Ein Gespräch mit Ursula Döbereiner

Ich erinnere mich an Figuren und Architektur, die aus Linien, einer Zeichnung bestehen, ein Stillleben von verlassenen Räumen, das Erinnern an Werbetafeln und an Orte, die mir nichts bedeuten, die ich aber den-noch erinnere. Ist das Erinnern für dich ein Werkzeug?

Eigentlich ist es mehr die Vorstellung von Etwas. Also nicht so sehr Erinnern im Sinne von an etwas denken, das vorbei ist, sondern mehr sich etwas vorstellen. Es gibt von Oswald Wiener eine schöne Beschreibung des inneren Bildschirms, den wir hinter der Stirn haben. Er benutzt diese Idee als Beweis dafür, dass wir alle Maschinen sind.

Eine „Projektionsmaschine?“

Ja. Wir können an diesen inneren Bildschirm unsere Vorstellung von irgendwas projizieren, um es zu visualisieren. Sein Experiment: Man sieht die Zeichnung eines einfachen Knotens und soll sich vorstellen wie man diesen Koten lösen würde. Dabei schaltet sich automatisch der innere Bildschirm ein und wir stellen uns ganz genau und bildlich vor, wie an welchem Ende der Schnur wir ziehen oder schieben müssen, um den Koten lösen zu können.

Da fällt mir das Bild der schon sehr alten Agnes Martin ein, wie sie regungslos auf einem Stuhl in Ihrem Atelier sitzt und auf die Inspiration wartet. Und zwar ganz wörtlich. Wie eine Begegnung mit der dritten Art. Kann ich mir das so vorstellen? Warten bis das Bild erscheint?

Nein. Das ist ganz normales Nachdenken, nur eben in Bildern und nicht mit Sprache. Für mich ist der Computer eine Verlängerung dieses Denkprozesses und des inneren Bildschirms. Mit der Maus kann ich direkt in den Computer hinein zeichnen, und dann sehe ich das alles schon ein bisschen klarer, als hinter meiner Stirn. Und es ist phy-sisch dann immer noch nicht richtig da, sondern das sind erstmal nur digitale Daten.

Welche Idee hat das Overdubbing der Zeichnungen für dich?

Wenn ich mir was vorstelle, ist das in meinem Kopf nicht sta-tisch. Ich stelle mir eine Person, ein Gebäude oder einen Raum aus ver-schiedenen Perspektiven vor. Ich suche nicht nach der idealen Perspek-tive, sondern nach einer Gleichzeitigkeit und Vielstimmigkeit der Ansichten.

Das eigentliche Motiv verschwindet dadurch häufig. Es geht dir nicht primär um das Motiv selbst?

Nein. Das Motiv tritt hinter der Zeichnung zurück. In der Überlagerung verschiedener Zeichnungen. Man sieht das Material, eine Bleistiftzeichnung z.B. oder die Pixel einer Computerzeichnung, das Papier usw. Die Art wie es gezeichnet ist kommt in den Vordergrund. Das gefällt mir, weil mich das oft sehr widersprüchliche Verhältnis von Dargestelltem und Darstellungsweise viel mehr interessiert als die erzählerische Seite eines Motivs. Die Überlagerung, die Gleichzeitigkeit verschiedener Zeichnungen ist eine Möglichkeit dieses Verhältnis sichtbar zu machen.

Wie gehst du für diese Ausstellung mit den sehr speziellen Räumlichkeiten um?

Ja,in deinen Räumen ist das Wohnen sehr präsent. Die Räume sind sehr hoch und im Verhältnis dazu sehr schmal. Die Zeichnungen, die ich hier zeige basieren auf dem Film "Welt am Draht" von Rainer Werner Fassbinder. Mich begeistert an dem Film die Erzählweise, das extrem tolle Verhältnis zwischen den Filmbildern, der Erzählung, der Kamerabewegung und den Dialogen. Die Kamera fährt ganz ruhig und gleichmässig an diesen glitzernden Oberflächen, irren Einbauten und Spiegelungen entlang und gleichzeitig wird im Hintergrund über persönliche Ängste oder berufliche Aufgaben gesprochen. Der Blick auf das Geschehen ist oft ver-deckt oder es ist im Spiegel gefilmt und es entsteht eine irre Orientierungslosigkeit und räumliche Ver-wirrung in den Bildern. Das mag ich.

Dienen dir die Widrigkeiten der Ausstellungsräume als willkommene Grundlage der Raumzeichnung?

