Ralf Daab im Gespräch mit dem Künstler Christoph Knecht und der Galeristin Nadia van der Grinten über die laufende Ausstellung Europa.

Eine ungewöhnliche Ausstellung für eine Galerie, wie ich meine, mit fast dreitausend Kacheln, die du, Christoph, alle selber bemalt und gebrannt hast. Erzähl uns etwas über die Entstehung.

Christoph Knecht: Der technische Prozess ist eigentlich ein sehr traditioneller Prozess, der sich Majolika Technik nennt.

Die Kacheln werden mit einem Schürbrand vorgebrannt. Dann grundiere ich sie mit einer Mixtur aus weißer und transparenter Unterglasur. Dadurch entstehen die verschiedenen Weiß - und Beigetöne, da man die Farbe der Kachel mal mehr und mal weniger durch die Glasur schimmern sieht. Je nachdem, wie hoch der Transparent-Anteil der Glasur ist oder wie oft man mit dem Pinsel über die Kachel geht. Nach diesem Schritt wird die Kachel nicht gebrannt, sondern direkt mit der Aufglasur, diesem klassischen Kobaltblau bemalt. Die Glasur trocknet beim Farbauftrag hellrosa auf und entwickelt erst nach dem Brand bei über 1000 Grad und mehreren Stunden ihre endgültige Farbe. Man sieht also erst richtig, was auf dem Bild drauf ist, wenn es aus dem Ofen kommt. Bei dieser Technik gefällt mir, dass dieser Duktus der Unterglasur noch in den Kacheln zu sehen ist und sie somit eine fast freskenhafte Wirkung haben und sich durch die leicht unterschiedliche Unterglasur jede Kachel von der anderen unterscheidet, sich dadurch diese heterogene Mischung ergibt. Im Gegensatz zur Aufglasurtechnik, bei der man einen Zwischenbrand einschiebt, ist die Majolika Technik, die kompliziertere Herangehensweise. Man kann weder retuschieren noch sieht man beim bemalen, wie das Bild letztendlich aussehen wird. Dennoch habe ich mich für diese Methode entschieden, da es die traditionelle Herangehensweise ist und mir die Haptik der Kachel besser gefällt.

Du hast sehr unterschiedliche Motive verwendet. Von einem modernen Rimowa Koffer über arabische Schriftzeichen und Internetsymbole zu antiken Gemälden. Wie kam die Zusammenstellung zu Stande?

Christoph Knecht: Die erste Berührung damit war noch zu Akademie Zeiten. Ich saß damals in einer alten Küche, die mit bemalten Kacheln gefliest war, und dachte mir, wie würde so etwas heute aussehen? Zudem hat mich die Kachel als Bildträger und gleichzeitig als Gebrauchsgegenstand fasziniert. Der nächste logische Schritt war dann für mich, das selbst auszuprobieren, und ich habe dann angefangen, solche Kacheln nach meinen Vorstellungen herzustellen. Ich habe mich da reingearbeitet, learning by doing. Erst in der Akademie, dann mit verschiedenen Keramikbetrieben. Auch bin ich z. B. nach Lissabon geflogen und habe mich dort in Werkstätten umgesehen und mit den Leuten, die die Azulejos bemalen, unterhalten, bis ich mir schliesslich selbst einen Ofen zugelegt habe.

Das ist ein langer Prozess gewesen, an dessen Anfang nicht genau klar war, wie es später aussehen wird.

Für diese Ausstellung habe ich dann eine Auswahl an Motiven getroffen, die in den letzten 5 Jahren entstanden sind, und einige neue Motive sind hinzu gekommen, sodass dies die bisher komplexeste und geschlossenste Kachelarbeit ist.

Was die Motive angeht: Ich arbeite schon länger an dem Thema Europa. Bilder und Assoziationen, die ich mit diesem Wort habe. Themen, die mich beschäftigen oder die ich für relevant halte, wenn ich an Europa denke. Ein Europa als Kontinent, ein Europa mit der Geschichte von Handel und Eroberung, Kolonialisierung, Wissenschaften und Ideen und ein Europa, das meine Heimat ist. Meine Herkunft mit all seinen verschiedenen Facetten und Problemen. Bilder, die sowohl geschichtliche Bezüge haben, aber auch Bilder, die jetzt aktuell sehr relevant sind.

Hier zum Beispiel ein Bild von einer Schwimmweste, die die Assoziation zu dem, was im Mittelmeer passiert, aufwirft, wo tagtäglich Menschen ertrinken. Es ist ja nicht nur so, dass Europa jetzt mit dieser Situation umgehen muss, sondern diese durch seine Geschichte auch mit verursacht hat.

