Frank Bauers Gesamtwerk entsteht und entwickelt sich in engster Verbindung mit dem großen Interesse des Künstlers an der Fotografie, was sich in mehr als der Hälfte seines Bücherbestandes widerspiegelt. Die erste Kamera bekam er von seinem Großvater zur Kommunion geschenkt – einem Eisenbahningenieur, Schöngeist und Hobbyfotografen, der einen entscheidenden Einfluss auf den Künstler ausübte. Später sollte Bauer dessen Dunkelkammerausrüstung und in jüngster Zeit auch den verbliebenen Teil seines Archives erben. (Wie wichtig dieses Erbe für den Maler ist, deutet das Zeichendreieck an, das einmal dem Großvater gehörte und nun – vielleicht als eine Art Talisman – in seinem Atelier hängt.) Die Arbeiten des Großvaters haben mittlerweile einen Platz neben dem eigenen, umfangreichen Archiv des Künstlers eingenommen: Tausende von Fotografien, die er in den letzten dreißig Jahren aufgenommen hat und auf seiner Suche nach geeigneten Motiven regelmäßig durchstöbert. Eine solche Durchsicht konfrontiert Bauer mit der eigenen Vergangenheit, sie ist zugleich aber auch immer wieder eine neue Herausforderung an seine malerischen Fähigkeiten – und damit sowohl eine emotionale als auch künstlerische Rückkehr zu den eigenen Grundlagen: „Back to basics“. Das Archiv selbst kann als eine Art Wunderbox betrachtet werden, von der ausgehend die malerische Transformation ihren Anfang nimmt. Bauers Verwendung eines Episkops zur Übertragung von Bildern auf die Leinwand stellt ihn dabei in eine bedeutende Traditionslinie: Von zwei seiner Lieblingsmaler, Vermeer und Caravaggio, vermutet man, dass sie die Camera obscura für ihre Zwecke nutzten; solch virtuose Maler wie Canaletto und Sir Joshua Reynolds taten es ihnen gleich. (Leonardo da Vinci prognostizierte, dass mit dieser Art optischen Geräten geschaffene Bilder irgendwann wie „auf Papier gemalt erscheinen“.) Die Erfindung der Fotografie erweiterte die vorhandenen Möglichkeiten dramatisch, jedoch stritten zahlreiche Maler ihren eigenen Einsatz von Fotografie als visuelles Hilfsmittel rigoros ab. Bauer hingegen zelebriert sie: Tatsächlich sind es keine Gemälde von Personen oder Szenen, die er unter Zuhilfenahme von Fotografien schafft – vielmehr sind es die Fotografien selbst, die das Sujet bilden.

Wie Bauer im folgenden Text, „Einige Gedanken zur Technik“, anmerkt, bediente er sich im Laufe der Jahre verschiedener Arten von Kameras, „von Handys mit niedriger Auflösung bis zu hochwertigen Rollfilmkameras“, doch nahm er die meisten seiner Fotos mit einer Schlitzverschlusskamera auf, der Nikon FE2. Dabei ist der Künstler nie darauf aus, einen perfekten Moment einzufangen oder eine technisch einwandfreie Fotografie zu produzieren. Unvollkommene Exemplare, oft verschwommen, manchmal über- oder unterbelichtet, stellen eine weitaus interessantere Herausforderung an die handwerklichen Fähigkeiten des Künstlers dar. Eine Bauer-Fotografie bezieht ihre Stärke und Authentizität nicht allein aus ihrer Genauigkeit in der Reproduktion, sondern gerade auch aus ihrer Nonchalance. In diesem Sinne steht sie in der Tradition des Schnappschusses, der dank des Engagements von John Sarkowski, einem ehemaligen Kurator, der von 1962 bis 1991 im New Yorker Museum of Modern Art tätig war, zu einem anerkannten ästhetischen Medium avancierte. Fasziniert von der Allgegenwart, Vielfalt und Spontaneität der Arbeiten von Künstler/innen wie Nan Goldin und Wolfgang Tillmans, lenkte Sarkowski die Aufmerksamkeit auf ein neuartiges Interesse an unmanipulierten Blicken auf die alltägliche Realität. Wie in Frank Bauers Fotografien ist es nicht das Ikonische, das hier fixiert wird, sondern das Alltägliche – oder sogar Zufällige. Anstatt gewöhnliche Gegenstände auf einen Sockel zu heben, werden sie domestiziert, entmystifiziert. Das erste Stillleben, das einen entscheidenden Wendepunkt in Bauers Werk darstellte, war die Studie seines eigenen Frühstückstisches – ein Motiv, auf das er immer wieder zurückgekommen ist und kürzlich in einer Serie von zwölf bemerkenswerten kleinformatigen Gemälden resultierte. Selbst wenn eine formalere Studie eines Freundes oder einer Freundin die Grundlage für eine Arbeit bildet, scheint dem oder der Porträtierten nicht bewusst zu sein, dass er oder sie fotografiert wird. Bauers Bilder aus der Serie Momente reichen von relativ statischen, anonymen Massen in der Abflughalle eines Flughafens bis zu ekstatischen, doch ebenso anonymen Massen auf einem Rockkonzert. Zudem sind da die ziemlich mitgenommenen Partymenschen – oder schlicht die Folgen einer Party: Entleerte Austernschalen in Spüle (mit Austern) (2012), leere Bierflaschen in Astra (2012) sowie ein helles Wirrwarr von Kippen und Süßigkeiten (2013). Die Artefakte auf diesen Bildern sind die stummen Zeugen vergangener Freuden. Die „Porträts“ von Tischen, an denen Geburtstage gefeiert worden sind, präsentieren selten ein festliches Arrangement oder lärmende Gäste, sondern das, was man für „die Überbleibsel des Tages“ – oder der Nacht – halten könnte.