Ich versuche die Zeichnungen, die ich ausgehend von den Filmbildern gemacht habe, in diesen realen Raum zu überset-zen. Dabei beziehe ich die realen Gegebenheiten des Raums mit ein. Ecken, Türen, Fenster, Steckdosen alles wird Teil der Zeichnung. Die Entscheidungen treffe ich also während ich die Zeichnungen im Computer hin und her schiebe. Türen z.B. schneiden ja ein relativ grosse Stück aus der Zeichnung raus, oder eine Raumecke verändert die Lesbarkeit des Motivs usw. Ich mag z.B. formale Übereinstimmungen, wie die Streifen der Heizung und die Streifen auf der Zeichnung. Oder es gibt auf der Zeichnung Darstellungen von räumlichen Situationen, also einer Ecke z.b. die dann aber eben genau nicht in der Ecke des Realraums platziert wird usw. Also da überlagern sich eben zwei verschiedene Räume. Der fiktive gezeichnete Raum und der reale Ausstellungsraum.

Die räumliche Verwirrung...

Ja, da sind immer wieder Stellen, wo sich der Realraum durch die Zeichnung durchbohrt und dabei oft auch viel sichtbarer wird als ohne die Zeichnung. Und weil die Räume hier eher eng sind und man auch nicht soviel Abstand zu den Zeichnungen einnehmen kann spielt natürlich die Unübersichtlichkeit bei der Platzierung auch eine Grosse Rolle.

In dem von dir erwähnten Fernsehfilm "Welt am Draht", der Namensgeber der Ausstellung ist, wird ein Lebensraum durch ein Supercomputer simuliert, in der "Identitätseinheiten" leben. Deine Arbeit am Computer generiert ebenfalls eine neue Identitätseinheit der Räume. Man könnte also meinen, du würdest „Computerkunst“ schaffen.

Der Computer ist schon ein sehr zentrales Werkzeug für mich und er erweitert extrem die Möglichkeiten, die ich mit den Zeichnungen habe. Digital, analog, Original, Kopie oder keines von beiden, unterschiedliche Materialität und Zustände der Zeichnungen. Die Arbeit mit dem Computer kommt einfach meiner Idee von Zeichnung sehr nahe. Zeichnung kommt mit ganz wenigen Mitteln aus und kann fast immateriell sein. Schalte ich den Computer aus ist alles weg. Das ist sehr beruhigend. Ähnlich wie die Tatsache, dass die tapezierten Arbeiten temporär sind. Ist die Ausstellung vorbei, werden sie von der Wand genommen und sind wieder weg. Und ich habe auch kein grosses Lagerproblem, weil die meisten meiner Zeichnungen auf DIN A4 Papier oder digital sind. Letztlich ist der Computer einfach ein Werkzeug wie ein Bleistift auch. Also: Nein. Eigentlich würde ich doch nicht von Computerarbeit oder Computerkunst sprechen wollen.

Warum nicht direkt auf die Wand zeichnen?

Hab ich auch schon gemacht. Das geht schneller als das Tapezieren, aber es entspricht im Moment nicht meiner Arbeits- und Denkweise. Die ganze Planung für die Wandarbeiten passiert im Atelier. Da kann ich mich am besten konzentrieren, macht mir am meisten Spass. Und eigentlich zeichne ich ja direkt auf die Wand. Das ist oft nicht so glatt, wie das auf den Fotos aussieht. Manche Linien sehen im Raum anders aus, als ich mir das am Computer vorgestellt hatte. Dann schneide ich einfach irgendwo ein paar Linien raus und klebe sie an eine andere Stelle und zeichne also so ganz direkt und vor Ort weiter.

Wer oder Was ist ROLAND?

Das Musikprojekt "Roland" habe ich dieses Jahr mit dem Künstler David Wojtowycz angefangen. "Roland" ist eine fiktive Figur, jemand der seine Persönlichkeit ständig ändern kann und keine Wiedererkennungsmerkmale hat. So, als ob in einem Film eine Figur von verschiedenen Darstellern gespielt wird. Der Name "Roland" kommt von dem Gitarrenverstärker über den wir spielen. Für die Ausstellung hier haben wir eine Art Soundtrack gemacht. Einige der Geräusche in der Musik kommen aus "Welt am Draht". Wir verwenden Samples oder erzeugen Geräusche mit unseren Handys, die wir dann durch digitale und analoge Effektketten schicken und zu komplexen Wellen schichten. Diese Musik hat was sehr erzählerisches, wie Filmmusik lebt sie von einer Art Spannung. Man ist immer gespannt was als nächstes passiert. Der Bezug zur Ausstellung ist die gemeinsame Bild- und Tonquelle "Welt am Draht". Gleichzeitig spielt die erzählerische Seite des Films, mit den programmierten künstlichen Figuren, den "Identitätseinheiten" in Bezug auf unsere Figur "Roland" hier natürlich auch eine grosse Rolle. Das ist das erste Mal für mich, dass ich diese beiden Welten, das Musikmachen und die Zeichnungen in einer Ausstellung so direkt zusammenbringen kann. Und Ich freue mich sehr darauf in dieser Ausstellung diese beiden sehr unterschiedlichen Medien und Herangehensweisen an "Welt am Draht" zusammenzubringen.