Was Mode betrifft ist Paris eine Trendsetterin. Doch der andernorts schon länger lancierte Trend der Craft-Biere hat in der französischen Kapitale erst spät Fuss gefasst. Mieux vaut tard que jamais –besser spät als nie. Gastronomie hat in Frankreich einen hohen Stellenwert. Gut 400 verschiedene Käsesorten und international anerkannte Weine sind nur zwei von unzähligen Beispielen. Trotz der Berühmtheit französischer Weine sieht man in Frankreich immer mehr Menschen Bier trinken.

Beaujolais, Bordeaux und Bourgogne sind Schnee von gestern. Demory, Gallia oder Goutte d’Or sind die Namen, die man sich merken muss. In Frankreich hat sich ein neuer Trend zusammengebraut – Biertrinken ist hip. Während sich in den letzten Jahren fast ausschliesslich 1664, Leffe oder Heineken in den Gläsern befand, findet man heute immer mehr Biere von unabhängigen Kleinbrauereien.

Seit 1985 sind solche kleine Qualitätsbrauereinen im Aufschwung, heute zählt man 450 Brasseurs Artisanaux in Frankreich, während der Konsum von Wein und Bier internationaler Grossfabrikanten abnimmt. Einer der Bierexperten Frankreichs ist Hervé Marziou. Er war es, der die Begriffen Biérologie und Biérologue erfunden hat. Der schlanke, perfekt gekämmte und in Anzug mit Fliege gekleidete französische Monsieur war der erste Biérologue – Biersommelier – Frankreichs. Die Biérologie beschäftigt sich mit der professionellen Bierdegustation, die alle fünf Sinne involviert. Der Hörsinn wird beim Öffnen der Flasche und beim Einschenken des Biers aktiviert, der Sehsinn prüft die verschiedenen Farbnuancen des Getränks, der Geruchssinn nimmt Aromen von floral, fruchtig zu würzig oder holzig wahr, der Tastsinn überprüft die Dichte und Grösse der Bläschen und der Geschmackssinn bestimmt dann die Geschmäcker des Bieres. Nebst diesen Analysen beschäftigt sich die Biérlogie auch mit Kombinationsmöglichkeiten von Bier mit Essen.

Woher kommen diese verschiedenen Charakteristiken des Bieres? Welches Bier passt zu welchem Essen? Darüber hat der von Passion überschäumende Hervé Marziou in einer zweistündigen Konferenz Bescheid gegeben. Vom Gesetzesstandpunkt her muss ein Getränk Wasser, Getreide und Hefe enthalten, um Bier genannt zu werden. Zu diesen drei Grundzutaten kommen oft noch Hopfen oder andere aromatische Pflanzen und zugefügte Aromen. Bier besteht zu 95% aus Wasser, das wegen diesem hohen Anteil von bester Qualität sein muss. Die Getreidekörner, meist wird Gerste verwendet, (aber auch andere Getreide oder sogar Wurzelgemüse ergeben hervorragende Biere), werden in Wasser zur Keimung gebracht. Sobald diese einsetzt, wird sie mit einem Strom heisser Luft gestoppt und die Körner werden so getrocknet. Der Malzgrad bestimmt die Farbe des Biers, es gibt 70 Stufen der Mälzung, von bleich (pale) bis schwarz (noire). Single Malt Biere beinhalten nur eine Malzart, oft werden aber auch Mischungen gemacht.

In der Folge fermentiert die Hefe den Zucker aus dem Malz in Alkohol und Kohlenstoffdioxid. Bei obergärigen Bieren findet dieser Prozess bei Temperaturen von 15-30°C statt, bei untergärigen Bieren von 5-10°C. Erst mit der Erfindung der industriellen Kühlung Mitte des 19. Jahrhunderts konnten untergärige Biere im grossen Stil hergestellt werden. Die untergärigen Biere sind leichter und trockener, während obergärige Biere fruchtiger und voller sind. Eine dritte Fermentationsart sind spontangärige Biere, hierzu werden keine Hefen hinzugefügt. Stattdessen werden frei in der Luft fliegende Hefesporen genutzt, um die Fermentation in Gang zu setzten. Dies ist die älteste Gärungsart und gibt würzige, säuerliche Biere. Hopfen ist für den Geschmack wichtig – er gibt dem Getränk den charakteristischen Bitterton und macht es aromatisch. Um dem Bier spezielle Aromen zu geben, können weitere Kräuter, Fruchtsäfte oder Gewürze zugefügt werden.

Mit so wenigen Zutaten werden unendlich viele Biere gebraut. Wir haben ein spontan fermentiertes, sehr süsses Bier degustiert (Gueuze Mort Subite). Zu diesem Bier haben wir eine Essiggurke gegessen. Die Säure der Gurke balanciert die Süsse des Bieres. Auch etwas salziges wie geräucherter Lachs passte hervorragend dazu. Das Bière Blonde Parisis hatte beim Riechen extrem starke Passionsfruchtaromen, war dann beim Trinken jedoch überraschend bitter. Passt hervorragend zu einem Hartkäse wie Comté. Das dritte Bier, das Hervé Marziou zur Degustation einschenkte, war ein obergäriges Trappiste Chimay Rouge. Das trübe und dunkle, honig-kastanienbraune Bier begleitete einen feuchten Schokoladenkuchen perfekt.

Der Biérologue mag die Frage ‚Wein oder Bier’ nicht. Beide Getränke sind wunderbar, meint er. Mal passe Wein besser, mal Bier. Auf jeden Fall sollte nie zu viel Bier eingeschenkt werden. Hervé Marziou betont, Bier und andere alkoholische Getränke solle man degustieren und nicht in grossen Mengen trinken. Auch sei es interessant, ein mit Wein begleitetes Dinner mit einem Bier und einer Zigarre zu beenden, meint der Experte genussvoll lächelnd.