Die Digitalisierung verändert die politische, ökonomische und kulturelle Funktion des Bildes radikal – daran besteht kein Zweifel. Ob und auf welcher Ebene die Kunst als gesellschaftlicher Ort der reflektierten Bildproduktion diesem Regime aber langfristig gewachsen, und inwieweit sie in der Lage ist, Bilder zu schaffen, die die Kraft haben, der Normierungstendenz digitaler Codes (ein Code kennt kein inhaltliches Argument) zu widerstehen, bleibt abzuwarten.

Der universellen Regel des Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan zufolge, dass „der Inhalt eines Mediums immer ein anderes Medium“ ist (Die magischen Kanäle,1964), ist jedenfalls anzunehmen, dass medienimmanent weder (über-)affirmative noch kritische Auseinandersetzungen mit den neuen Technologien, ihren Mitteln der Bildproduktion und/oder deren gesellschaftlichen Konsequenzen in der Lage sein werden, der Gesellschaft eine angemessen komplexe Vorstellung dieses neuen Regimes zu vermitteln – auch wenn solche Strategien das Spektrum denkbarer und bestehender Bilder darin erweitern können. Eine Reflexion der Struktur aber, die die Voraussetzung dafür ist, dass Bilder künftig grundlegend anders verstanden und gebraucht werden können, braucht die Distanz, und die wird, unter anderem, möglich durch einen Genrewechsel.

Vor diesem Hintergrund widmet sich die amerikanische Künstlerin Gina Beavers der auf unmittelbare Affekte setzenden und gleichförmigen Bildsprache des Internet im nur vordergründig dafür am wenigsten geeigneten Medium, dem Tafelbild.

Die Wirkung eines Gemäldes beruht zwar auf seiner Einzigartigkeit (per definitionem gleicht kein Bild / keine Serie von Bildern einem anderen) und einer ihm zugestandenen Dauer, die im Bild parallel vorhandene Wahrnehmungsebenen im Zuge der Betrachtung wieder in ein zeitliches Nacheinander rückführen muss – und steht damit der Funktionsweise eines digitalen Bildes prinzipiell entgegen. Diese Diskrepanz aber nutzt Beavers, wenn sie aus Millionen gleichartiger Aufnahmen, etwa aus dem populären Genre des sogenannten Foodporn, das Fotografien aufwendig zubereiteter Gerichte mit (sexuellem) Begehren auflädt, oder aus der Flut das weibliche Selbstbild regulierender Make-up Tutorials eine auswählt und in Malerei übersetzt. Indem sie dieses Bild einer anderen Logik überantwortet, entzieht sie ihm die Selbstverständlichkeit und nutzt die Malerei als Analyseinstrument: der Betrachter sieht nicht mehr aus Standbildern zusammengesetzte Fototableaus von Make-up Tutorials, sondern Gemälde über Make-up Tutorials, welche die ästhetischen und formalen Parameter dieser speziellen, nur im Netz existierenden Klasse von Bildern in Szene setzen.

Die Unverblümtheit dieser Malerei ist attraktiv und abstoßend zugleich: eigentlich sind die Bilder zu direkt, geben ihr Gemacht-sein zu widerstandslos preis, wirken zu kalkuliert und sensationslüstern, um sie einfach nur „schön“ zu finden. Merkwürdigerweise aber wecken genau diese Eigenschaften das Verlangen, sie doch oder erst recht anzuschauen, als würde Beavers ihre Sexiness bewusst mit einem Schuss Vulgarität würzen und so das (perverse?) Vergnügen an den Gemälden noch steigern.

In ihrer aktueller Ausstellung stehen konventionelle Schminkanleitungen für das Auftragen von Lippenstift oder Lidschatten karnevalesken Instruktionen zur Verkleidung als Zeichentrickfiguren gegenüber, wie für den legendären Bio-Exorzisten Beetlejuice, die fiese Modedesignerin Cruella de Vil aus dem Disney Klassiker 101 Dalmatiner, oder die Eiskönigin Elsa aus der animierten Adaption des gleichnamigen Märchens von Hans Christian Andersen. Nicht positiv besetzte Helden also, sondern unverkennbar ambivalente Charaktere, die zweifellos die titelgebende Wortschöpfung „ambitchous“ für sich in Anspruch nehmen könnten, werden von der Künstlerin bevorzugt. Dieses unübersetzbare Kompositum aus „ehrgeizig“ und „zickig“ ist wie die Bildvorlagen den sozialen Medien und deren kreativem Sprachgebrauch entnommen, und wird kontextabhängig entweder abwertend gebraucht – etwa für Frauen, die für das Erreichen ihrer Ziele über Leichen gehen –, oder als Ausdruck weiblicher Selbstbehauptung positiv umgewertet.