Auch in den Frühstückstisch-Studien ist nicht der gerichtete und unserer Zusammenkunft harrende Tisch das Thema, sondern das zufällige Ambiente eines gerade abgeschlossenen Essens. In einer Serie aus einem Dutzend im Jahre 2014 vollendeter Frühstücksbilder besteht das Motiv in dem tagtäglich fotografierten Tisch des Künstlers selbst. Alles in allem ergeben diese Tischlandschaften folglich eine Art Autobiografie. Sie sind so etwas wie melancholische Frühstückssonnette, oder, vielleicht besser noch, ein Repertoiretheater, dessen Hauptakteure wir zu identifizieren beginnen: Einen Pfefferstreuer etwa, ein Edelstahlmesser, Gurkenscheiben oder eine Schachtel Philadelphia- Frischkäse. In anderen Szenarien, wie in Stillleben (Rom 1) (2011) oder Stillleben (Rom) (2012) und Frühstück (auf dem Balkon) (2014), spielen robuste, achtkantig facettierte Libbey-Gläser eine Hauptrolle. Diese ursprünglich aus Toledo, Ohio, stammenden Gläser fanden einen weiteren Fürsprecher in Roy Lichtenstein – was wiederum die Frage aufwirft, inwiefern sich Frank Bauers Darstellungen herkömmlicher Konsumgüter von den Wollknäueln, Hotdogs und Coca-Cola-Flaschen unterscheiden, die US-amerikanische Pop-Art-Künstler zelebrierten. Zunächst einmal verfolgten die Amerikaner eine Technik, die Lichtenstein „islanding“ („Verinselung“) nannte: einen Gegenstand im Zentrum einer Bildfläche schweben zu lassen – was ihm einen ikonischen Status zu verleihen schien. Zum Zweiten abstrahierten sie das Original so stark, dass es an ein Logo erinnerte, und gebrauchten Benday-Dots (Lichtenstein) oder Siebdrucke (Warhol), um die Allgegenwart des gedruckten Bildes herauszustellen. Bei Warhols Campbell-Suppendosen oder Coca-Cola-Flaschen wurden die Quellen aus ihrem Kontext entfernt, um ihre „Universalität“ zu betonen. Demgegenüber steht Frank Bauers schimmernde Gerolsteiner-Wasserflasche in Hotelzimmer (mit Wasserflasche) auf einem erkennbaren Tisch vor einem erkennbaren Vorhang, die an anderer Stelle abgebildeten Astra- oder Beck’s-Flaschen sind leer, die Bierdeckel überall verstreut. All diese Artefakte sind kontextualisiert, nie „verinselt“.

