Klimakatastrophe sehr wohl alleingelassen. Sogar der Wirtschaftsstandort Deutschland ist gefährdet, wie der Präsident des Bundesrechnungshofs anlässlich der Veröffentlichung eines offiziellen Sonderberichts feststellte. Dass Änderungen möglich sind und wie kluge sowie faire Politik die Klimakatastrophe abwenden kann, ist Thema des eben erschienenen, überaus lesenswerten Buches Steuer-Revolution!, ein ausgezeichneter Wegweiser durch eine komplexe Materie, nämlich der finanziellen Grundlage eines vernünftigen Staatswesens.2

Der Zusammenhang zwischen Steuern, Gerechtigkeit und Klima wird einleuchtend und historisch fundiert erklärt. Die sachliche und faktenbasierte Analyse hebt sich wohltuend von der ermatteten Indifferenz oder vom Kulturkampf Gezeter ab, welche für die Diskussion von Klimapolitik typisch geworden sind. Weil die Erderhitzung ein existentielles Problem ist, kann der Kampf nur gewonnen werden wenn die Gefahr als solche erkannt und entsprechend gehandelt wird. Und wenn Verrücktheiten abgestellt werden, zum Beispiel, dass es in Deutschland mehr Parkwächter als Steuerprüfer gibt. Steuern haben im Deutschen die Doppelbedeutung von lenken und von finanzieren, also von der Verhaltensbeeinflussung von Menschen und Betrieben einerseits und von der Finanzierung öffentlicher Aufgaben andererseits. Steuern sind ein wichtiges staatliches Instrument zur gerechten Verteilung von Verantwortung, welches in den letzten Jahrzehnten sträflich vernachlässigt oder, besser, von Partialinteressen gekapert wurden.

Margaret Thatcher senkte in Großbritannien die Spitzenbelastung von Einkommen von 83 auf 40 Prozent, Präsident Reagan in den USA auf 25 Prozent. Unter Präsident Kennedy, als die USA einen enormen Wirtschaftsaufschwung erlebten, lag er noch bei 91 Prozent. In Deutschland wurde die Körperschaftssteuer von der CDU/SPD Regierung im Jahr 2008 von 51 auf 15 Prozent reduziert und der Einkommensteuerspitzensatz von der SPD/Grünen Regierung zwischen 1998 und 2005 von 56 auf 45 Prozent.

„Der Anteil von Steuern und Abgaben von ihrem Einkommen liegt heute für Einkommensmillionäre nicht einmal halb so hoch wie für Normalverdiener.“ Milliardäre zahlen in Deutschland zum Teil Steuersätze von unter einem Prozent, während eine Geringverdienerin die Hälfte ihre Verdienstes für Steuern und Sozialabgaben berappt. Die vier reichsten Familien besitzen so viel Vermögen wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. „Millionenschwere Firmenerben zahlen oft weniger Steuern als Kinder, die das Haus ihrer Eltern erben.“ Dieser Tage war zu lesen, dass der Mercedes Benz Vorstandsvorsitzende, Ola Källenius, im vergangenen Jahr €12,74 Millionen bekam, ein Gehaltssprung im Vergleich zum Jahr davor von rund 80 Prozent, und dass die Deutsche Bank, bei der es mehr als 500 Einkommensmillionäre und Einkommensmillionärinnen gibt, für 2023 wieder Boni von €2 Milliarden ausschüttet. Deutschland ist kein Ausleger, sondern liegt im internationalen Trend.

In den USA ist die Entlohnung von Top Managern im letzten halben Jahrhundert um 1.500 Prozent gestiegen, sodass sie nun 400 mal so viel bekommen wie ein durchschnittlicher Arbeiter, dessen monatliches Einkommen heute – trotz des ungeheuren Produktivitätsfortschritts – $200 weniger ist als vor fünfzig Jahren. Die Manager der wichtigsten Konzerne bezogen in den letzten Jahren mehr an Gehalt als diese Konzerne an Steuern zahlten. Die 54 untersuchten Konzerne verbuchten von 2018 bis 2022 Profite in Höhe von $757 Milliarden, zahlten aber nur 2,8 Prozent an Steuern – der normale Satz wäre 21 Prozent gewesen – während sie an ihre Manager $15 Milliarden ausschütteten. Eine Anhebung des Steuersatzes von 21 auf 28 Prozent, also noch weit unter den 35 Prozent der unter der Regierung Obama erhobenen, würde in zehn Jahren Staatseinnahmen von $1.300 Milliarden generieren.

Hentschel und Eibl vermeiden die sterile Kapitalismusdebatte und fragen stattdessen, wie viel Ungleichheit und Armut mit einer reichen Demokratie verträglich sind, wie Zukunftsinvestitionen finanziert werden können und was das Steuersystem zu einer sozialen und nachhaltigen Gesellschaft beitragen kann. Sie führen aus, dass auch in kapitalistischen Staaten – die Geschichte hat es gezeigt – Ungleichheit durch beherzte staatliche Eingriffe abgebaut werden kann. Dafür plädieren sie im Interesse der Gerechtigkeit, des sozialen Zusammenhalts und der ökologischen Transformation. Sie fassen ihr Buch in zehn Thesen zusammen, zum Beispiel:

  • Nettoeinkommen werden auf das Hundertfache des Mindestlohns begrenzt.
  • Vermögen über dem Tausendfachen des jährlichen Mindestlohneinkommens wird sukzessive auf diesen Betrag reduziert.
  • Es gilt das Verursacherprinzip: Alle, die öffentliche Güter benutzen, Rohstoffe der Natur entnehmen oder Schäden verursachen, müssen so hoch belastet werden, dass damit die Folgekosten für die Gemeinschaft und die Natur ausgeglichen werden können.

Eine faire Verteilung von Lasten und Verantwortung wird auch vom Deutschen Ethikrat eindringlich gefordert. Sie ist nicht nur moralisch geboten, sondern wäre ein kluger Zug, weil zwar nicht alle leistungsfähigen Gesellschaften fair sind, aber alle fairen Gesellschaften leistungsfähig. Ungerechtigkeit ist ineffizient. Sie verhindert die Entfaltung der menschlichen Kreativität, vergröbert den politischen Diskurs, blockiert Zukunftsinvestitionen und vergeudet Ressourcen. Vor allem aber widerspricht Ungerechtigkeit dem Urversprechen der Demokratie, nämlich dass es in öffentlichen Angelegenheiten anständig, vernünftig und gerecht zugeht.

Anmerkungen

1 Florentin Krause, Hartmut Bossel, Karl-Friedrich Müller-Reißmann, Energie Wende. Wachstum und Wohlstand ohne Erdöl und Uran (Frankfurt, S. Fischer-Verlag, 1980); Florentin Krause, „Energieversorgung der Bundesrepublik ohne Kernenergie und Erdöl,“ Öko Institut, Oktober 1982.
2 Karl-Martin Hentschel und Alfred Eibl, Steuer-Revolution! Ein Konzept zur Rückverteilung von Reichtum, zu mehr Gerechtigkeit und Klimaschutz (Hamburg, VSA Verlag, 2024; ISBN 978-3-96488-201-1).