Mehr Licht! Baut mehr Leuchttürme! Trinkt Phosphor! Etwas muss den Autokraten und Neofeudalisten, die in den USA, der Türkei, Polen, England und anderen Ländern das Licht ausmachen, entgegenscheinen. Aber was? Was ist zu tun? Chto Delat?! Seit 14 Jahren trägt das Kollektiv aus Moskauer und Sankt Petersburger Künstlern, Intellektuellen und Aktivisten diese Frage programmatisch in seinem Namen. Doch 2014 wusste die Gruppe keine Antwort mehr darauf – in ihrer Ausstellung Bei Kow begrub sie ihre Hoffnungen, dem Ukrainekrieg und Putins Neonationalismus ließe sich noch künstlerisch-kritisch begegnen, versiegelte sie in einer Zeitkapsel und schickte sie in eine unbekannte Zukunft. Es war ein Eingeständnis der eigenen Ohnmacht und Marginalität. Der Schock, der jetzt den Westen erreicht hat, saß den Russen also schon länger in den Knochen. Sie haben ihn verarbeitet und kommen nun zurück nach Berlin mit einer neuerlichen Betrachtung ihrer und unserer Aussichten – und bauen bei KOW einen Leuchtturm.

Es geht um nicht weniger als um das Schicksal der Aufklärung, die Globalisierung des Ausnahmezustands und die zerstörte Illusion, es gäbe noch letzte liberale Inseln. Und es geht um eine Möglichkeit der Kunst, weiter zu sprechen. Der obere Raum der Galerie setzt ein Mahnmal für Männer und Frauen, die jüngst während Protesten verbrannt, erschossen oder durch Wasserwerfer getötet wurden. Die fünf Plastiken über das brutale Ende öffentlicher Meinungsäußerung werden überragt von einem Leuchtturmgerüst, das den Agitprop-Kiosken Gustav Klutsis’ nacheifert und damit einer historischen Form der Massenkommunikation, die nach der Russischen Revolution aufklärerische Ideale wirksam propagierte. Doch statt helle Parolen von Aufbruch und Zuversicht zu verbreiten, errichten Chto Delat ein Monument der Finsternis, ein schwarzes Leuchtfeuer des Traueraufruhrs, und zugleich einen Sendemast für die düsteren Gesänge jüngst verstorbener Autoren und Musiker – von John Berger bis Leonard Cohen –, die um die Kraft der Dunkelheit wussten und die gefallenen Helden der Freiheit mit ihrem Requiem begleiten.

Leuchttürme mögen Quellen des Lichts sein, aber ihr Signal ist eine Warnung. Sie markieren Orte, die man tunlichst umfahren sollte. Und wer sie besteigt, sieht nichts als ferne Ziele. Im Untergeschoss der Galerie wird der Leuchtturm zum Symbol einer verirrten Zuflucht. In Kooperation mit Artists at Risk, einer Organisation, die gefährdeten Künstlerinnen und Künstlern den Aufenthalt an sicheren Orten in Europa, sogenannten „Safe Havens“, ermöglicht, drehten Chto Delat 2016 auf der norwegischen Insel Sula den Film „It Has Not Happened to Us Yet. Safe Haven“(1). Ihre 2-Kanal-Videoinstallation erzählt die fiktionale Geschichte von fünf Kulturschaffenden, die sich Dank eines Stipendiums auf dem entlegenen Eiland vor Krieg und Repression in Sicherheit bringen. Die Erzählung wird durch dokumentarische Aufnahmen unterbrochen: In Interviews erklären die Insulaner ihre Solidarität mit geflüchteten Künstlern, erläutern gerne lokale Regeln und die Bedingungen für soziale Integration, und singen die Inselhymne. Das friedliche Exil entpuppt sich allmählich als eine falsche Hoffnung, inneren und äußeren Konflikten zu entkommen. Die Geschichte könnte ebenso Chto Delats eigene Zukunft werden wie die vieler anderer, und sie erinnert an die Unzähligen, denen die Möglichkeit zur Flucht fehlte oder immer noch fehlt.

Wenige Schritte weiter ereignet sich die Putinsche Wirklichkeit. In einem raumgreifenden Arrangement gefundener Internetbilder dokumentieren Chto Delat, wie das neue Russland täglich Politik und Alltag als performative Rituale hervorbringt, die sich in sozialen Medien reproduzieren. Hineingestellt mitten in das Theater teils abstruser Gesten und Embleme neonationaler Identität: ein Experiment. Ein Monitor zeigt nacheinander drei Demonstranten auf einem öffentlichen Platz in Sankt Petersburg. Schilder um den Hals sagen: „Umarme mich, ich bin dein Feind“, „Schlag mich, ich bin deine Schwester“, „Kneif mich, ich träume dich“. Passanten und Schauspieler reagieren verschieden auf die Aufrufe der stillen Protestler und enthüllen nebenbei den surrealen Charakter des öffentlichen Lebens unter dem Banner des Russischen Bären. Wer sagt die Wahrheit? Wer schauspielert? Wer spricht für wen? Wer sind die Bedrohten, und wer die Drohenden?

Chto Delats Ausstellung ist ein Statement zur politischen Gegenwart. Sie verarbeitet die fortschreitenden Angriffe auf freiheitliche Werte und erinnert an historische Momente von Sorge, Flucht und Ohnmacht, die eben nicht nur historisch sind; etwa an das Exil von Intellektuellen wie Walter Benjamin, Trotski und Hannah Arendt, oder an Bertolt Brechts Betrachtungen des Zerfalls der deutschen Öffentlichkeit vor der Machtergreifung durch die Nazis. All das hat heute Entsprechungen, jedoch in einer neuen globalen Kondition, in der Ideen von Gleichheit und Gerechtigkeit immer weniger Anhänger finden. Sie scheinen verzichtbar geworden zu sein in einem sich „ausdehnenden Zwielicht der Reaktion“(2), wie Chto Delat in ihrem Text zur Ausstellung schreiben. Wenn schließlich doch ein optimistisches Licht durch unsere Räume schimmert, dann liegt das an der Zuversicht eines Kollektivs von streitbaren Denkern und Praktikern, die angesprochen auf die Frage, was wohl zu tun sei, noch antworten würden, dass die Kunst immerhin das Mögliche sehe, wenn das Licht ausgeht.

Man kann das Realitätssinn nennen, oder in den Worten Leonard Cohens: „There’s a crack in everything, that’s how the light gets in.“ Chto Delats Ausstellung entstand weitgehend in den Wochen vor Eröffnung in situ bei KOW und in Petersburg. Sie wird 2017 und 2018 an verschiedene Orte reisen und dabei wachsen. Es stehen neue Produktionen an, bei denen theatrale und dokumentarische Formen ineinander greifen. Die soziale und institutionelle Inszenierung der Realität erfordert angemessene Choreografien der Kritik. Hinzu kommen Poesie, Skulptur, und ein erweitertes Repertoire raumgreifender Installationen, die progressive Formen der russischen Avantgarde und der Sowjetkultur über Genre- und Ideologiegrenzen hinweg in eine queere Populärästhetik überführen. Angesichts einer teils sprachlosen, teils elitistisch verkapselten, teils dumm quasselnden (Kunst-)Welt bleiben Chto Delat einer engagierten Sprache verpflichtet, die sich verständlich machen will, und betrachten soziale Emanzipation noch immer als den Auftrag an das eigene, gemeinsame Werk.