Mit einer soliden Mehrheit von 55,7 % der Stimmen gewann der Vertreter des extremen Populismus in Südamerika, der Wirtschaftswissenschaftler Javier Milei (1970), der den Spitznamen „der Verrückte“ trägt, gegen Wirtschaftsminister Sergio Massa, den Kandidaten des Peronismus, Kirchnerismus und des „Christianismus“, der im zweiten Wahlgang am Sonntag, dem 19. November, nur 44,3 % der Stimmen erreichte.

Mit der sogenannten Libertären Partei, die 2018 gegründet wurde, wurde Milei im darauffolgenden Jahr Abgeordneter und förderte von dort aus die Koalition „La Libertad Avanza“ (Freiheitsfortschritte), die ihn dank der von der traditionellen Rechten unter Führung des ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri übertragenen Stimmen zum Präsidenten der Republik machte.

Was kann Argentinien von einem Präsidenten erwarten, der die folgenden Maßnahmen versprochen hat? Dollarisierung der Wirtschaft, Abschaffung der Zentralbank und von 10 Ministerien, Kürzung der Sozialhilfe, Privatisierung der Renten, Verkleinerung des Staates auf ein Minimum, Militarisierung der Polizei, Erleichterung des Waffenkaufs, Verbot der Abtreibung, Genehmigung des freien Verkaufs von Organen und vieles mehr. Außerdem leugnet er den Klimawandel, hat Papst Franziskus beleidigt und ihn beschuldigt, nicht nur ein Linker, sondern auch ein „Schwachkopf und Vertreter des Bösen“ zu sein.

In Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen während der argentinischen Militärdiktatur ist er ein Leugner, der die Toten und Verschwundenen verharmlost. Er bewundert die ehemaligen brasilianischen und amerikanischen Präsidenten Jair Bolsonaro und Donald Trump sowie das ultraliberale Wirtschaftsmodell Chiles, wo er eine enge Verbindung zu den konservativsten Sektoren der chilenischen Rechten unterhält.

Wie ist also der Triumph von Milei zu erklären? Die Antwort ist nicht einfach – sie ist das Ergebnis der „peronistischen Doktrin“, die in den 1940er Jahren eingeführt wurde und die einen Wohlfahrtsstaat entwickelte, der auf dem landwirtschaftlichen Reichtum, u.a. durch Getreide-, Leder- und Fleischexporte, basierte.

Dies fiel mit der durch den Zweiten Weltkrieg verursachten Knappheit zusammen, und die immensen Mittel, die Argentinien damals erhielt, wurden in den Schutz der minderbegüterten Sektoren gesteckt. Das mythische Bild von Eva Perón, seiner Frau, war das Symbol des Wohlfahrtssystems. Auf die eine oder andere Weise haben die Regierungen diese Doktrin und das Wachstum des Staatsapparats mehr oder weniger stark aufrechterhalten.

Heute entfallen 18 von 100 Arbeitsplätzen auf den Staat, was im OECD-Vergleich eine sehr hohe Zahl ist (Mexiko 13, Chile 12, Deutschland 11). Die argentinische Wirtschaft ist gekennzeichnet durch hohe Staatsausgaben und eine Verschuldung, die sich auf knapp über 80 % des BIP beläuft, sowie eine Inflation, die im Dezember fast 150 % erreichen wird, während 40 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben. Es ist daher schwer zu verstehen, dass die Wahl des Kandidaten der Regierungspartei ausgerechnet auf den Wirtschaftsminister fiel, aber so ist Argentinien nun einmal. Seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1983 waren Inflation und Staatsverschuldung ihre treuen Begleiter begleitet. Zwischen 1983 und 1987 betrug die Hyperinflation im Durchschnitt 747,25 %. Präsident Raúl Alfonsín trat fünf Monate vor Ende seiner Amtszeit zurück.

Dasselbe geschah mit Präsident Fernando de la Rúa, dem der ehemalige Präsident Carlos Menem eine dollarisierte Wirtschaft übergab. De la Rúa regierte zwei Jahre lang, bis er 2001 inmitten einer Krise, die Dutzende von Toten und Plünderungen zur Folge hatte, zurücktreten musste. In nur einem Jahr hatte Argentinien fünf Präsidenten, bis 2003 der Peronismus unter Néstor Kirchner die Macht übernahm.

Milei hat bereits erklärt, dass er vor seinem Amtsantritt am 10. Dezember nach Israel und in die USA reisen wird, um seine Präferenzen deutlich zu machen. Argentiniens Außenpolitik wird sich den Herausforderungen des benachbarten Brasiliens und den Herausforderungen des MERCOSUR in seinen 25-jährigen Verhandlungen mit der Europäischen Union stellen müssen. Die Region könnte darunter leiden, wenn es zu einer radikalen Änderung der Abkommen und der Handelspolitik kommt. Was Präsident Lula da Silva betrifft, so hat Milei ihn als „kommunistisch und korrupt“ abgestempelt, sodass es unwahrscheinlich ist, dass der brasilianische Präsident an der Inaugurationszeremonie teilnehmen wird – ein Ritual, das unter den Präsidenten Südamerika Tradition hat.

Der Ausgang der argentinischen Wahlen wird sich auch auf das benachbarte Chile auswirken, wo am 17. Dezember eine Volksabstimmung über die Annahme oder Ablehnung einer neuen Verfassung stattfinden wird, die von einer konservativen Mehrheit ausgearbeitet wurde und das Land gespalten hat. Erneut debattieren die Bürger über den vorgeschlagenen Verfassungstext, der das vorherrschende neoliberale Modell beibehalten will und Rückschritte bei den Frauenrechten, der Beibehaltung des individuellen Systems u. a. in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Renten sowie des privaten Eigentums an Wasser vorsieht. Der vorgeschlagene Text hat die gesamte Rechte und die rechte Mitte auf eine Linie gebracht, um ein Modell zu verteidigen, das zwar für Wachstum gesorgt hat, aber auch für eine hohe Konzentration des Reichtums, die dazu führt, dass die reichsten 1 % des Landes heute 33 % des BIP besitzen.

Die friedlichen Massendemonstrationen von 2019 richteten sich gegen das Wirtschaftsmodell, das in Chile beibehalten wurde, und erzeugten Frustration. Der Sieg von Milei hat bei den linken und Mitte-Links-Kräften, die zur Ablehnung des Verfassungsentwurfs aufgerufen haben, sämtliche Alarmglocken läuten lassen. Die bisherigen Umfragen deuten darauf hin, dass eine Mehrheit dafür ist, aber bis zum 17. Dezember kann noch viel passieren, insbesondere angesichts der Mobilisierung von Ressourcen und Mitteln, über die die konservativen Kräfte verfügen. Präsident Gabriel Boric hat bereits mitgeteilt, dass unabhängig vom Ergebnis der Volksabstimmung am 17. Dezember die Verfassungsdiskussion dann bis zum Ende seiner Regierungszeit nicht wieder aufgegriffen werden wird.