Dadurch, dass ich gegenständlich arbeite, kann der Betrachter ja sehen, was abgebildet ist. Ich bin aber auch sehr froh, wenn andere Ideen und Bilder dazu kommen. Also wenn jemand etwas anderes darin sieht oder etwas anderes denkt, gerade auch in Überschneidung und Kombinationen mit anderen Motiven. Ich lege nicht den Finger auf etwas und sage: So ist das. Es sind Momente. Bilder, auch Fragen zum momentanen Zustand, wie ich das wahrnehme.

Die ganze Arbeit, die sich mit 2.950 Kacheln durch zwei der drei Räume der Galerie zieht, wird durch einen Rahmen eingefasst, der aus einzelnen Icons besteht. Diese Icons, die das Ganze umrahmen, sind Symbole von sozialen Netzwerken und Nachrichtenseiten, die den arabischen Frühling quasi mitgetragen haben. Ohne die sozialen Netzwerke hätte dieser arabische Frühling so nicht stattfinden können. Die Frage ist, was ist daraus geworden? Was hat Europa damit zu tun? Sind wir nicht auch mit Schuld daran, dass es unten kracht? Basiert unser Wohlstand nicht auch darauf, dass Jahrzehnte lang Leute unterdrückt und ausgebeutet wurden? Ich zeige das in dieser Arbeit auf, ohne direkt jemanden die Schuld zuzuweisen. Ich stelle das sprichwörtlich in den Raum.

Nadia, wenn man die Arbeit so sieht, dann ist das keine klassische Ausstellung. Es steckt ein großer Aufwand mit einer langen Vorbereitung dahinter um diese Kacheln hier reinzubringen und zu platzieren, denke ich.

Nadia van der Grinten: Ja, logistisch ist das schon eine gewisse Herausforderung gewesen. Wenn man bedenkt, dass das eine Installation ist, die nur zwei Monate zu sehen ist. Wenn ich auf die Inhalte zurückkommen darf. Wenn man sich zunächst fragt: Was haben diese Bilder miteinander gemeinsam und inwiefern haben diese mit Europa zu tun. Es gibt Bilder, die an altertümliche Darstellungen erinnern und andere ganz aktuelle, die Interneticons aufgreifen. Wenn man das große, breite Thema des Austausches in der Welt, also kultureller, wirtschaftlicher Natur als Rahmen für diese ganzen Darstellungen nimmt: Flüsse von Menschen, Waren, Ideen, Gütern. Das ist eine Geschichte, die Jahrtausende alt ist. Dieses Thema ist in der Art und Weise, wie Christoph das hier zeigt, unglaublich spannend, originell und kreativ in der Vielfalt, in der Komplexität. Gerade, weil das alles alte Themen sind, die heute in den Tagesnachrichten besprochen werden. Das ist eine unglaublich subtile Art und Weise, diese Themen anzusprechen. Auch mit dieser Historie und Geschichte von Europa. Das ist eine Geschichte, die nicht erst heute angefangen hat, sondern ein paar Jahrhunderte alt ist. Wenn man das in dieser Arbeit wahrnimmt, dann versteht man über die Faszination hinaus den Leitfaden der gesamten Installation.

Dann versteht man auch die Intelligenz, die dahinter steckt. Das ist sehr vielseitig, vielschichtig und unglaublich spannend. Die Leute werden sehr stark angesprochen. Das Inhaltliche und auch die Schönheit der Arbeit ist besonders. Das hat damit zu tun, dass die Technik, die verwendet wurde, mit diesem Inhalt korrespondiert. Die Kacheltechnik ist eine uralte Technik, die durch die Jahrtausende gewandert ist und je nach kulturellem und geographischem Kontext unterschiedliche Formen angenommen hat. Die Wahl der Keramikkachel als Bildträger ist total interessant, um diese Thematik zu illustrieren oder darzustellen. Was die Installation angeht, glaube ich, dass Christoph das in den Räumen sofort als Vision gehabt hat, dass hier eine fantastische Möglichkeit besteht, diese Arbeit zu präsentieren. Man kann sich auch vorstellen, dass man ein Stück der Installation nimmt und anders zusammenstellt.

