Stefan Brüggemanns Werk ist durch eine ironische Verschmelzung von Konzeptkunst, Minimalismus und einer Post-Pop-Ästhetik gekennzeichnet. Hauser & Wirth Zürich freut sich, die erste Einzelausstellung des Künstlers in Zürich präsentieren zu können. Gezeigt werden neue und in letzter Zeit entstandene Gemälde und Skulpturen. In ‘Take, Put and Abandon’ verbindet sich Brüggemanns meisterlicher Wortwitz mit seiner konzeptuellen Stringenz. Daraus entsteht eine kühne, überzeugende Werkgruppe, die auf Themen der Aneignung und Verlagerung ausgerichtet ist. Die Sprachphilosophie ist eine wichtige Grundlage in Brüggemanns künstlerischem Schaffen, in dem Text als uides Medium eingesetzt wird, das Form und Bedeutung trägt; seine Wortwahl ist typischerweise provokativ, scharf und höchst aktuell. Alle in Zürich präsentierten Werke – Joke and De nition Paintings, Cartoon Paintings, Text Pieces sowie die neuesten Arbeiten aus seiner bekanntesten Serie, Headlines and Last Lines in the Movies – veranschaulichen seine scharfsinnige Handhabung der Sprache. Neben diesen Gemälden und Wandtexten wird eine Gruppe von Readymades aus Edelstahl gezeigt. Der Titel der Ausstellung ist vom Aneignungsprozess des Künstlers inspiriert.

Brüggemanns Schaffen entspricht nicht dem Kanon der Konzeptkünstler, die in den 1960er- und 1970er- Jahren nach Dematerialisierung strebten und sich gegen die Kommerzialisierung der Kunst stellten. Seine Ästhetik ist vielmehr raf niert und luxuriös und bewahrt zugleich das Punkige. Dies zeigt sich beispielhaft in der Serie, für die der Künstler Spiegelglas einsetzt – eine Ober äche, die typischerweise mit Opulenz in Verbindung gebracht wird: mit Barock- und Art-déco-Architektur, Firmengebäuden und Luxus-Design. Bei Brüggemann wird dieses Verständnis untergraben und die Ober äche dient stattdessen dazu, die Unzulänglichkeiten ihrer Umgebung zu widerspiegeln. ‘Trash Mirror Boxes (after MV)’ (2016) zollt Meyer Veismans ‘Trash’ (1991) und Pietro Manzonis ‘Artist Shit’ (1961) Tribut: Brüggemann hat sich den Scherz zu eigen gemacht, den diese beiden Künstler trieben. Das Werk ahmt Kartonschachteln nach, die den Abdruck von Paketband tragen und in Gruppen aufeinandergestapelt an Kartons erinnern, die in einem Lagerhaus zurückgeblieben sind. Jeder Karton ist mit dem Wort ‘Trash’ bekritzelt. Diese Aufschrift bezeichnet jedoch weniger den Inhalt, sondern verweist eher auf das, was sich widerspiegelt – der Betrachter und der Raum, in dem sich das Werk be ndet. Der Kritiker und Kurator Santiago Olmo hat diese Komponente von Brüggemanns Werk als ‘verunglimpfter Luxus’ oder ‘verunstalteter Luxus’ beschrieben.

Mit der gleichen Methodik wird ‘Headlines and Last Lines in the Movies’ (2016) entwickelt. Ausschnitte aus aktuellen Nachrichten-Schlagzeilen werden mit Schlusssätzen aus beliebten Filmen verschmolzen und in aggressivem Orange, Weiss und Schwarz als Graf ti auf eine Spiegelwand gesprayt. Die Texte, in denen sich Realität und Fiktion verwischen, funktionieren als Mikrokosmos für den heutigen Zustand der globalen Medien. Hier wendet Brüggemann Ludwig Wittgensteins Sprachphilosophie an, dass Form und Stil des Geschriebenen unser Verständnis des Texts beein ussen: Gedruckter Text wird nicht gleich gelesen wie eine handschriftliche Notiz, ein Wandbild wird anders wahrgenommen als ein Graf ti. Olmo bringt dies so auf den Punkt: Geschriebenes wird als Form oder als Zeichen verstanden, das den Wahrheitswert der Botschaft des spezi schen Texts begründet. Mit diesem Ziel scheint Brüggemann die Art und Weise zu kritisieren, mit der die Gesellschaft Informationen konsumiert – das Graf ti deutet auf Vandalismus, auf eine Situation der Unsicherheit hin. Für Brüggemann widerspiegelt dieses Werk ‘meine Art zu analysieren, wie die Gesellschaft durch Medien, Informationen und durch Filme geformt wird. Sie formen das menschliche Verhalten, sie sagen dir... wie du dich auszudrücken hast, wie du einen Lebensstil zu führen hast, der erfolgreich ist oder auch nicht, während die Medien die Wahrnehmung manipulieren, wie die Welt sich diesem Moment anpasst. Und es sind diese Faktoren, die dem heutigen Individualismus seine Form geben’. Headlines and Last Lines in the Movies ist eine fortlaufende Serie, die der Künstler 2010 lanciert hat. In der Ausstellung werden neue Variationen gezeigt. Erstmals erscheinen die Spiegel in dreidimensionaler Form und hüllen die Stützpfeiler in der Mitte des Galerieraums ein.