Diese spielerisch-strategische Verkomplizierung scheinbar eindeutiger Bedeutungszusammenhänge wendet Beavers auch auf die inhaltliche Aussage ihrer Gemälde an: Ob diese nämlich das konsumkonforme Schönheitsideal im Neokapitalismus kritisch überzeichnen oder dem selbstbestimmten Gebrauch von Make-up emanzipatorisches Potenzial zusprechen, bleibt ausdrücklich unentscheidbar.

Als genauso doppelbödig erweist sich der Medienwechsel, durch den sich die Beziehung zwischen Bild und Betrachter verschiebt. Auch wenn das Motiv dasselbe bleibt, rekurrieren hier die zahllosen geschminkten Augen und Lippen nicht mehr nur auf perfektionierte und/oder verkleidete Körper, die implizit die Befriedigung narzisstischer Fantasien verheißen, sondern werden zu Partialobjekten, die selbst gesehen, berührt und begehrt werden wollen. So aktiviert sich das Gemälde selbst und verweigert die unmittelbare Befriedigung zugunsten einer wechselseitigen Attraktion, die vom Betrachter intensivere Aufmerksamkeit einfordert, dafür aber einen nachhaltigeren Eindruck hinterlässt.

Für diesen Effekt ist allerdings die offensive Materialität der Gemälde noch entscheidender, denn Beavers trägt unverdünnte Acrylfarbe in so viele Schichten auf der Leinwand auf, dass die Formen reliefartig aus der Fläche hervorwachsen. Wimpern, Lider, Augenbrauen und Lippen werden zum Teil nicht nur abgebildet, sondern gegenständlich nachgebildet. Augen wirken nicht nur, als würden sie aus dem Bild herausschauen, sondern tun es tatsächlich; Münder scheinen nicht bloß sinnlich gerundet, sondern wölben sich dem Betrachter faktisch entgegen.

Dennoch wirken die Gemälde in keiner Weise naturalistisch, eher überzeichnen sie die comichafte Künstlichkeit der seriellen Close-Ups aus den Vorlagen und vermitteln ähnlich vielleicht wie die Plakatmalerei gerade durch ihre wissende Distanz zur Realität einen lebendigeren Eindruck als etwa ein 3-D-Rendering es je erreichen könnte.

Elemente wie Pinsel, Lippenstifte oder Finger, die Kunden in den Vorlagen die Nachahmbarkeit des Schminkvorgangs versichern sollen, spielen hier auf die aktive Rolle des Gemäldes an – das den Betrachter nicht nur anmacht /-starrt, sondern sich mit besagten Utensilien sogar selbst zu malen scheint – und bauen buchstäblich eine Brücke aus dem Bild heraus. Schwebend zwischen malerischer Illusion und skulpturaler Präsenz, lässt das Werk den Blick nicht zur Ruhe kommen, und auch der Körper ist gezwungen, sich der direkten Ansprache durch die unzähligen herausfordernden Augen und Münder zu stellen.

Diese kalkulierte Verunsicherung schafft vor allem Abstand zu gewohnten Wahrnehmungsrastern und rückt dem Betrachter ins Bewusstsein, dass schon immer das, was ein Bild zeigt mit dem, was es an Affekten erzeugt oder erzeugen will miteinander verschmilzt – und dass diese Struktur nicht etwa spezifisch postfaktisch ist. Wahrheit und Begehren sind noch nie unabhängige, objektivierbare Größen gewesen, denn sie sind insofern voneinander abhängig, als dass Wahrheit erst dann eine relevante Kategorie für uns wird, wenn sie uns mittel- oder unmittelbar betrifft, und umgekehrt, und in und für jede konkrete Situation neu konstruiert werden muss.

Problematisch ist deshalb nicht das Verhältnis zwischen Bild und Realität, sondern die Art der Verknüpfung von Bildern untereinander: zunehmend bestimmen Algorithmen, die Bilder ausschließlich nach Ähnlichkeit zueinander ins Verhältnis setzen (vgl. Hashtags), welche Zusammenhänge wir sehen (können) und verkürzen Kontexte auf das Erwartbare (und Vermarktbare). Unvorhergesehene Sprünge oder unwahrscheinliche Anschlüsse – also all jene Kombinationen, die eine komplexere Wahrnehmung gestatten würden, gehen dabei verloren. Es wird die Aufgabe der Kunst sein, uns ein Bewusstsein dieses selbstgewählten Verlustes zu geben und alternative Formen der Bezugnahme zu entwickeln, und Gina Beavers’ Oeuvre setzt genau dort an.