Die Installation hier ist die größte und in sich geschlossenste bisher. Ich habe erzählt, dass sich diese Arbeit entwickelt hat. Aber ohne von Anfang an auf das Thema Europa hinzuarbeiten. Es hat sich immer mehr dahin bewegt, weil meine künstlerische Praxis sehr viel mit Identität und Kultur und Herkunft zu tun hat. Die Arbeit ist über die Jahre gewachsen und so habe ich die ersten beiden Kachelbilder 2012 bei Bruch&Dallas in Köln gezeigt. 2015 war die Arbeit dann schon raumgreifend im MMK in Frankfurt zu sehen. Der Plan ist, das noch weiter wachsen zu lassen. Als ich die ersten Kacheln gemalt habe, dachte ich, es wäre schön, einen ganzen Raum zu kacheln. Jetzt habe ich zwei Räume und ich werde weiter arbeiten, bis man zum Beispiel die Decke und den Boden kacheln kann oder eine Außenfassade.

Die Ausstellung hier besteht ja aus drei Räumen. Zwei Räume, der Eingangsraum und der hintere Raum, sind gekachelt. Im mittleren ist eine Skulptur zu sehen. Es ist eine Döner-Skulptur, d.h. ein Döner, der in Bronze gegossen ist und bemalt mit Ölfarbe, so dass er aussieht wie ein echter Döner. Die Arbeit ist 2008 entstanden und ist jetzt quasi fertiggestellt, in dem Sinne, dass es eine Auflage gibt und so zum ersten Mal zum Verkauf angeboten wird. Der Döner macht hier für mich Sinn, ich sagte ja eingangs, dass es sehr viel um Herkunft, Kultur und Identität geht, und der Döner ist für mich ein Symbol des Deutschlands meiner Generation. Er wurde in den 1970er Jahren in Berlin von türkischen Einwanderern als eine Art Sandwich erfunden. Der Döner hat mittlerweile die Currywurst in der Beliebtheitsskala der deutschen Fastfood Konsumenten abgelöst und ist zu einem Symbol für Deutschland als Einwanderungsland geworden. Ein Deutschland, das viele Gesichter hat und das im Wandel ist. Der Döner aus Bronze ist im Herstellungsprozess recht aufwendig. Ein Material, das uns alle überleben wird. Somit wird der Döner auf einen Sockel gestellt als etwas Wertvolles, was eigentlich billiges Fastfood ist, und somit den Symbolcharakter und die Wichtigkeit darstellt. Das bringt auch wieder den Bezug zu dem Alltagsgegenstand, zu dem Aspekt, dass sich die Idee das Material sucht. Es gibt auch Dönerbilder oder Dönerradierungen, aber nichts ist für mich so schlüssig wie der Döner aus Bronze. So ist es eben auch in der Ausstellung. Hätte ich diese Arbeiten alle mit Tusche auf Papier gemalt, wäre ich nicht nur in 2 Wochen fertig gewesen, sondern es wäre auch eine andere Arbeit, so wie Nadia bereits sagte, dass schon alleine diese Kacheln diese Geschichte transportieren. Die Idee hat sich das Medium sozusagen selber gesucht.

Ich glaube, dass es grundsätzlich in seiner Arbeit so ist. Christoph hat in der Malereiklasse von Peter Doig studiert und trotzdem ist er unglaublich vielseitig in den Disziplinen und in den Techniken, die er anwendet. Er sucht sich nie den einfachen Weg. Ganz spannend sind die Prozesse, die eigentlich mühsame, schwierige und langwierige Prozesse sind. Zunächst hat Christoph sich auch einen Namen gemacht als Druckgrafiker. Eine der schwierigsten druckgrafischen Techniken, nämlich Aquatinta, hat er genutzt und zusätzlich mit weiteren Techniken experimentiert. Sehr faszinierende Ergebnisse. Ich habe schon sehr früh gesagt, dass es wirklich ein alchemistisches Moment in seinem Werk gibt, und es ist auch so in der Transformation der Materie selbst. Es ist schon komplex und eine bisschen magisch. Wenn man experimentiert, weiß man nicht genau, was herauskommt. Wie mit diesen Kacheln, wo man das endgültige Ergebnis erst nach dem Brennen sieht. Oder wie Bronze. Das hat auch etwas Magisches, von flüssig zu hart, und durch Schmelzen wieder flüssig. Das ist ein sehr spannender Aspekt im gesamten Werk. Auch in der Malerei ist Christoph immer auf der Suche nach neuen malerischen Möglichkeiten, die über den einfachen Farbauftrag hinausgehen. Die Werke entstehen langsam. Die Zeit ist auch wichtig, es muss reifen, es wird experimentiert. Ich glaube, dass es eine relativ seltene Haltung in der Gegenwartskunst ist, die die künstlerische Position von Christoph besonders ausmacht.

Christoph, sag uns noch etwas über die Bedeutung einzelner Motive.

