Wer in Familienalben aus den zwei Dekaden zwischen 1930 und 1950 blättert, wird Biografien finden, aber kaum Geschichte. Die Fotografien erwecken den Eindruck, dass das Leben der meisten Familien in dieser Zeit ein ewiges Wochenende war. Die Diskrepanz zwischen den Bildern und unserem historischen Wissen über diese Jahre und ihre Katastrophen ist auffällig. Wie kommt sie zustande?

Acht Alben aus den Jahren zwischen 1932 und etwa 1955 überliefern Fragmente des Lebens von Ferry S.. Er arbeitet an einem Institut für Bodenbiologie, fährt nach Graz, in die Wachau und an die Ostsee. Dort beobachten die Badeurlauber neugierig, wie ein U-Boot an dem Pier anlegt, auf dem sie sich sonnen. Abgesehen von einigen Bildern, die Ferry in Uniform zeigen, sind das die einzigen Aufnahmen, die darauf hinweisen, dass die Zeiten nicht so friedlich waren, wie sie erscheinen. Ausgiebig fotografiert er die Zimmer, in denen er lebt, seine Eltern, die er besucht, die Frauen, mit denen er reist; nicht selten gibt er ihnen die Kamera, so dass auch von ihm viele Bilder in den Alben sind. Der Frühling 1945 muss besonders schön gewesen sein – man sieht Ferry mit seiner Frau im Prater, sie mit Sonnenbrille, er im langen Mantel, beide mit elegantem Hut. Es ist schwer vorstellbar, dass der Krieg und sein Ende sie unberührt gelassen hat. Aber sie fotografierten, als ob sie sich daran nicht erinnern wollten.

Die private Fotografie erweist sich damit gerade nicht als ein Medium der umfassenden Erinnerung. Im Akt des Fotografierens wird die zukünftige Betrachtung vorweggenommen; was dann erscheinen soll, ist ein gutes Leben. Mit Hilfe der privaten Fotografie lässt sich vorausschauend und im Rückblick die Kontinuität der eigenen Existenz in und auch gegen die Geschichte herstellen und verteidigen, über alle historischen Brüche, alle Traumata, alle Schuld hinweg.

Mit der Ausstellung „Alle antreten! Es wird geknipst!“ wird zum ersten Mal ein größerer Bestand der privaten Fotografie in Österreich eingehend und öffentlich untersucht. Vorbereitend haben die beiden Kuratoren Herbert Justnik und Friedrich Tietjen hunderte von Alben und tausende von Fotografien gesichtet; zusätzlich wurden im Rahmen von Albensichtungen mehr als 30 Gespräche mit Besitzer*innen von Alben geführt und aufgezeichnet. Ziel war es dabei, die private Fotografie als Gewebe von Praktiken zu verstehen, die Bilder hervorbringen, zirkulieren lassen und zu sehen geben. Dass die Anlässe und Motive vieler Bilder außerordentlich ähnlich sind und dass sie sich über die Zeit kaum verändern, ist dabei Ausgangspunkt für Forschungen, denen die Ausstellung Raum geben wird.

Während der Laufzeit werden Kolleg*innen aus dem Aus- und Inland die Bestände an Arbeitsplätzen im Ausstellungsraum eingehender untersuchen; diese Arbeitsplätze stehen allen Interessierten zur Verfügung, die entweder vorhandene Bestände untersuchen oder auch ihre eigenen Alben mit anderen vergleichen wollen. Die Ergebnisse dieser Tätigkeiten werden unmittelbar in die Ausstellung eingespeist, deren Display sich damit dynamisch verändert. An den Wänden wird sie anhand von Bilderwolken aus gescannten Fotografien beispielsweise zu sehen geben, welchen Niederschlag das Jahr 1938 in der privaten Fotografie fand, wie Familienfeste zwischen 1930 und 1950 aussahen oder welche Bildtypen ein glückliches, erfülltes Leben darstellen. In Vitrinen werden schließlich die technischen und ästhetischen Grundlagen der privaten Fotografie vorgestellt: Wie wurden die Bilder aufgenommen, wie wurden sie vervielfältigt, und wie wurden sie gezeigt?