Der Mechanismus und die Struktur eines Romans bestehen eigentlich aus verschiedenen Elementen, die von unterschiedlichen Zeiten angetrieben werden. Jedoch haben sie etwas Gemeinsames: die Verbindlichkeit untereinander.

Die Haupt- und Nebenfiguren eines Romans sind geschaffen um die Gedanken des Kunstschreibers zu verwirklichen, obwohl die Fiktion oft viele Ereignisse verhindert. Vor ein Paar Jahren beim Treffen mit Kollegen, Lesern und Freunden in einem Literaturcafé wurde mir gesagt, dass man aus der Perspektive des Lesers den Eindruck hat; die Figuren würden deren eigenes Leben führen und nicht das Leben, das der Künstler ursprünglich für sie gedacht hatte. In diesem Augenblick war ich auf den Gedanken gekommen, dass sie vollkommen Recht haben, auch wenn meine Leserperspektive extrem analytisch und gefühllos ist. Bei der Erschaffung einer Figur muss der Romancier oft auf vielfältige Mittel zugreifen: in der Regel wird eine Zusammenfassung deren Lebens oder ein Segment davon erfasst. Diese Lebensabschnitte werden als Erzählung registriert und sollte möglicherweise das Trauma beinhalten, dessen Wirkung im Roman auf das wichtigste Argument des Verhaltens hinweist. Diese Vorarbeit, die stets in der Schublade des Autors bleibt, fällt ihm ein, indem neue Details im Leben der Geschöpfe auftauchen. Sie sind für die Geschichte Stoff, weitere Szenen bereichern zu können.

Unter diesen Umständen überlegt der Autor, ob er in Wirklichkeit diese zusätzlichen „geheimen Details“ berücksichtigen kann. Denn zu diesem wichtigen Zeitpunkt merkt er, dass das eigene Leben der Figuren erwacht. Diese Überlegung ging durch meinen Kopf, als ich mich mit diesen Lesern unterhielt. Generell ist in der Literatur sogar die kleinste Information mit anderen zusammen verankert, damit der Effekt einer Aktion nicht verloren geht. Jedoch sind manche Figuren so stark, dass sie den Autor zwingen eine Szene, ein Kapitel oder sogar einen ganzen Roman umzuplanen. Dieses ist nicht sofort zu bemerken, sondern wenn der Kunstschreiber sein Werk redigiert oder liest. Der Ursprung dieser Änderungen ist gerade die Vorarbeit. Um so länger das Segment des Lebens einer Figur ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Existenz gewinnt. Dies kann bei einem großen literarischen Projekt für den Autor zum Verhängnis werden bzw. Szenen oder kompletten Kapiteln schaden. Eine ähnliche Situation passiert den Filmregisseuren; bei Dreharbeiten müssen Sie wesentlich konzentriert sein, um Fehler zu vermeiden: Objekte tauschen, Erscheinung neuer Gegenstände im Vordergrund, etc..

Für diesen Konflikt gibt es sicherlich eine Lösung. Und als würden wir mathematisch oder analytisch denken, sollte der Autor an erster Stelle an zwei Sachen denken: das Kehrverfahren durchführen – Planung und danach Vorarbeit - und mehrere Versionen der Szenen schreiben bzw. probieren. Dies bedeutet: in der Reihenfolge des schöpferischen Prozesses gibt es nun eine Verschärfung an Informationszulassungen. Wenn wir als Erstes planen und/oder parallel eine Vorarbeit machen, werden wir wiederholte Sachen registrieren müssen. Um dieses zu verhindern ist erst mal zu empfehlen die Ereignisse zu schreiben (Kapitel für Kapitel) und erst später die sogenannte Vorarbeit, die die wichtigste Charakterisierung beinhalten sollte.

Beim letzten Schritt ist zu berücksichtigen, dass das Ergebnis einer Szene den Leser fangen soll. Das feine Gefühl muss der Kunstschreiber haben, wenn er selbst die Seiten liest. Es ist wie in der Musik; beim Lesen sollte es zwar einfach gut klingen aber gleichzeitig die richtige Wirkung und den richtigen Anreiz erreichen. Falls der Wirkungsbereich sich nicht durch die geplante Weite erstreckt, hat der Autor noch die Möglichkeit innerhalb der Szene eine andere Version des Fragments einzusetzen. Je größer die Wahl an Versionen, desto besser, umfangreicher wird die endgültige Entscheidung. Trotzdem haben wir das Gefühl, wenn wir einen Roman lesen, dass Figuren tatsächlich alle Strukturen brechen. Wir können aber nicht wissen, ob Ereignisse und Charakterisierungen so vorgeschrieben wurden oder in der Fiktion die Figuren die Gravitationskraft des eigenen Willens durchgesetzt haben. Das Endprodukt in der Literatur ist eine faszinierende Erfahrung. Denn viele Leser interpretieren Kapitel oder Szenarien nur teilweise oder nicht wie der Romancier es übermitteln wollte. Auch Ähnliches passiert mit den Haupt- und Nebenfiguren; Schurken werden öfter beliebter als Helden. Die Fantasie und die unendliche Welt der Wörter machen es möglich, dass jeder Beobachter eine eigene Sicht eines literarischen Kunstwerks darauf hat.