Ein Meisterstück, ein in seiner Art einzigartiges Kunstwerk, das Jahrhunderte medizinischen Wissens in sich vereint: Das ist der Kitâb al-Diryâq (das Traktat über den Theriak), ein faszinierender arabischer Kodex, von dem Aboca Edizioni jüngst ein Faksimile für Sammler verwirklicht hat. Bekannt auch unter dem Namen „Theriak aus Paris“, da eines der bedeutensten Zeugnisse des Manuskripts in der Pariser Nationalbibliothek aufbewahrt ist (arabische Kennzeichnung: 2964). Dieser arabische Kodex beschreibt das Theriak, vermutlich das berühmteste und bedeutendste unter den in der antiken Welt verwendeten Arzneimitteln.

Der Name stammt vom griechischen Wort “thèrion” (wild) und suggeriert sofort, wofür dieses Präparat, zumindest zu Anfang, seine Anwendung gefunden hat: Es wurde als exzellentes Heilmittel gegen Bisse von Giftschlagen und Wildtieren erachtet. Dann in der Folge fand es breite Anwendung in der antiken Welt: Galenos erklärt, dass Theriak in der Lage sei, „die Ruhe nach dem Sturm wieder herzustellen“, und beschreibt in einem seiner Hauptwerke, dem De antidotis, die genaue Zusammensetzung und Zubereitung.

Ab dem 11. Jahrhundert begann Theriak eine bedeutende Stellung unter den im Abendland üblicherweise angewandten Arzneimitteln einzunehmen. Zu jener Zeit befand sich eine Vielzahl von Rezepturen im Umlauf, die sich untereinander sowohl aufgrund ihrer Eigenschaften, als auch der Anzahl der verwendeten Stoffe voneinander unterschieden. In einigen Fällen wurden mehr als Hundert verwendete Inhaltsstoffe aufgeführt. All diese Stoffe – tierischen, mineralischen, jedoch vornehmlich pflanzlichen Ursprungs – waren natürlich diejenigen, die als am wirkungsvollsten auf den menschlichen Organismus erachtet wurden.

Während viele Drogen, die einen Teil der Zusammensetzung des Theriak bildeten, leicht zu beschaffen waren, mussten andere sogar importiert werden: Sie gehörten der Gruppe jener teuren aus Indien und China stammenden „Gewürze“ an, deren Handel im Mittelalter eine besondere Blütezeit erfuhr. Dies trug dazu bei, dass Theriak noch seltener und kostbarer wurde: Ein schwer zugängliches Allheilmittel, das jedoch, wenn man einmal in dessen Besitz gelangte, in der Lage war, alle Krankheiten zu heilen. Um sich seines Wertes bewusst zu werden, genügt es, zu lesen, was der Apotheker Pierre Maginet 1623 schreibt: „Unter all unseren Zusammensetzungen ist Theriak die Sonne unter den Planeten, das Feuer unter den Elementen, das Gold unter den Metallen, die Zeder unter den Bäumen“.

In Anbetracht seiner Kostbarkeit ist es logisch, dass diesem Arzneimittel Werke von großem sowohl künstlerischem, als auch wissenschaftlichem Wert gewidmet wurden. Dieses Faksimile ist das Beispiel des ältesten und wertvollsten dieser Traktate, das – wie im Impressum aufgeführt – 1199 von Muhammad ibn Abi al-Fat fertig gestellt wurde. Schwieriger erscheint hingegen die genaue Bestimmung des Herkunftsortes: Man kann jedoch davon ausgehen, dass es aus dem arabischen Sprachraum der muslimischen Welt stammt.

Andererseits ist es unstreitig, dass es für einen ganz besonderen Mäzen bestimmt sein sollte, auch in Anbetracht der wunderschönen farbigen Illustrationen, mit denen es verziert ist.

Jede der 72 Seiten, aus denen der Kitâb al-Diryâq besteht, ist mit Miniaturen bereichert, durch Goldstaub „erleuchtet“, beginnend bereits auf den ersten Seiten mit dem Inhaltsverzeichnis, alle kostbar verziert und mit Zeichnungen versehen. Ebenso überraschend sind die beiden Deckblätter, die dem Mond und den mit diesem verbundenen Mythen der Magie und Astrologie gewidmet sind.

