Die Galerie Karsten Greve freut sich besonders, die Ausstellung Woman of Fire Dancing with Tree mit neuen Werken von Leiko Ikemura anzukündigen. Mit dieser umfassenden Schau möchten wir die 30-jährige Zusammenarbeit zwischen der Künstlerin und der Galerie Karsten Greve würdigen, die im Jahr 1987 mit einer Einzelausstellung in den damaligen Kölner Räumen am Wallrafplatz begann.

Das vielschichtige Werk von Leiko Ikemura erfährt in vielerlei Medien Ausdruck und beansprucht gleichwohl Malerei, Skulptur und Zeichnung als künstlerische Gattungen für sich. Dabei spiegelt sich die formale Ungebundenheit und handwerkliche Flexibilität Ikemuras auch in den verhandelten Themen wider, die vorrangig um Phänomene der Formwerdung und Verwandlung kreisen. Ihre märchenhaften, von Mischwesen bevölkerten Szenarien evozieren Traumwelten und erzählen von Metamorphosen und Mutationen, in denen sich Katzen, Vögel und Mädchen durchdringen und menschlich anmutende Figuren mit landschaftlichen Formationen verschmelzen.

Oft sind die Formen nur angedeutet und nicht ausformuliert, so dass sie sich erst in der intensiven Betrachtung vollenden, um sich wie ein Lufthauch sogleich wieder zu verflüchtigen. Diffuse Nebelschwaden führen Gewässer und Gebirge zusammen, lösen den Horizont auf und verdichten sich zu Gesichtern, die wie eine Chimäre plötzlich auftauchen. Vexierbildhaft bildet die Kurve eines Flußlaufes die Kontur eines grazil geschwungenen Körpers. Gestalten werden zu Geistwesen, zu Manifestationen einer wesenhaften Natur. So erscheinen die schwebenden, körperlosen Köpfe mit loderndem Flammenhaar wie Stellvertreter des Elements Feuer oder Personifikationen einer launenhaften Natur, die sich mal sanft, mal stürmisch zeigt (Floating Storm, Haruko). In der Serie Trees offenbaren sich lichterloh flackernde Baumkronen im Wechsel mit düster verhangenem Geäst wie individuelle Persönlichkeiten. In dieser Typologie der Temperamente sind die Bäume cholerisch erhitzt, sanguinisch aufgewühlt oder melancholisch getrübt. Bisweilen lässt die Veredelung der Oberfläche durch feinsten Goldstaub einen Bezug zum Energietransfer in der Alchemie erahnen, deren Lehre sich vorrangig mit der Transmutation unedler Metalle in Gold und Silber befasst.

Ikemuras Kosmologie des Wandels und Werdens scheint einem pantheistischen Weltbild zu folgen, nach welchem Gott in allen Dingen existiert. Schon Platon hat diese allgegenwärtige Weltseele als „Bewegung, die sich selbst bewegen kann“ beschrieben. Sowohl das kosmische Gefüge als auch das individuelle Geschöpf sind „beseelt“. Als Ursprung und Prinzip des Lebens vermittelt die Seele zwischen Körper und Geist, Sein und Werden, verwandelt als schöpferische Triebkraft die unbelebte Materie in lebendige Wesen. Diese alles durchströmende, kreative Energie entspricht dem kosmologischen Grundsatz, der als ewiger Fluss von Heraklit in der Formel Panta Rhei festgehalten wurde: „Alles bewegt sich fort und nichts bleibt.“

Ikemuras Werke vermitteln die Offenheit einer sich ständig verändernden Kreation, wobei auch die Beschaffenheit des Materials als produktives Potenzial im künstlerischen Schaffensprozess fruchtbar gemacht wird. Während die klassische Kunsttheorie die Transformation von rohem Material in eine vollendete Form anstrebt, die sich durch die Beherrschung des Werkstoffes vollzieht, gesteht Ikemura dem Material einen schöpferischen Eigenwert zu. So veranschaulichen Skulpturen aus Terrakotta oftmals die ungebändigte, „freie“ Substanz, die wie vulkanische Lavamasse eruptiv ausbricht und erdige Klumpen und amorphe Anhäufungen hinterlässt. Eine unberechenbare Motivation wohnt der modellierten Form inne, eine transformative Kraft, die von innen nach außen drängt.

Häufig scheint sich das Verwandlungsmoment im Schlaf einzustellen, so dass die schlummernden Köpfe wie Steine anmuten, aus denen langsam Leben erwächst: Hier und da sprießen kleine Bäume. Auch kommt in den Gemälden der „naturbelassenen“ Qualität der Jute eine eigenständige Wirkung zu. Bei Ikemura dringt die rustikale Gewebestruktur an die Oberfläche und schwingt vordergründig mit, genauso wie die Elemente innerhalb der Komposition – zumeist in wässrig verdünnter Temperafarbe lasierend ausgeführt – in ein spannungsvolles Verhältnis treten.

Ikemuras Schöpfungsgeschichten sind damit gleichwohl sensible Reflexionen über die künstlerische Kreativität und werden unter Einbindung verschiedener Kulturen und Religionen bildhaft. Die Künstlerin selbst schöpft aus vielerlei Quellen und Traditionen. Geboren in Tsu, Japan, studierte Leiko Ikemura zunächst spanische Literatur an der Fremdsprachen-Universität Ōsaka und wanderte 1972 nach Spanien aus. Die Zeit von 1973 bis 1978 widmete sie dem Studium der Malerei an der Akademie in Sevilla. Nach ihrer Übersiedlung in die Schweiz hinterließ Leiko Ikemura in der Zürcher Kunstszene der frühen 1980er Jahre ihre ersten markanten Spuren. Zur selben Zeit zeigte der Bonner Kunstverein erstmals ihre Arbeiten. Es folgten zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen, wie 1987 im Museum für Gegenwartskunst in Basel. Neben herausragenden internationalen Präsentationen wurde ihr Werk zuletzt 2016 in einer umfassenden Einzelausstellung im Museum für Ostasiatische Kunst in Köln gezeigt. Ikemura bewegt sich frei zwischen den Kontinenten, verinnerlicht Mythen und Legenden, die, zu allgemeingültigen Symbolen abstrahiert, in ihre Bildsprache einfließen. Wie universelle Archetypen verweisen die Motive auf existenzielle Zustände und die Ursprünge menschlicher Erfahrung.