David Hartt schafft mit seinen Fotografien, Videos, Skulpturen und Installationen pointierte Portraits unserer globalen, postindustriellen und postkommunistischen, spätkapitalistischen Gesellschaft. Der Künstler kreiert Arbeiten, welche die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verwobenheit der von ihm gewählten Themenkomplexe aufzeigen. Dabei werden ausgewählte „Orte“ für den Künstler zum Mittel, um Gemeinschaften, Erzählungen, Ideologien und den Schnittpunkt zwischen privatem und öffentlichem Leben zu untersuchen.

In seiner ersten Ausstellung in der Galerie Thomas Schulte zeigt der in Philadelphia lebende kanadische Künstler David Hartt (geboren 1967 in Montréal) eine neue Fotoserie sowie einen neuen Film, an deren Ausgangspunkt die Auseinandersetzung mit dem Vermächtnis Robert Rauschenbergs steht, der im Herbst 1980 eine Reise entlang der US-amerikanischen Ostküste unternommen und auf Fotos dokumentiert hatte. David Hartt hat eine ähnliche Reise von Boston nach Atlanta unternommen und dabei die Landschaft mit Drohnenkamera, Fotografie und Tonaufnahmen festgehalten. In seiner neuen Videoarbeit The Last Poet setzt Hartt den Fokus auf städtische und außerstädtische Gegenden, die sich durch ihre Allgegenwart und Austauschbarkeit auszeichnen statt durch einen spezifischen regionalen Charakter.

Er zeigt uns die so genannte „Northeast megalopolis“ als einen Landstrich, der durch die Umkehrung von städtischen zu suburbanen Migrationsmustern geprägt ist sowie von einer extremen Konzentration von Reichtum und Macht einerseits und der Marginalisierung und Verdrängung der Industrie und zunehmender Prekarität angesichts drohender Umweltkatastrophen andererseits. Hartts poetische Endzeitbilder des „Urban Sprawl“ werden ergänzt durch den nüchternen Kommentar des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama und Autor von The End of History and The Last Man, den Hartt im Sommer 2016 im Vorfeld der USamerikanischen Präsidentschaftswahl interviewte.

Fukuyamas Erzählung wird von einer subtilen, lyrischen Klanglandschaft aus improvisierter Musik und diegetischem Sound getragen. Im Zentrum des Films stehen Themen aus Fukuyamas Forschung zur Geschichte der liberalen Demokratien und ihrem derzeitigen Verfall mit besonderem Blick auf Europa als einem Experiment zur Entwicklung postnationaler Formen von Wirtschaft, Politik und Identität. Ein Experiment, das Fukuyama durch die Folgen der globalen Finanzkrise im Jahr 2008 bedroht sieht, namentlich durch den Aufstieg von Populismus und das wiedererstarkende Bedürfnis nach Grenzen und Staatssouveränität.

Ebenfalls in der Ausstellung zu sehen, sind drei Skulpturen verschiedener Größe. Alle drei Skulpturen haben die Form des allgegenwärtigen, vertrauten Designs eines so genannten „BN300A Walk-up Public Telephone Enclosure System“. Diese Telefonzelle ist auch in Zeiten der Mobiltelefonie und des Internets immer noch überall in den USA an Kreuzungen und vor Lebensmittelgeschäften zu finden. Sie bietet minimale Privatsphäre und so gut wie keinen Schutz vor Wind und Wetter und wurde ursprünglich speziell für von Vandalismus bedrohte Standorte entwickelt. Hartt präsentiert die Telefonzelle als erhaltenswertes „Artefakt“.

Wie auch Fukuyama sieht Hartt die USA als ein Land ohne Geschichtsbewusstsein, das immer noch mit dem historisch fundierten Gedankengut des „Frontier“ lebt, dem Traum grenzenloser Expansivität, der sich angesichts der sozialen und umweltpolitischen Folgen von Zersiedelung als veraltete und problematische bis gefährliche Ideologie erweist.

David Hartt, geboren 1967 in Montréal, lebt und arbeitet in Philadelphia, wo er als Dozent am Institut für Bildende Kunst an der University of Pennsylvania lehrt. 2015 erhielt er den Foundation for Contemporary Art Grant. 2012 war er United States Artists Cruz Fellow und 2011 wurde er mit dem Louis Comfort Tiffany Foundation Award ausgezeichnet. Wichtige Einzelausstellungen fanden in den letzten Jahren im Art Institute of Chicago (2015), LA><ART, Los Angeles (2015), und in der Or Gallery, Vancouver (2015), statt. Darüber hinaus wurden seine Arbeiten in mehreren Gruppenausstellungen gezeigt, unter anderem in Ocean of Images: New Photography im The Museum of Modern Art (2015), America Is Hard to See im Whitney Museum of American Art (2015) und Shine a light/Surgir de l’ombre: Canadian Biennial in der National Gallery of Canada (2014). Seine Arbeiten befinden sich in wichtigen öffentlichen Sammlungen wie dem Museum of Modern Art, The Whitney Museum of American Art, The Art Institute of Chicago, Henry Art Gallery, Seattle, The National Gallery of Canada, Ottawa, und The Stedelijk Museum, Amsterdam.