Formal haben Bauers Gemälde sicherlich weitaus mehr mit Fotorealismus als mit Popästhetik gemeinsam. Auch als Erwiderung auf den gestischen Exzess des Abstrakten Expressionismus verherrlichte diese neue Bewegung banale amerikanische Motive wie Imbisse, Wohnwagen, Shops und chrombeladene Automobile. Der erste bedeutende Verfechter des Fotorealismus, der Autor und Galerist Louis K. Meisel, nannte einmal drei notwendige Vorausetzungen, um Teil dieser Bewegung zu sein: „1. Der Foto-Realist gebraucht die Kamera und die Fotografie, um Informationen zu sammeln. 2. Der Foto-Realist gebraucht ein mechanisches oder halbmechanisches Instrument, um die Informationen auf die Leinwand zu übertragen. 3. Der Foto-Realist muss die Fertigkeit besitzen, das abgeschlossene Werk fotografisch erscheinen zu lassen.“ Frank Bauer erfüllt diese Kriterien offensichtlich mit Bravour, seine Verwendung eines Episkops zur Übertragung des fotografierten Bildes auf die Leinwand inbegriffen. Und dennoch unterscheidet sich seine Formensprache substanziell von der seiner amerikanischen Kollegen. Emotional oft kühl und in „sachlicher“ Distanz zum Motiv, teilt der Fotorealismus mit der Pop-Art gleichwohl eine „Verinselungstendenz“. Das Resultat ist aufs Neue ikonisch, wie in Ralph Goings’ Pick-up Truck Studien oder seinem Airstream (1970), das einen gerundeten, aluminiumverkleideten Trailer in einen gleißenden Tempel auf Rädern verwandelt. (Erwartungsgemäß ist dieser mit mathematischer Genauigkeit im Zentrum der Bildfläche positioniert.)

Goings’ Stillleben, zum Beispiel Two Shakers Close-up (1991) oder Relish (1994), mögen auf den ersten Blick wie Vorläufer zu Bauers eigenen beeindruckenden Leistungen innerhalb dieses Genres wirken – doch bestehen gravierende Unterschiede. Während der Amerikaner einen Salz- und einen Pfefferstreuer – wie den Durchgang zu einem futuristischen Königreich – mit Sorgfalt als funkelnde Türme komponiert, greift Bauer ein solches Zubehör lediglich auf, wie er es auf einem echten Tisch vorfindet, der gerade von einer echten Person besetzt gewesen ist. Damit haben Bauers Gemälde eine enge Affinität zu den Tableaux Pièges (Fallenbildern) Daniel Spoerris, deren Methode dieser wie folgt beschreibt: „Gegenstände, die in zufälligen, unordentlichen oder ordentlichen Situationen gefunden werden, werden in genau der Situation, in der sie gefunden werden, auf ihrer zufälligen Unterlage (Tisch, Schachtel, Schublade usw.) befestigt. Verändert wird nur ihre Ebene: indem das Resultat zum Bild erklärt wird, wird Horizontales vertikal.“ Das erste dieser Werke, das mittlerweile Teil der permanenten Sammlung des New Yorker Museum of Modern Art ist, schuf Spoerri aus den Frühstücksresten seiner Freundin. Spoerri, der sich für das Thema Essen und Kunst begeisterte, eröffnete 1968 sein eigenes Restaurant in Düsseldorf und erweiterte es später um die Eat Art Gallery. Das Restaurant wurde zu einem Lieblingstreffpunkt für Studenten und Professoren der nahe gelegenen Düsseldorfer Kunstakademie, an der Frank Bauer von 1985 bis 1993 studierte und zum Meisterschüler von Gerhard Richter wurde. Im Geiste haben Bauers Tischlandschaften, ganz persönlich und glücklicherweise, mehr mit Spoerris Experimenten gemeinsam als mit Goings’ oder Richard Estes’ blitzsauberen, polierten, doch dabei leblosen Kompositionen. Letzterer merkte einmal an, dass die Stimmung, die er erzeugen wolle, diejenige von „müßigen und stillen Sonntagmorgen“ sei. Ob bewusst oder unbewusst lässt Estes hiermit auf eine Verbindung zu Edward Hopper schließen, dessen Early Sunday Morning (1930) zur Herausbildung einer neuen Gattung urbaner Malerei beitrug. Seine Darstellungen einer alleine dasitzenden Frau in Automat (1927) oder einer vor sich hinträumenden Platzanweiserin in New York Movie (1939) lassen die Einsamkeit sichtbar werden, die Großtadtbewohner häufig überkommt. Im Geiste ist Bauers Ansatz Hoppers wehmütigen, melancholischen Szenarien um einiges näher als denjenigen der Fotorealisten.

So ist die Darstellung des deutschen Künstlers von zwei Personen in Hotelzimmer (2008) verblüffend hopperesk, auch was die Verteilung der Figuren auf unterschiedliche Flächen der Komposition betrifft. Die Stimmung gleicht der in Hoppers eigenem Hotel Room (1931) sowie zahlloser anderer Werke des Amerikaners, in denen das Individuum in einem klaustrophobischen Raum isoliert ist oder, im Falle von Paaren, die Gestalten merkwürdig abgetrennt voneinander wirken. Viele von Bauers Werken durchzieht ein sonderbares, düsteres Gefühl des Unheimlichen – besonders auffällig in Nächtlicher Garten (2010), doch selbst die Geburtstags-Stillleben von 2010 und 2013 erwecken den Anschein, als bergen sie dunkle Geheimnisse.