Christoph Knecht: Das Motiv z.B., das aus Arabischer Schrift und einem stilisierten Telefonhörer besteht, kommt eigentlich aus der Werbung für Simkarten. Und zwar steht da „weltweit günstig telefonieren“. Das ist so gemalt, dass es quasi in der Malerei einen Schatten wirft und somit an viele Werbereklamen, die in Internetcafes angebracht sind, erinnert, wo dann die Sonne durch die Scheibe bricht und sich das doppelt spiegelt. (_) Das ist etwas, was in unserem heutigen Europa oder in unserer heutigen Heimat mehr und mehr auftaucht, diese kulturelle Vielfalt. Diese Andersartigkeit, andere Schriften, die mehr und mehr das Straßenbild prägen und unseren Alltag mitgestalten.

Nadia van der Grinten: Oder das Motiv der Demo. Aktuell sind sehr viele Menschenversammlungen in den News zu sehen. Das ist ein sehr schlaues Bild, weil man diese Menschenmasse hat und es doch abstrakt durch die Plakate ohne Schrift wird. Christoph hätte die Transparente auch beschriften können. Aber sie sind bewusst blank gelassen. Es ist eine sehr schöne Bildfindung. Christoph bringt mehrere Motive zusammen: Er geht von einer Bildquelle aus, benutzt andere Elemente, die er hinzufügt, und schafft damit sein eigenes ganz neues Bild. Das finde ich sehr spannend.

Christoph Knecht: Es ist quasi ein Sinnbild einer Demonstration. Es ist nicht klar, was es für eine Demonstration ist. Für mich ist es ein Zeichen für Demokratie und ein Zeichen dafür, einzustehen und Arbeit zu leisten, um diese Demokratie auch zu erhalten.

Ist das Kunstwerk für den klassischen Kunstsammler geeignet? Kann man einzelne Motive kaufen?

Nadia van der Grinten: Ja, es gibt die Möglichkeit, sich ein Bild auszusuchen. Das Bild wird für die Räumlichkeit, für das es vorgesehen ist, neu gemacht. Ob es z.B. das Schiff ist, oder das Tierkreiszeichenmännchen. Man kann das ziemlich genau anpassen an die Fläche, die zur Verfügung steht. Das Fantastische ist, dass man die Arbeit der Raumarchitektur anpassen kann. So kann man Gegenwartskunst z.B. in einer Küche oder in Bädern anbringen. Das ist Keramik und wird direkt an die Wand geklebt und ist dementsprechend unempfindlich im Vergleich zu Papier und Gemälden. Das wird im Gespräch mit dem Sammler geklärt, in Form einer Auftragsarbeit, ausgehend von dem, was hier zu sehen ist.

Christoph Knecht: Das Kachelbild wird nicht wie eine Malerei behandelt. Hier bin ich bereit, eine Auftragsarbeit zu machen, etwas für einen Raum zu entwerfen. Die Kacheln sind als Gebrauchsgegenstand für mich dort am schönsten, wo sie vorkommen, also im Bad, in der Küche oder ähnlichem. Was ich toll finde, ist, einen Raum dadurch mitzugestalten, eine Küche etwa. (_) Ich gehe dann dort hin und mache Entwürfe und lasse dafür etwas entstehen. Als ich zum Beispiel die Galerieräume das erste Mal gesehen habe, eine fast wohnliche Situation mit dem Kamin, dem Stuck, den Fußbodenleisten, war das für mich der ideale Ort, diese Arbeit für diese Situation zu erweitern und auszustellen. Es wurde alles angepasst, meterweise Kacheln geschnitten und gefräst. Es gibt sehr viel Ausschuss, sehr viel Material, das ich nicht mehr verwenden kann. Aber die Kacheln werden hier präsentiert, wie sie sein sollten und nicht wie etwa ein Tafelbild. In so einer Situation ist es dann wichtig, keine Kompromisse zu machen und den Weg bis zum Ende zu gehen.

Nadia van der Grinten: Ein interessanter Aspekt in dieser Technik und Verarbeitung ist die absolute Übereinstimmung zwischen Architektur und Kunst. Für Leute, die sich für Architektur und Innenarchitektur interessieren, ist es ein total spannender Ansatz, dass man beispielsweise die Tür verkleidet und die Tür Teil des Kunstwerkes wird. Es wird zu einer gesamten Einheit.

Danke Christoph und Nadia für die sehr interessanten Einblicke in die Ausstellung Europa, die noch bis zum 10. Juni 2017 geht.

Für weitere Informationen besuchen Sie www.vandergrintengalerie.com

Interview von Ralf Daab