In der neuen Gruppe der Joke and De nition Paintings führt Brüggemann Joseph Kosuths Serie Art as Ideas (1966 – ) und Richard Princes Joke Paintings (1985 –) zusammen. Jede Arbeit kombiniert eine von Kosuths philosophischen De nitionen mit einem Scherz von Prince und führt damit Konzept- und Pop-Tradition in einem ironischen Bravourstück im wahrsten Sinn des Wortes zusammen. Indem Brüggemann Format und Aufbau der Originalwerke beibehält, tritt er alle formalen Entscheidungen an seine Quellen ab. Entstanden sind so elegante, abstrakte Arbeiten.

Cartoon Paintings ist eine völlig neue Werkgruppe. Für sie hat Brüggemann ein satirisches Cartoon verwendet, das der amerikanische Künstler Ad Reinhardt in den späten 1950er-Jahren gezeichnet hat. Die Originalzeichnung macht sich über die verbreitete Rezeption des abstrakten Expressionismus lustig. Das erste Bild des Cartoons zeigt einen Banker, der ein Gemälde von Jackson Pollock betrachtet und sagt: ‘Hahaha, was stellt das denn dar?’. Im folgenden Bild deutet das Gemälde auf den Banker und antwortet: ‘Was stellst du denn dar?’. Brüggemann klebt unzählige Tintenstrahldrucke des Cartoons auf weisse Leinwand, bevor er mit schwarzer Ölfarbe und Tinte kleine, aber ausdrucksstarke Pinselstriche hinzufügt. Er betrachtet diese Arbeiten als Re exion über die heutige Internet-Kultur des ‘Ctrl + Copy + Paste’, eines Phänomens, das in der Zeit, als der Cartoon erstmals publiziert wurde, noch undenkbar war.

Eine weitere Dimension erhält die Ausstellung durch drei minimalistische Stahlskulpturen. ‘Outdoor’ (2016) ist eine Aneignung von Donald Judds grossformatiger Drehtür-Skulptur in Marfa im amerikanischen Bundesstaat Texas. Eine Stahltür in Leichtbauweise dreht sich kontinuierlich in ihrem Rahmen, was ihre Funktion vollständig aufhebt. ‘Trap Door’ (2017) ahmt eine Falltür nach, wie sie in den Strassen von Städten wie New York oder London zu nden ist. Ähnlich ist ‘Exit Door’ (2017) dem Notausgang eines städtischen Gebäudes nachempfunden. Diese beiden Werke stützen sich auf das Konzept des Readymade und sind für den Künstler ‘Auslöser von Zweifel: Wissen die Betrachter nicht, was sie betrachten, ‘verirren sie sich in ihrem bewussten und unbewussten Raum’, wie Brüggemann sagt. ‘Nur wenn jemand zu zweifeln beginnt und herauszu nden versucht, was er eigentlich betrachtest, arbeitet er an der Realität; und darin liegt der wesentliche Aspekt der Arbeit.’ Die auf das Stadtleben bezogenen Konnotationen der Skulpturen führen den Betrachter vielleicht auch dazu, sich zu fragen, was sich unter oder hinter den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen der kapitalistischen Metropole verbirgt.

Stefan Brüggemann wurde 1975 in Mexico City geboren. Er lebt und arbeitet in Mexico City und London. Sein Werk nutzt die Lehren wichtiger Kunstströmungen, insbesondere den räumlichen und systematischen Ansatz des Minimalismus, den platten Humor der Pop Art und das Ablehnende der Konzeptkunst. Im Januar 2018 wird Dallas Contemporary in Dallas, USA, das Werk des Künstlers in einer umfangreichen Einzelausstellung präsentieren.

Frühere Einzelausstellungen fanden unter anderem an folgenden Orten statt: Centro Galego de Arte Contemporánea, A Coruña, Spanien (2016); Fundació Gaspar, Barcelona, Spanien (2016); GAM, Mexico City, Mexiko (2015); Galeria Parra Romero, Madrid, Spanien (2014); The Wall South Kensington, Queens Gate and Harrington Road, London, England (2014); Villa du Parc, Centre d’Art Contemporain, Annemasse, Frankreich (2011); Kunsthalle Lissabon, Lissabon, Portugal (2010); SAPS Sala de Arte Pùblico Siqueiros, Mexico City, Mexiko (2009) und Kunsthalle Bern, Bern, Schweiz (2008). Stefan Brüggemann war auch an namhaften Gruppenausstellungen beteiligt, unter anderem ‘In Girum Imus Nocte et Consumimur, Igni’, El Museo Jumex, Mexico City, Mexiko (2015); ‘Now Here is Also Nowhere’, Henry Art Gallery, University of Washington, Seattle, USA (2012); ‘Neon. Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue’, La Maison Rouge, Paris, Frankreich (2012) sowie ‘Art Moves’, 3rd International Festival of Art on Billboards, Torun, Polen (2010).