Der Expressionismus war die Kunstströmung, die das frühe 20. Jahrhundert wie keine andere prägte. Die neue, im deutschsprachigen Raum entstandene Stilrichtung vereinte eine neue Farb- und Formgebung, die länderübergreifend zahlreiche Künstler beeinflusste. Nach einem Besuch in der National Gallery in Dublin sind es neben den Werken der alten Meister so auch vor allem die Bilder des irischen Expressionisten Jack B. Yeats, die in Erinnerung bleiben.

Yeats, der sich bereits früh durch ein hohes Interesse an Theater und Literatur auszeichnet, steht in einer Reihe mit den großen Namen der irischen Moderne. Er steht in Kontakt mit den Größen der zeitgenössischen Kunst- und Literaturszene, und versucht sich neben der Malerei auch selbst erfolgreich als Schriftsteller und Dramatiker; er verfasst Gedichte, schreibt Romane (The Amaranthers) und Theaterstücke. Seine literarischen Werke finden bei James Joyce (Ulysses) und Samuel Beckett (Warten auf Godot), mit dem ihn eine enge Freundschaft verbindet, Anerkennung.

Jack Butler Yeats wird am 29. August 1871 in London als Sohn des Porträtmalers John Butler Yeats geboren und gehört somit einer äußerst kreativen und erfolgreichen Familie an; sein Bruder ist der Schriftsteller und Literaturnobelstreisträger William Butler Yeats. Yeats wächst im Westen Irlands auf und verbringt den Großteil seiner Kindheit und Jugend in Sligo. Das Leben in diesem Teil der Insel prägt ihn für sein gesamtes Leben. Vor allem aber lebt Yeats in einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels und der politischen Umbrüche. Sein Leben wird geprägt von den schnell aufeinanderfolgenden Ereignissen in seiner Heimat: Politisch markiert das frühe 20. Jahrhundert für Irland vor allem den Endpunkt im Kampf um die nationale Unabhängikeit. Als Anhänger der republikanischen Idee in Irland verfolgt er die Ereignisse in seinem Land genau. Er fühlt sich Zeit seines Lebens dem Kampf für die irische Unabhängigkeit verbunden – er vertritt die Auffassung, ein Künstler müsse seinem Land verbunden bleiben –, engagiert sich jedoch nie aktiv politisch.

1917 geht Yeats nach Dublin, um näher am turbulenten Geschehen dieser Tage sein zu können. Nach der Niederschlagung des Osteraufstandes (Easter Rising) 1916 durch die britische Armee waren die Spannungen derart angewachsen, dass es 1919 zum offenen Konflikt kommt. Der Irische Unabhängigkeitskrieg endet 1921 mit der Abspaltung des Irischen Freistaats, dem Vorgänger der heutigen Republik Irland, vom Vereinigten Königreich.

Yeats ist somit – wie so viele seiner Zeitgenossen in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg – Zeitzeuge der Geburt eines neuen Landes, dessen Darstellung er im Folgenden maßgeblich mitprägt. Während der junge Staat auf der Suche nach nationaler Identität ist, befindet sich auch Yeats auf einer Entdeckungsreise, wenn auch einer persönlichen, kreativen.

Seine künstlerische Arbeit beginnt Yeats als Buchillustrator und Cartoonist für diverse Zeitungen und Zeitschriften wie Punch. Daneben fertigt er Poster für Theaterproduktionen an. In seinen jungen Jahren widmet er sich zunächst vor allem der Aquarellmalerei, bevor er ab 1897 beginnt, immer regelmäßiger in Öl zu malen, was ab 1905 zu seiner Haupttechnik wird. Seine frühen Werke werden noch vom französischen Impressionismus beeinflusst. Später entwickelt er sich aber immer stärker in eine expressionistische Richtung; er selbst sieht sich allerdings nie als zu einer künstlerischen Bewegung zugehörig.

