Immer wieder nach Polen zu fahren, und vor allem nach Lublin, beeindruckt mich außerordentlich. Denn habe ich jedes Mal das Gefühl, Stunden, Minuten und Sekunden himmlischer Musik um mich herum zu hören. Teil der Eröffnungsfeier eines Kongresses, zu dem ich eingeladen wurde, war der Gottesdienst in der Akademischen Kirche der Universität. Als ich die Kapelle betrat, bemerkte ich ein Detail, das ich vorher nicht bemerkt hatte. Am Hochaltar hing ein Bild, das mir bekannt erschien und dessen Farben mich an etwas erinnerten, jedoch konnte ich weder den Maler noch den Gemäldetitel zuordnen. Trotzdem fesselte mich die magische Szene, sodass meine Wahrnehmung, die mit dem Wort Gottes beschäftigt war, noch sensibler wurde.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lukas Evangelium 15, 11-32), unter der Perspektive von Rembrandt van Rijn, war in dem Gemälde mit dem Titel „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ verarbeitet worden. Ein Segment aus diesem Kunstwerk war neben dem Kreuz angebracht. Gerade wenige Tage vor dem Adventsbeginn schienen mir alle Farben, Gerüche, Stimmen und Echos im Tempel einen besonderen Inhalt an Vergebung und Barmherzigkeit zu haben. Auch wenn ich Van Gogh ebenso bewundere hatte ich doch immer auch einen sehr großen Respekt vor Rembrandt.

Er war ein Künstler und auch ein Dozent. Von seiner Atelier-Schule aus wollte er seine Kenntnisse an andere Generationen weitergeben. Diese Kombination beider Berufungen und den damit verbundenen Eigenschaften, Hingabe und Ehrlichkeit, ist meine Ansicht nach, ein Wesenszug, den kein anderer Maler hätte haben können. Rembrandt wurde hunderte Mal nachgemacht. Seine Kritiker zerstörten seine Technik und beschrieben sie als unrealistisch, wegen des Hell-Dunkel-Kontrastes; Chiaroscuro. Trotzdem blieb er bei seiner künstlerischen Substanz. Außerdem war sein Leben nicht nur von Erfolg begleitet sondern auch von juristischen Niederlagen; Personen, die Rembrandts kleinen Vermögens habhaft werden wollten. Dazu fügen wir die Familientragödie hinzu, seine beiden Söhne verlieren zu müssen. Dies ist meiner Meinung nach die Inspiration des Gemäldes. Im Gegensatz zu den anderen Portraits und Darstellungen war das Werk kein Auftrag sondern Produkt seiner eigenen Inspiration.

„Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ ist ein Gemälde mit wenig Transzendenz für Kritiker, jedoch ist es von großer Bedeutung für Christen. Denn darin sind alle Elemente und Figuren des Gleichnisses vom Lukas Evangelium enthalten. Auch andere Symbole werden dargestellt, wie die Hände des Vaters – eine weiblich und die andere männlich - , die Schuhe des verlorenen Sohnes und die Haltung und Kleidung des vernünftigen Bruders. Die Figuren hinter der Szene, zwei Frauen und einen Mann, tauchen aus einem dickflüssigen Schatten auf, so das Markenzeichen des Meisters.

Das Geheimnis dieses Gemäldes führt uns zu vielen Fragezeichen: Warum entscheidet sich Rembrandt sich mit dieser biblischen Geschichte zu befassen? Vor allem, da er sich an einem Wendepunkt seines Lebens befindet; krank und absolut ruiniert. Warum gerade das Gleichnis über zwei Söhne? Hier ist zu beachten, daß Rembrandt seine beiden Söhne, Rombertus und Titus, verlor. Den ersten mit wenigen Monaten und den Zweiten erst als Erwachsenen. Der Maler fühlte sich der Kunst verpflichtet, er arbeitete bis zu seinem Tod weiter. Sein Fortbestand, trotz seiner Schwierigkeiten und Familienprobleme, machen aus ihm einen mytenhaften Künstler, mit dem für die größten Maestros der Malerei typischen Hauch der Melancholie.

Unsere Grundüberlegung ist aber die extrem mystischen und heimlichen Botschaften auf der Öleinwand, die sich auf das Evangelium beziehen und die Frage, wie sie umgesetzt worden sind. Rembrandt gestaltete das Bild im Jahr seines Todes. Ein paar Monate zuvor starb sein Sohn Titus. Nichts konnte das Schicksal abwenden, obwohl der Künstler Titus Erbe aus der Konkursmasse rettete. Wir können uns nur Rembrandts tiefen Schmerz vorstellen, der auch zwei seiner Töchter und seine Frau Saskia überlebte. In diesen Monaten malt er dieses Gemälde, das sowohl seine persönliche Tragödie, den Verlust seiner ganzen Familie, als auch die Treue zu seinem christlichen Glauben verewigt. Die Leinwand – 2,50 m mal 2,0 m groß - enthält eine starke Dosis Emotion und Mystik, die in der Barock Malerei selten vorkommt. Die Konturen des verlorenen Sohnes, mit kahl geschnittenen Haaren und ohne Schuhe, verkörpern die Reue ähnlich wie in der Bibel. Der Vater hält die Schultern seines Sohnes fest zum Zeichen der Vergebung. Rechts das Abbild des treueren älteren Sohn und seine stilvolle Kleidung. Rembrandt van Rijn beendete mit diesem Kunstwerk seine Karriere und zeigt uns einen Parallelismus zu seinen Söhnen Rombertus und Titus. Gleichzeitig schenkte er uns einen sicheren Beweis seines blinden Glaubens , in dem er freiwillig und ohne Auftrag in seinen letzten Lebenstagen eine biblische Geschichte gestaltete.