Auch wenn Kunst die Grundlage einer besseren Gesellschaft sein sollte, trifft sie in ihrer Laufbahn sowohl positive als auch negative Rückwirkungen. Denn in vielen Fällen waren die kritischen Reaktionen mit politischen Einbindungen oder „modernen“ Massenbewegungen gekapselt. Im Grunde genommen war nicht die Kritik an das Kunstwerk selbst, sondern an die angebliche Figur gerichtet, die es „repräsentiert“ oder der es „gedient“ hat. In den kommenden Monaten werde ich mich abwechselnd mit diesen Kunstwerken befassen, deren Schöpfer völlig unbekannt sind und im letzten und diesem Jahrhundert oft als persona non grata erklärt wurden.

Als Beispiel möchte ich einige dieser Fälle nennen. Das Buch Erstklassige Menschen - Roman aus dem Offizierkasten wurde im Jahr 1904 ein Beweis, dass Literatur in einer sarkastischen Form auch Andere ansprechen kann. Selbst in Zeiten, in denen das Militär verhältnismäßig eng mit dem Kaiser verbunden war, durfte der Autor Wolf Ernst von Baudissin ein sarkastisches Manuskript schreiben, in dem er das Leben der Adligen eines Garden-Infanterie-Regiments beschreibt. Er selbst war adlig und Offizier und stellt unterhaltsam einen militärkritischen Stoff in diesem Roman dar. Von Baudissin verfasste mehrere Bücher und blieb allerdings in Vergessenheit.

Architekten mussten für die Entscheidung zur Verbesserung neuer Städte nach dem Krieg einen hohen Preis zahlen. Der Kaispeicher A im Hamburger Hafen, auch Kaiserspeicher genannt, war siebenundachtzig Jahre lang das Wahrzeichen des Hafens und Motiv für Souveniers und Postkarten bis in die 1950 Jahre. Er wurde von Johannes Dalmann, damals Wasserbaudirektor, im Jahr 1875 entworfen und im Rahmen des Hafenumbaus – bevor die Speicherstadt gebaut wurde – erbaut. Das Gebäude spielte die Rolle des Lagerhauskomplexes und hatte an der engsten Ecke des Kais einen Turm, dessen Spitze eine Zeitballuhr krönte. Als Backsteinarchitektur konzipiert, war der Komplex nicht nur optisch ein Kunstwerk - in Form und Gestaltung hatte es den Anschein einer Basilika -, sondern wirkte auch imposant. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er beschädigt und im Jahr 1963 abgerissen. Eine Sanierung sei zu teuer, hießt es. Obwohl der Turm intakt war, wurde er als erstes gesprengt.

Auch ein anderes Bauwerk hat, trotz Protest der Bevölkerung, dem Abriss nicht ausweichen können. Die im Jahr 1896 erbaute Garnisonkirche in Hannover - vom Architekt Cristoph Hehl – wurde im Jahr 1960 abgerissen. Hehls Entwurf war eigentlich eine Basilika, genau am Goetheplatz im hannoverschen Calenberger Neustadt Bezirk platziert. Dort und auch in der Dreifaltigkeitskirche (Bezirk Oststadt) fanden die militärischen Gottesdienste zusammen mit der Zivilbevölkerung statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Kirche nur leicht beschädigt. Da sie von den Briten beschlagnahmt wurde, blieb sie verlassen und wurde später Opfer des Zerstörungswahns. Die Gemeinde wünschte sich den Wiederaufbau; stattdessen entschied sich die Stadt für eine Überplanung des Grundstücks. Nichtsdestotrotz blieben andere Werke Hehls in Hannover erhalten: St. Benno (Bezirk Linden), St. Elisabeth (Bezirk-Zooviertel) und St. Marien (Bezirk-Nordstadt).

In Berlin sind etliche Plätze nicht nur umgebaut, sondern auch zerstört, umbenannt und überplant worden. Die ehemalige Siegesallee überlebte teilweise die politischen Umstände des Aufrufs der Republik nach dem Ersten Weltkrieg. Der Entwurf von Gustav Halmhuber war eine Spazierstraße zwischen Königsplatz (jetzt Platz der Republik) und Kemperplatz (der Name ist noch erhalten geblieben), ganz quer durch den Tiergarten; heutzutage ist es durch die Ausgrabung von 2006 erkennbar. Auf der Siegesallee wurden ursprünglich zweiunddreißig Denkmalgruppen errichtet, deren Motiv Markgrafen, Kurfürsten und Könige waren. Die Skulpturen erschuf der Hofbildhauer Reinhold Begas, der damit relativ viel Glück hatte, denn fast alle Skulpturen wurden nach dem Krieg, auch in unterschiedlichen Aufenthaltsorten, restauriert und stehen nun in der Spandauer Zitadelle als Dauerausstellung zu bewundern. Am Ende der Siegesallee sollte die Trassierung in den Kemperplatz einmünden. Der Platz sollte einen neuen Brunnen erhalten. Den vom Kaiser Wilhelm gegebenen Auftrag erhielt der Bildhauer Otto Lessing. Doch der Künstler hatte, wahrscheinlich durch die kurze Frist, viele Schwierigkeiten und konnte nur das gesamte Projekt entwerfen. Für die Ausführung beauftragte er weitere Firmen. Das Design hatte auf dem Brunnen eine Rolandfigur aus Granit.

Nach der Bombardierung Berlins wurde der Platz in vollem Umfang zerstört. Auf alten Bildern ist es noch zu sehen, dass der Sockel und der Brunnenstock genauso wie die Reliefs nicht extrem beschädigt waren. Allerdings die Roland Skulptur – von einem anonymen Bildhauer der norwegischen Firma Erik Anker Gude, im Auftrag von Lessing – die für einen besonderen Charakter und Atmosphäre am Kemperplatz sorgte (so spürt man auf alten Postkarten), überlebte die Angriffe nicht. Die Überreste wurden geräumt und müssten irgendwo, nahe Berlin, begraben sein.

Ein weiteres Denkmal in Berlin wurde Stoff für Diskussionen: das Lenindenkmal in Berlin Friedrichshain. Die DDR Regierung beauftragte dafür den russischen Bildhauer Nikolai Tomski, der schon Lenin in anderen Variationen für Städte des sozialistischen Raumes erschaffen hatte. Die neunzehn Meter hohe Statue krönte einen Kreissockel auf dem Platz. Das besondere bei dem Kunstwerk war das Material, namentlich roter Granit aus der Ukraine. Nach der Wende und während der Neugestaltung des Leninplatzes wurde der Abrisstermin festgelegt. Demonstrationen und Widerstand ließen sich hören, darunter eine Bürgerinitiative, in der Künstler, Politiker und Verwandte vom inzwischen verstorbenen Bildhauer Nikolai Tomski, verwickelt waren. Die ganze Aktion lief sogar während der Demontagearbeiten. Innerhalb meiner Recherche entdeckte ich auf einem Bild folgende Schrift auf einer Plane, die am Bauzaun hing: „Ihr Denkmalstürmer, ihr seid schlimmer als die, die einst das Berliner Schloss abreißen ließen“ und „Wann brennen die Bücher?“. Die kolossale Statue wurde in mehr als hundert Teile zerstückelt und außerhalb der Stadt vergraben. Erst im Jahr 2015 wurde der Kopf geortet und so wurde Lenin aus einem 24 jährigen Dornröschenschlaf für die Dauerausstellung in der Zitadelle, zusammen mit Adligen der Siegesallee, aufgeweckt.