Seine frühen Bilder haben einen konservativen Charakter, werden in den 1920ern aber romantisch expressiver. In dieser Zeit bewegt er sich weg von der Illustration hin zum Symbolismus. Sein ab 1920 vorherrschender Stil ist klar expressionistisch. In seinen emotionalen Werken erreicht er dramatische Effekte durch starke Farbkontraste und eine Abwendung von der traditionellen Perspektive.

Die Motive in seinen Arbeiten reichen vom einfachen Landleben im Westen Irlands bis hin zum urbanen Treiben im modernen Dublin der Zeit. Daneben befasst er sich aber auch mit Motiven aus der keltischen Mythologie. Er malt raue, düstere Landschaften, den Alltag der Menschen, aber auch Pferderennen, die Zirkuswelt, fahrendes Volk und das hektische Stadtleben. Ein dabei immer wiederkehrendes Motiv, das an die Werke des amerikanischen Realisten Edward Hopper erinnert, ist die Einsamkeit des Menschen, das verlorene Individuum in der Großstadt des 20. Jahrhunderts.

Zusammen mit der Konzentration auf die Darstellung des ländlichen Lebens belegt diese Motivik Yeats kritische Einstellung gegenüber der modernen Zivilisation, die auch als Ablehnung des englischen Herrschaftseinflusses gesehen werden kann. Geprägt von Urbanisierung und Kapitalismus, bezeichnete er diese selbst einmal als “slave civilization”.

Ab 1940 wird seine Malerei abstrakter. In seinem Spätwerk, vor allem nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1947, werden seine Arbeiten nostalgischer und expressiver, die Auswahl seiner Motive wirkt experimenteller. Während des letzten Jahrzehnts seines Lebens hat Yeats zudem intensiven Kontakt zu dem österreichischen Künstler Oskar Kokoschka (wie Yeats ebenfalls Maler, Dramatiker und Dichter), dessen Einfluss sich auf die Malerei Yeats auswirkt.

Yeats greift auf eine breitere, hellere Farbpalette zurück, er entwickelt einen Impasto-Stil in Verbindung mit freien, weiten Pinselstrichen, bei denen er die Farbe dick und oftmals mit anderen Werkzeugen als Pinseln aufträgt. Er malt mit seinen Fingern, trägt die Farbe mit dem Spachtelmesser oder direkt aus der Tube auf.

Über seine Rolle als Künstler sagte er selbst: “Das Wort Kunst ist mir ziemlich egal […]. Ich glaube, dass alle Kunst und auch Literatur etwas von der Würze des Lebens in sich enthalten muss, um gut zu sein” (1). Yeats stirbt am 28. März 1957 in Dublin. Sein Werk wurde lange Zeit geringgeschätzt. Erst nach einer Ausstellung in der National Gallery in Dublin im Jahr 1971 wurde er als einer der wichtigsten irischen Künstler des 20. Jahrhunderts anerkannt, der auch international Beachtung fand: “Yeats Alltagsszenen […] greifen die Lebendigkeit und majestätische Größe epischer Kunst auf. Sie verbinden die klassische und die zeitgenössische Welt, ästhetisches und alltägliches Leben, Symbolismus und Realismus; alles besteht gleichzeitig auf der Leinwand” (2).

Bereits zu seinen Lebzeiten fand er die Bewunderung seiner Zeitgenossen. Sein Freund Beckett schrieb über ihn: “Yeats ist der Große unserer Zeit […] er bringt Licht in die ausweglose missliche Lage unserer Existenz, wie es nur die Großen wagen” (3).

Texte von Tobias Baum

Fußnoten
(1) Jack B. Yeats, letter to John Quinn (1906), Hilary Pyle, Jack B. Yeats: A Biography, 1989
(2) Stephen Snoddy, Never Have a Narrow Heart, Jack B. Yeats: A Celtic Visionary. Exhibition catalogue, 1996
(3) John Pilling, Beckett before Godot, 1997, S. 190