Entscheidungsprobleme gehören zu den häufigsten Anliegen, mit denen Menschen in mein 3-h-Coaching kommen im Coaching. Doch warum ist Entscheiden mitunter nicht so leicht? Jedenfalls für Menschen, die im Leben alles richtig machen wollen. Das erfahren Sie in meinem neuen Fallbericht.

„Können Sie mir helfen, herauszufinden, warum ich solche Entscheidungsprobleme habe? Mit Pro- und Contra-Listen komme ich jedenfalls nicht weiter.“ Das sagte Jochen G., ein 35-jähriger Diplom-Ingenieur, der mir im Online-Coaching gegenübersaß.

„Ich muss zwei ganz wichtige wesentliche Entscheidungen im nächsten halben Jahr treffen“ berichtete er. Erstens, bleibe ich in dieser Firma oder bewerbe ich mich woanders hin, denn die Verdienstmöglichkeiten hier sind begrenzt. Die zweite Entscheidung hängt damit irgendwie zusammen, nämlich ob ich mit meiner Freundin zusammen ein Kind bekomme. Wir verstehen uns super aber die finanzielle Verantwortung, zumal die ersten Jahre beschäftigt mich immer wieder.

Heutzutage können wir so viel entscheiden, wie vielleicht noch nie in der Menschheitsgeschichte. Früher fand man den Ehepartner im Dorf oder im Nachbardorf. Die Berufswahl war begrenzt durch die Möglichkeiten in der Umgebung. Heute können wir dank dem Internet – und potenzielle Ehepartner – in ganz Deutschland, oder in Europa oder auf der ganzen Welt kennenlernen. Auch die Berufswahl ist vielfältiger geworden. Vor allem auch für Frauen.

Aber hat die größere Wahlfreiheit die Menschen glücklicher gemacht? Nicht unbedingt. Denn je größer die Auswahl von etwas ist, umso länger brauchen wir meist auch für unsere Entscheidungen. Egal ob es um Weine, Urlaubsorte oder Handy-Tarife geht. Und am schlimmsten ist es für Perfektionisten.

In meinen Coachings interessieren mich immer auch die biographischen Einzelheiten eines Klienten.

„Wie kamen Sie zum Beruf des Diplom-Ingenieurs?“, fragte ich. „Mein Vater war auch Ingenieur, meine Mutter arbeitet im Controlling. Ich tat mich schwer mit der Berufswahl, wusste nicht, ob ich überhaupt etwas studieren wollte oder lieber eine handwerkliche Lehre machen soll. Da kam dann eines Tages mein Vater mit der Ingenieurs-Idee. Und da ich keinen besseren Einfall hat, schaute ich mir das an. Dass es mit Zahlen und viel Logik zu tun hatte, gefiel mir und so blieb ich dabei.“

Die wesentlichen sozialen Fähigkeiten lernt man in der Herkunftsfamilie, indem man die anderen beobachtet, wie sie das machen. Deshalb fragte ich Jochen G.: „Wie wurden in Ihrer Familie Entscheidungen getroffen?“

Der Klient schaute etwas verdutzt: „Richtige Entscheidungsprozesse gab es bei uns eigentlich nicht. Mein Vater bestimmte fast immer, was und wie etwas gemacht wurde. Also, wohin wir in Urlaub fuhren oder welche Couch für das Wohnzimmer gekauft wurde.“ „Und Ihre Mutter war damit immer einverstanden?“ „Na ja, vielleicht nicht immer. Aber sie ging Konflikten meist aus dem Weg und willigte dann ein.

Mir wurde jetzt klar, dass Jochen G. kaum eine Möglichkeit gehabt hatte, zu lernen, wie man Entscheidungen, die ja doch meist mit unterschiedlichen Meinungen und Gefühlen zu tun haben, konstruktiv regelt. Denn Entscheidungen, bei denen es mehere Wahlmöglichkeiten gibt, sind ja immer mit Konflikten verbunden. Konflikte mit anderen – oder in einem selbst.

Entscheidungen kann man nicht vertagen.

Das Vertrackte an Entscheidungen ist auch, dass man ihnen nicht ausweichen kann. Man kann sich auch nicht aufschieben. Denn angelehnt an den Satz von Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren,“ lässt sich auch feststellen:

„Man kann sich nicht nicht entscheiden.“

Menschen, die darüber noch nicht nachgedacht haben, widersprechen jetzt. Man könne eine Entscheidung doch auch überschlafen oder auf nächste Woche oder nächstes Jahr verschieben. Aber stimmt das wirklich?

