In der heutigen Zeit ist es fast alltäglich, dass bei Konferenzen, in der Teilnehmer auf Grund der Sprache den Ablauf nicht verfolgen können, das Simultan-Dolmetschen angewendet wird. Dabei handelt es sich prinzipiell um keinen einfachen Vorgang, bei dem der Dolmetscher fast in der gleichen Zeit, in der er eine Aussage versteht, für das Publikum diese in eine andere Sprache umsetzt. Beide, Dolmetscher und Publikum, sind mit speziellen Geräten (Mikrophon und Kopfhörer / Kopfhörer) ausgerüstet. Dolmetscher müssen eine gewisse Einheit an Informationen verstehen um diese dann zeitnah wiederzugeben. Die Verzögerung zwischen Aufnahme und Wiedergabe in die Zielsprache liegt bei ca. 7 oder 8 Sekunden, wobei der Sprachmittler unter einem riesigen Druck arbeitet. Denn es ist nicht nur die kurze Zeit, die ihm für die Umsetzung zur Verfügung steht, sondern dass er beim Wiedergeben bereits die nächste Informationseinheit aufnehmen muss. Diese Arbeit wird meist nur von ausgebildeten Personen geleistet. Selbst erfahrene Dolmetscher sehen sich hier größten Anforderungen ausgesetzt.

Die Geburtsstunde dieses Berufes waren nicht mehr und nicht weniger die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher des Zweitens Weltkriegs. Für Experten war es das größte und wichtigste historische Ereignis des XX Jahrhunderts. Aber ganz unabhängig von der Wichtigkeit und Notwendigkeit dieser Prozesse ist es hier nur konsequent, pragmatisch, logisch und analytisch zu fragen, ob es richtig war, ein unausgegorenes, experimentell und zum Teil primitives Verfahren beim wichtigsten Prozess gegen die Unmenschlichkeit als Lösung anzuwenden. Auf jeden Fall war der 20 November 1945 der Tag, an dem zum ersten Mal Dolmetscher in einer Kabine mit Mikrophonen und Kopfhörer gedolmetscht haben.

Bei meiner Recherche hatte ich keinen einfachen Weg vor mir und der Zugang zu diesen spezifischen Informationen ist ziemlich eingeschränkt, zumindest was deutsche Publikationen angehen. Da mich das Thema schon immer bewegt hat und ich im Laufe der Jahre alle Bücher, Videos, Zeitungen und Zeitschriften darüber gesammelt habe, kann ich nun diesen Artikel schreiben. Meine Neugier führte mich zu vielen Fragezeichen; wer diese Menschen waren, wie sie sich beim Dolmetschen gefühlt haben, ob sie mit der neuen Technik überfordert waren und ob sie überhaupt simultan gedolmetscht haben. Die Namen der Dolmetscher und Übersetzer wurden für längere Zeit geheim gehalten und erst in den 70er und 90er Jahren wurden Erinnerungen und Essays veröffentlicht, aus denen sich mehr oder weniger ein gesamtes Szenario und vor allem Namen rekonstruieren ließen. Bei den etwa vierzig Namen, denen ich sogar ein Profil zuordnen konnte, fehlen teilweise einige wichtige Informationen, wie Nationalität oder Zielsprache. Die Gründe für den Schutz dieser Informationen sind nicht öffentlich zugänglich. Selbst in den offiziellen Dokumenten gibt es Unstimmigkeiten, die wiederum vermutlich in den Archiven der Siegermächte vollständig sein sollten.

Auch ist es zu beachten, dass die Dolmetscher in ihren Memoiren und Essays und auch in den Interviews, die sie später gaben, teils unterschiedliche Versionen der Ereignisse beschreiben. Wir sollten nicht vergessen, dass Nürnberg eine zerstörte Stadt war, die erst im Januar 1945 bombardiert und im April des gleichen Jahres besetzt wurde. Es gab ganz wenige Straßen, die meisten Wohnhäuser und Gebäude lagen in Schutt und Asche. Dort konnten die Soldaten einige Häuser einrichten. Glücklicherweise war der Justizpalast in der Fürther Straße von den Bombenangriffen relativ unbeschädigt geblieben. In diesem Haus agierten die Gestapo - und Wehrmachtabteilungen und nach dem Krieg wurde ein Teil des Gebäudes für das Justizereignis des Jahrhunderts umgebaut. Der Justizpalast und das Grand Hotel in der Bahnhofstraße waren für viele Dolmetscher Arbeitsplatz und Unterkunft in einer Stadt, wo man noch den Geruch der Bomben spüren konnte. Die wenigen Deutschen, die dort geblieben waren, durchlitten die Nahrungsmittel (rationiert auf 1600 Kalorien) und Wasserknappheit, während nordamerikanische Soldaten, Dolmetscher und Gäste voll verpflegt wurden.

Die Dolmetscher wurden den einzelnen Staaten der Alliierten einzeln zugewiesen. Das russische Team hielt sich abseits und war nicht im Grand Hotel untergebracht. Das Gästehaus wurde von den US-Armee bezogen und viele Zimmer an die Dolmetscher und Übersetzer vergeben. Außerdem bezogen sie weitere Häuser, deren Besitzer vertrieben wurden, damit mehr Kapazitäten für den Prozess zur Verfügung standen. Während der Vernehmungen und des Prozesses wurden nicht nur Dolmetscher fürs Simultan-Dolmetschen gebraucht sondern auch Übersetzer, die das ganze Tonmaterial in Dokumente bzw. Akten übertragen sollten. Youri Khlebnikow, Dolmetscher des russischen Teams, sagte in einem Interview, dass seine jüngeren Kollegen der Meinung gewesen seien, sie hätten an der Geschichte teilgenommen. Dagegen war der Aufenthalt für die Älteren ungemütlich und sie fanden es grotesk und sogar absurd beim Prozess zu arbeiten. Hilary Gaskin, Historikerin, beschreibt in ihrem Buch Eyewitnesses at Nuremberg (1990), dass das Verhalten der Soldaten nicht als Vorbild gedient habe und die Besatzung Nürnbergs mit den höchsten Militärischen Ränge, Übersetzern und Sprachmittlern eine Demütigung für die unschuldigen Zivilisten gewesen sei.