Daraufhin gelangt man zu den handschriftlichen Seiten, die mit ihren Miniaturen und den traditionellen arabisch angehauchten Motiven jeweils für sich alleine als Kunstwerke innerhalb eines Gesamtkunstwerks zu betrachten sind. Die elegante, in den gerahmten Kartuschen dieser Seiten beinhaltete Schrift wird selbst zu einem Dekorationsmuster: Der Kitâb al-Diryâq ist einer der ersten Fälle in der Geschichte, in dem die Schrift nicht nur als Mittel zur Übermittlung der Information angesehen wird, sondern in jeder Hinsicht Kunst für die Kunst ist.

Dargestellt sind in erster Linie die in der arabischen Welt verwendeten Heilpflanzen, wie beispielsweise Lakritze, Kardamon, Weihrauch, Knoblauch und Opium. Ebenso eindrucksvoll sind die Porträts von neun griechischen Ärzten, darunter Andromachos der Ältere und Galenos, alle mit ihrem Namen versehen und unter Angabe der entsprechenden Rezepturen für die Zubereitung des Theriak. Bei diesen handelt es sich natürlich um die Ärzte, die am meisten zur Entwicklung und Verbreitung des fraglichen Medikaments beigetragen haben, wie durch einige spannende Anekdoten erzählt wird, die diese Porträts begleiten. Am Ende des Bandes sind weitere elf Arzneimittel-Rezepturen auf Vipernfleisch-Basis veröffentlicht, einem Stoff, der als grundlegend für die Zubereitung der Zusammensetzung erachtet wurde.

Alles in allem sind die Mannigfaltigkeit der Personentypen und der von diesen getragenen Kleidungsstücke, die vielen Tiere, die Pflanzen und die Szenen aus dem Alltag, die auf diesen 72 Seiten bewundert werden können, als einzigartig in ihrer Art anzusehen und bilden gleichzeitig ein außergewöhnliches historisches Dokument des 12. Jahrhunderts.

Ein komplexes und faszinierendes Werk also, das ein angemessenes Kritikinstrumentarium erfordert, um jeden seiner Aspekte verstehen zu können. Diesen Zweck erfüllt das Essay, das den Kitâb al-Diryâq begleitet und in zwei mehrsprachigen Versionen herausgegeben worden ist: einer auf Italienisch, Deutsch und Spanisch, einer anderen auf Französisch, Englisch und Arabisch. Das kritische Essay, das die Beiträge von fünf Experten für Arabistik von internationalem Ruhm vereint, lässt keinen Zweifel daran, welche Bedeutung diesem Werk nicht nur vom künstlerischen, sondern auch vom naturwissenschaftlichen, archäologischen und ethnographischen Standpunkt aus zukommt. Vielfältig sind die von diesem außergewöhnlichen Kodex transportierten Bedeutungen und Symbolismen: Man denke nur an die dem Mond gewidmeten Deckblätter.
Dieser Himmelskörper wurde in der arabischen Welt mit zahlreichen Mythen und magischen Interpretationen in Verbindung gebracht, wie die Arabistikerin Anne Caiozzo in ihrem Essay I tre stati della luna gekonnt beschrieben hat. Er wurde als das weibliche Gestirn schlechthin angesehen, Beschützerin der Mütter, der Bräute und der Ammen; ferner ist der Mond auf dem Deckblatt des Kitâb von vier Engeln umringt dargestellt. In diesem Zusammenhang können sie als Symbole für die vier Elemente (Wasser, Luft, Erde und Feuer) verstanden werden, die im medizinischen Bereich seit jeher mit der Humoraltheorie in Verbindung gebracht werden, während sie in den Bereichen Astrologie und Mystik als Grundlagen für die Erschaffung angesehen wurden.

Dem Licht des Goldes gelingt es, Seite für Seite, die gesamte Faszination des Orients zu übermitteln, in einem Klima von Tausend und einer Nacht, das jeden fasziniert, der in den Seiten des Kitâb al-Diryâq blättert. Abschließend bleibt zu sagen, dass dieses Faksimile die Liebe für das Schöne perfekt mit der Überzeugung zu verbinden weiß, dass es in der enormen Bandbreite der Kenntnisse der Vergangenheit möglich ist, immer neue Anhaltspunkte zu finden, die dazu beitragen können, auch die Gegenwart besser zu interpretieren.

In Zusammenarbeit mit www.abocamuseum.it