Leider nein. Denn in dem Moment, wo Sie sich nicht für eine der zur Wahl stehenden Alternativen entscheiden, wählen Sie unwillkürlich den Status quo, die gegenwärtige Situation.

Warum sind Entscheidungen überhaupt manchmal schwierig? Die Antwort: Weil wir vor der Entscheidung nie alle relevanten Informationen haben. Und vorher auch oft nicht wissen, was richtig ist und was aus unserer Entscheidung als Konsequenz folgt. Am Montag weiß jeder die Lottozahlen, aber beim Ankreuzen des Scheins gibt es unendlich viele Möglichkeiten.

Dadurch entsteht, je nachdem wir wichtig die Entscheidung für den Einzelnen ist, eine große Unsicherheit, oft auch gepaart mit Angst. Hinzu kommt: Mit jeder Entscheidung, die wir treffen, eröffnen wir uns eine neue Möglichkeit, aber gleichzeitig entscheiden wir uns auch gegen alle anderen Alternativen. Von denen wir annehmen, dass sie vielleicht auch attraktiv wären. Und diese Angst, sich falsch zu entscheiden, hemmt viele Menschen.

Und so kommen Menschen auf die Idee, wichtigen Entscheidungen auszuweichen oder sie aufzuschieben. Man tröstet sich mit der trügerischen Erkenntnis, man habe sich noch nicht entschieden, da ja noch alle Optionen auf dem Tisch legen..

Der Nachteil dieser Verhaltensweise: Sich nicht zu entscheiden, führt uns ganz schnell in die Opferrolle. Denn wenn wir nicht entscheiden, tun das andere für uns oder die Umstände „entscheiden“ die Sache - und man kann nur noch reagieren.

Doch zurück zum Coaching mit Jochen G.

„Sie sagten, dass es zwei Entscheidungen gibt, die Ihnen schwerfallen. Ob Sie in dieser Firma bleiben wollen. Und ob Sie ein Kind haben wollen. Wie haben Sie sich denn bisher zu den beiden Fragen positioniert?“, wollte ich vom Klienten wissen.

„Das habe ich nicht gar nicht bewusst entschieden, das hat sich so ergeben. Die Stelle bekam ich über einen Freund, der hier schon arbeitete. Und die Frage mit dem Kind hat meine Freundin aufgebracht. Sie ist jetzt 32 und sagt, dass die Uhr tickt und wir das entscheiden müssen“ , war die Antwort von Jochen G.

Hinter der Aussage „Ich kann mich nicht entscheiden“ steckt aus meiner Sicht meist ein unbewusster Konflikt. Mit einem Experiment in Achtsamkeit will ich dem Klienten helfen, diesen Konflikt zu erleben und dadurch zu identifizieren.

Dazu entwickle ich eine Hypothese, welcher unbewusste Konflikt Jochen G. bis jetzt davon abhält, diese zwei wichtigen anstehenden Entscheidungen zu treffen. Wenn ich eine Hypothese habe, überprüfe ich diese mit dem Klienten, um zu sehen, ob wir auf der richtigen Fährte sind.

Bei Jochen G. hatte ich die Hypothese, dass er sich in eine „Opferrolle“ geflüchtet hat. Und zwar dadurch, dass er sich trotz seiner 35 Jahre innerlich noch nicht von seinen Eltern gelöst hatte und deshalb er das Erwachsensein verweigerte.

Wichtig ist bei dieser Art des Coaching, dass es nichts bringt, diese Überlegungen dem Klienten mitzuteilen. Unbewusste Konflikte müssen emotional vom Klienten erlebt werden, damit er spürt, dass die Hypothese richtig ist. Dafür bitte ich den Klienten, achtsam zu werden, im Alltagsbewusstsein funktioniert das Experiment nicht.

Dazu wähle ich, ausgehend von meiner Hypothese über den inneren Konflikt einen positiven Satz, von dem ich annehme, obwohl dieser Satz wahr ist, dass der Klient innerhalb von Sekunden mit Widerstand reagiert. Widerstand in Form von Unglauben, heftigen Gefühlen oder unangenehmen Körperempfindungen wie Druck, Enge oder Anspannung.