Im Prozess fanden einzelne Verhöre statt, die in den Zellen der Fürther Straße geführt wurden. In mehreren diesen Fällen kamen US-amerikanische Soldaten zum Einsatz. Zwar waren sie US-Bürger aber jüdische Abstammung. Viele von ihnen waren in anderen Ländern Europas geboren und konnten unter anderen auch Deutsch. Die Atmosphäre war nicht friedlich; neben der Euphorie des Kriegsendes herrschte beim Militär Rachsucht vor. Unverständlicherweise haben diese Soldaten bei den nicht öffentlichen Verhören gearbeitet, sodass die reine Neutralität nicht gewährleistet war . Die Situation war mit Sicherheit nicht einfach, einige hatten sogar ihre Verwandte in KZ verloren und wurden sicher von ihren Gefühlen beeinflusst. In einer Zeitschrift las ich bei der Recherche, wie ein dieser Soldaten den Ablauf beschrieb und erklärte: er sei auf dem Weg nach Hause gewesen und habe von der Ausschreibung erfahren. Dann habe er sich sofort gemeldet, gewartet bis die Zusage kam, und sei nach Nürnberg gereist. Jedoch arbeitete er dort nur ein paar Monaten und als er zurück in seiner Heimat war, beschreibt er weiter, habe er die Nürnberger Prozesse über den Rundfunk verfolgt und sich über jede Vollstreckung der Todesurteile gefreut. Eine solche Aussage eines Dolmetschers ist sicherlich ein Zeichen, dass der Hass stets präsent war und spricht dafür, dass die Wunden aus dem Winter 1945 verständlicherweise unheilbar waren. Andererseits gab es echte, für das Simultan-Dolmetschen geborene Fachleute wie Margot Bortlin (Deutsch-Englisch), deren Bild am ersten Tag um die Welt ging und die nach Aussage ihrer Kollegen die Zeit im Grand Hotel und bei der Arbeit genossen hatte. Tom Brown, ein nordamerikanischer Akademiker, blieb nur ein paar Monaten in Nürnberg, genauso wie sein Kollege John Albert. Marie-France Skuncke entschied sich für die Rückkehr, obwohl sie einen festen Platz bei der französischen Armee als Übersetzerin hatte. Eugenia Rosoff jedoch, eine französische Dolmetscherin polnischer Abstammung, arbeitete viel länger in Nürnberg, war sehr befreundet mit dem russischen Team und lebte außerhalb von Nürnberg auf dem Dorf.

Journalisten aus 20 Ländern waren nach Nürnberg gereist, darunter auch Prominente wie Erika Mann für die englische London Evening Standard, der jüngere Willy Brandt für die norwegische Arbeiderbladet, die Schriftstellerin Rebecca West (The return of the soldier, 1918) für die englische The Daily Telegraph, Ernest Hemingway (Der alte Mann und das Meer, 1952), der russische Schriftsteller Ilja Ehrenburg (Tauwetter, 1954) und die noch berühmten deutschen Schriftsteller Erich Kästner (Das fliegende Klassenzimmer, 1933) für die deutsche Neue Zeitung und Alfred Döblin (Berlin-Alexanderplatz, 1929). All diese Persönlichkeiten, die mit dem Fortschreiten der Zeiten berühmter und reifer wurden, bekamen ein Zimmer im Schloss Stein des Grafen Faber-Castell. Das adelige Haus liegt etwa 6 Kilometer entfernt von der Fürther Straße, wo der Prozess und die Verhöre stattgefunden hatten. Die Autorenberichte aller literarischen Formate sind auch sehr bemerkenswert und weisen auf eine gewisse Diskrepanz hin. Aus allen Betrachtungswinkeln wird die Atmosphäre beschrieben und vor allem wie Journalisten und Schriftsteller die Straftaten gesehen haben. Mit hervorragenden Argumenten schrieb Rebecca West zum Beispiel ein paar Jahren später einen Roman, in welchem sie versucht, die Gründe des Verrats in jener Kriegssituation darzulegen. Elemente wie Vaterland, Gerechtigkeit, Diskriminierung und Gleichgültigkeit werden genaustens untersucht und neugierig betrachtet.

Vor diesem Hintergrund und in einer mehr als halb auch moralisch zerstörten Stadt wurde ein Kommunikationsmittel verwendet, das nur ungenügend getestet war. Üblich wäre es gewesen, das Simultan-Dolmetschen stufenweise in ähnlichen Justizereignisse in neutralen Räumen mit neutralen Dolmetschern prüfen zu lassen, bis es vollständig funktioniert. Schließlich war diese Form der Übertragung noch keine normale Tätigkeit und es kann durchaus sein, dass Aussagen und Erklärungen nicht richtig vermittelt wurden. Dieser Beruf kam gewissermaßen als Frühgeburt in Deutschland zur Welt. Die Fehler kann man allerdings nun nicht mehr beheben und Schuldige zu finden, wird der Gerechtigkeit zu keinem lohnenden Sieg verhelfen.