Chaïm Soutine hatte keinen einfachen Start in seinem Leben, geboren im heutigen Weißrussland in eine arme, jüdische Familie, erfuhr er bittere Armut und Unverständnis für seine frühe Leidenschaft für das Zeichnen. Also ergriff er die Chance mit 20 Jahren nach Paris zu gehen, von seinem mühsam Erspartem als Gepäckträger, und lebte in einem Atelier mit gleichgesinnten Künstlern zusammen, wie Amedeo Modigliani. Davor studierte er in einer kleinen Akademie in Vilna (heute Vilnius), mit Pinchus Krémègne und Marcel Kikoïne. Er war ein brillanter Schüler, der sich nur in tragischen Themen ausdrückte. In Paris schrieb er sich in das Studio von Fernand Cormon an der Akademie des Beaux Arts ein, merkte aber schnell dass seine Besuche im Louvre, bei denen er Fouquet, Tintoretto, El Greco, Raphael, Goya, Ingres, Courbet und Rembrandt entdeckte, für ihn viel bedeutender waren als sein Studium.

Lebensmittel waren ein obsessives Thema für Soutine, da diese eine rituelle und zentrale Rolle im jüdischen Glauben besitzen und da er großen Hunger in seiner Kindheit, sowie in Paris und in Midi erfahren musste. Er schaffte einige besondere Stillleben, die symbolische, unterschwellige Bedeutungen haben. Ein Beispiel dafür ist sein frühes Werk: Stillleben mit Heringen von 1916, das sich in einer Privatsammlung befindet. Es sind nur einfache Gegenstände dargestellt, aber durch die Form und Anordnung der Gabeln, erinnern diese an Arme, die von beiden Seiten den recht schmalen Fisch umfassen möchten. Soutine vermittelt dadurch und durch die Perspektive von oben, auf clevere Weise das Gefühl von Hunger und zeigte somit schon in seinen jungen Jahren einen geistreichen Sinn für Symbolismus. Zehn Jahre später malte er oft tote Tiere und Kadaver, wie z.B. Totes Geflügel von 1925, die auf die stete Präsenz des Todes hinweisen und wieder Referenzen auf seine schwierige Kindheit sind.

Seine Vorbilder Rembrandt und Goya inspirierten ihn auch zu einer Serie von geschlachteten Ochsen: wie Rindskadaver, auch von 1925. Er platzierte eine Rinderhälfte in seinem Studio in der Rue du Mont Saint-Gotthard in Paris, und zur großen Plage seiner Nachbarn hing diese einige Tage dort und er bespritzte diese immer wieder mit frischem Blut, damit die Leuchtkraft der Farben nicht so rasch verging. Das daraus entstandene Werk wird als eines seiner Hauptwerke angesehen. Das Rindfleisch ist aufgeschnitten, in zügigen und hastigen Pinselstrichen gemalt, nackt und das Innerste dem Betrachter zuwendend. Er hatte das Talent, seine Emotionen isoliert in unbelebte Kompositionen zu transferieren. Um dies noch weiter zu verdeutlichen, passt ein Zitat aus dieser Zeit:

„Ich sah einmal den Dorfmetzger die Kehle eines Vogels aufschneiden und das Blut herausfließen lassen. Ich wollte aufschreien, aber sein genussvoller Ausdruck ließ den Ton in meinem Hals stecken… Diesen Schrei, ich kann ihn immer in mir fühlen. Dann, als ich ein einfaches Portrait meines Professors malte, versuchte ich diesen Schrei loszuwerden, aber vergebens. Dann als ich die Rinderkarkasse malte, war es immer noch dieser Schrei denn ich freisetzen wollte. Bis jetzt schaffte ich es nicht.“

Eine Verbindung zwischen Soutines Werken und den Werken von Francis Bacon kann darin gesehen werden, dass beide das dunkle Innere reflektierten, emotionale Wirren durch den Gebrauch von anthropomorphisiertem Rindfleisch darstellten, dass im Endeffekt die Psyche des Künstlers porträtiert.

Auch Porträts nehmen eine wichtige Rolle in Soutines Gesamtwerk ein. Er vermittelte die Persönlichkeit jedes seiner Modelle, besonders der weiblichen, in Posen von Unbehaglichkeit und Arroganz. Er malte auch zufällige Personen in ihrer täglichen Arbeitskleidung, die er in der besonderen Weise darstellte, da aus einem armen Elternhaus kommend, er jeder von ihnen hätte sein können und sie so widerspiegelte. Ein Bild aus einer Serie mit Konditoren, gewann die Aufmerksamkeit des amerikanischen Sammlers Albert Barnes, der darauf Soutines Notstand für immer beendete und ihn mit dem Kauf von 52 Werken berühmt und beliebter machte.

Darüber hinaus förderte Barnes ihn mehr Landschaften zu malen, in denen er die ganze Vielfalt seines Talents sah. Er wurde 1918 nach Midi geschickt, wo er inbrünstige Landschaften in Céret mit heftiger Pinselführung malte. Ein Beispiel dafür ist Céret Landschaft von 1920, das eine beunruhigende Schönheit hat, da er seine Unruhe durch eine sich im Bild neigende, schwingende Landschaft ausdrückte, mit ineinanderlaufenden Strichen und Kurven. Er malte seine traurige Sicht der Welt, die ihm begegnete.

Soutine malte nur das was er auch wirklich vor sich hatte und das was ihn aufrührte, ihn zum Malen sozusagen „zwang“. Ein Freund beschrieb diesen Vorgang folgendermaßen: „Soutine ging hinaus, auf der Suche nach irgendwelchen Bäumen, die zu malen sich lohnte. Endlich fand er ein Exemplar. Wie üblich, schaute er es mindestens zehn Mal an, ehe er sich entschloss, es zu malen. Er lief hin, kam zurück, lief wieder hin und ging so lang zwischen unserem Haus und den Bäumen hin und her, dass die Polizei auf ihn aufmerksam wurde und glaubte, er sei ein gefährlicher Verrückter.“ Inspiration verspürte er natürlich und dieser innere Drang trieb in so sehr an, dass er fast fieberhaft die Farbe auf die Leinwand auftrug. Emile Szittya beschrieb Soutines Arbeitsweise mit dem, dass er „die Farben wie giftige Schmetterlinge auf die Leinwand schleuderte“. Diese Art die Farbe aufzutragen inspirierte später mehrere Künstler des Abstrakten Expressionismus in der Mitte des 20. Jh. wie z.B. Jackson Pollock und Willem de Kooning.

Die Mischung aus Humor und Verzweiflung, Leidenschaft und Ironie in Soutines Werken, der oft fälschlicherweise als Expressionist bezeichnet wurde, trugen dazu bei, ihn als einen Virtuosen der Moderne, als besonderen und einzigartigen Künstler seiner Zeit sehen zu können.

Autorin: Elvira Sauer