Zu Jochen G. sagte ich deshalb, nachdem er es sich im Sessel bequem gemacht und die Augen geschlossen hatte:

„Ich bitte Sie, mal den Satz zu sagen: »Ich bin ein erwachsener Mann.«“

Die Reaktion kam wie erwartet. Der Klient schüttelte energisch den Kopf und berichtete, dass er den Satz kaum hätte sagen können. „Fast so, als wäre der Satz eine dreiste Lüge.“

Ich fragte weiter: „Wenn Sie kein erwachsener Mann sind, was sind Sie denn dann?“ Seine Antwort kam rasch: „Na, höchstens ein Jugendlicher!“

Die spannende Frage ist jetzt, warum ein erfolgreicher Diplom-Ingenieur, der im Job täglich zahlreiche Entscheidungen trifft, bei diesem einfachen Satz, der ja eine Tatsache beschreibt, inneren Widerstand erlebt? Nun, seine Reaktion hängt mit dem unbewussten inneren Konflikt zusammen, der jetzt deutlicher wird.

Aber wieso ist dieser Satz mit dem Erwachsensein so konflikthaft für den Klienten? Dazu hatte ich noch eine Hypothese, die ich auch in einem Experiment überprüfen wollte.

Das mache ich oft mit der Methode des „leeren Stuhls“. Dazu bat ich den Klienten, sich im Geist seinen Vater in einem auf dem Bildschirm rechts neben mir zu setzen.

Während der Klient das begann, beobachtete ich ihn genau und fragte, was sich in ihm verändert habe, wenn sein Vater da sitzt. Durch diese Frage bekomme ich wichtige Hinweise auf die Beziehung zwischen Vater und Sohn.

Jochen G. antwortete: „Ich gehe innerlich auf Distanz und würde am liebsten mit meinem Sessel weiter wegrutschen. Ich werde auch ärgerlich.“

Um meine Hypothese der noch nicht vollzogenen Ablösung zu überprüfen, schlage ich Jochen G. einen Satz vor, von dem ich vermute, dass er dadurch seinen inneren Konflikt stärker spürt.

„Ich bitte Sie, mal zu Ihrem Vater den Satz zu sagen: »Ich wollte nie so werden wie du!«“

Die gefühlsmäßige Reaktion von Jochen G. war heftig. Ihm schossen Tränen der Wut in die Augen und er schrie den Satz nochmal: „Ich wollte nie so werden wie du! Nie im Leben!“

Die Ablösung von den Eltern ist für beide Seiten nicht einfach. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Ablösung zu vermeiden. Bei der ersten passt man sich an, bleibt auch meist geographisch in der Nähe. Entweder gleich im Elternhaus oder maximal 20 Kilometer Luftlinie.

Die zweite Möglichkeit, die Ablösung zu vermeiden, ist die Rebellion. Da zieht man zum Studium oder zur Ausbildung mindestens 350 Kilometer weg. Weil man frei sein will – und dafür braucht man ganz viel Abstand. Aber Rebellion ist dasselbe wie Anpassung, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

„Der Satz „Ich wollte nie so werden wie du!“ hat total gepackt“, sagte ich zu Jochen G. „Wieso?“

„Weil mir gerade bewusst wurde, dass er total stimmt. Ich wollte nie so werden wie mein Vater. So karrieregeil, so konkurrenzbetont. Mit der Folge, dass er selten für uns Kinder da war. Er war vor allem daran interessiert, wie er bei anderen ankommt. Ich fand ihn schon als Jugendlicher total spießig!“, antwortete der Klient.

„Die gute Nachricht ist: Nicht so zu werden wie Ihr Vater, das haben Sie geschafft“, sagte ich. „Die schlechte Nachricht ist: Vor lauter Rebellion gegen ihn sind Sie dabei zu versäumen, Ihr eigenes Leben und Ihre eigenen Wünsche zu finden. Deshalb entscheiden Sie sich ungern und lassen lieber andere Menschen oder die Umstände entscheiden. Und deswegen fühlen Sie sich auch nicht erwachsen. Denn erwachsen sein heißt, zu wissen, was man will – und entsprechend zu handeln.“

Im weiteren Verlauf der Sitzung erarbeiteten wir dann Möglichkeiten, wie Jochen G. sich auf eine gute Weise von seinem Vater ablösen könnte. Und woran er merken würde, dass er doch ein erwachsener Mann ist. Zu seiner Überraschung hatte er da einige sehr vernünftige Dinge, die er entscheiden wollte und war sehr optimistisch.

Bei einem Follow-up nach 2 Monaten schrieb mir Jochen G., dass er eine neue Stelle angetreten hätte. Und beim Baby-Projekt seien sie in der Übungsphase.