Obwohl sich Bauer seiner Nähe zu Edward Hopper bewusst ist, war es der italienische Maler Giorgio Morandi, der ihm als Spiritus Rector diente, als er mit seinen Stillleben begann. Er war tief von Morandis Stringenz beeindruckt, den feinen Tonabstufungen, seiner ausgewogenen Komposition. Doch gab es auch andere Bezüge. Bauer selbst erinnert sich noch lebhaft an einen Höhepunkt seiner umherziehenden Kindheit: Gemeinsam mit seinen Eltern besuchte er die Pinakothek in München und sah dort erstmals Werke von Dürer und Cranach. Später wurde Caravaggio sein Hauptbezugspunkt, neben einem buntgemischten künstlerischen Kontingent, zu dem Vermeer, Manet, Alex Katz, Balthus und die Minimalistin Agnes Martin zählten. „Ich trage diese Bilder mit mir im Kopf herum“, erklärt Bauer. „Agnes Martin hat einmal gesagt, dass man nur Kunst machen könne, wenn der Kopf leer sei. Das trifft auf mich nicht ganz zu, da ich an andere Maler denke. Aber ich möchte mich nicht in Manierismen nach der Art Alter Meister verlieren. Im Grunde geht es vielleicht um Selbstzweifel. Gerhard Richter sagte einmal: ‚Maler wird es immer geben.‘ Das ist eine ernüchternde Vorstellung, aber kein Grund, alles infrage zu stellen.“ Und doch ist Bauer ein wissbegieriger Handwerker, der sich immer wieder neuen Herausforderungen stellt und neue Wirkungen erkundet. Seine außergewöhnliche Fähigkeit, reflektiertes wie gebrochenes Licht zu verbildlichen, verleiht vielen Kompositionen einen geisterhaften – nahezu surrealistischen – Ausdruck. Auch die Farbe befindet sich häufig im Spannungsfeld zwischen Repräsentation und Abstraktion. „Ich richte mich immer nach der Realität“, betont Bauer, „vieles hängt aber davon ab, wie ich diese Realität interpretiere. Ich kann zum Beispiel durch die Farbwahl Einfluss auf meine Bilder ausüben.“ So verbreiten die das Hotelstillleben (in Gelb) (2008) durchflutenden Pastelltöne einen Hauch von Zauber und Entrücktheit, während der plastisch blaue Schwamm im Zentrum von Spüle (mit Austern) (2012) die Komposition wirkungsvoll akzentuiert.

Die vorliegende Monografie erkundet Bauers Verdienste der vergangenen zehn Jahre innerhalb der traditionellen Genres Stillleben, Porträt- und Landschaftsmalerei. Dabei ist ein eigenes Kapitel der Darstellung von Menschenmengen gewidmet – insbesondere den charakteristischen Massenaufläufen enthusiastischer Konzertbesucher, die die Grenzen des Bildes beinahe zu sprengen und aus ihnen herauszudrängen scheinen. Solch Breughel-artige Szenen offenbaren Bauers Vermögen, die wahre Beziehung zwischen Fotografie und Malerei zu erfassen. Obwohl Künstlern die Fotografie lange schon als eine Art Gedächtnisstütze dient, bestand die tatsächliche Wahrnehmungsrevolution im Wandel ihres handwerklichen wie auch philosophischen Ansatzes. Die Demokratisierung des Mediums, die von Kodak durch die Einführung der 1-Dollar-„Brownie“-Kamera im Jahre 1900 auf den Weg gebracht worden war, hatte zur Folge, dass Fotografien nicht mehr nur Dokumente der realen Welt darstellen, sondern zunehmend selbst einen gegenwärtigen Teil dieser Welt bilden. Solcherart sind die beredten Artefakte, die Frank Bauer als Motive dienen.

David Galloway

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Abbildungen
  1. Frank Bauer, Stromboli, Öl auf Leinwand, 2013, 150 x 200 cm
  2. Frank Bauer, Mareike, Öl auf Leinwand, 2014, 110 x 170 cm
  3. Frank Bauer,Flughafen Frankfurt, Öl auf Leinwand,2013, 110 x 220 cm (detail)
  4. Frank Bauer, Frühstück 06, Öl auf Leinwand, 50 x 70 cm, 2014
  5. Frank Bauer, Sylvester, Öl auf Leinwand, 2014, 200 x 300 cm
  6. Frank Bauer, Frühstück (auf-dem-Balkon), Öl auf Leinwand, 2014, 150 x 200 cm