Im großen Ausstellungsraum der ehemaligen Kirche (ST. AGNES | NAVE) zeigt Anselm Reyle (*1970), in seiner ersten Ausstellung für die König Galerie, auf 400 qm neue Arbeiten. Der in Berlin lebende Künstler arbeitet vorwiegend in den Medien Malerei, Installation, Skulptur und wurde unter anderem mit Soloausstellungen in den Deichtorhallen in Hamburg, der Kunsthalle Zürich und dem Arken Museum of Modern Art in Dänemark gewürdigt. Seit 2009 lehrt Reyle an der HfbK in Hamburg und sorgte 2014 mit seinem vorübergehenden Rückzug aus dem Kunstbetrieb für Aufsehen.

Imposant ob ihrer starken physischen Präsenz und doch spielerisch beweglich flimmern drei hängende Skulpturen von Anselm Reyle im Kirchenschiff von St. Agnes – eine Raute, ein Kreis und ein Quadrat. Ausgangspunkt der neuen Skulpturenserie sind geometrische Windspiele aus Metall, wie sie auf Jahrmärkten als Kunsthandwerk zu finden sind. Reyle reduziert die Form der filigranen Anhänger auf ihre Grundbestandteile und vergrößert sie, sodass die Objekte raumgreifende Dimensionen annehmen. Durch unterschiedliche Oberflächenschliffe der Windspiele wird deren Materialität betont. So ist das Quadrat mit gestisch-runden Bewegungen bearbeitet, während der Kreis lediglich Arbeitsspuren des Herstellungsprozesses zeigt. Die Raute ist grob geflext – hier greift Reyle auf einen vom amerikanischen Bildhauer David Smith verwendeten gestischen Schliff zurück, der schnell Eingang in Sub- und Populärkultur fand. Zum Klischee mutiert, wird er hier als Element der Formensprache des Abstrakten Expressionismus rekontextualisiert.

Die technisch anmutende Konstruktion dreht sich motorisiert um die eigene Achse und greift damit die Leichtigkeit und Beweglichkeit des ursprünglichen Dekoartikels auf. Die hypnotische Wirkung des rotierenden Ensembles erinnert an Op Art und steht in der Tradition von kinetischer Kunst, bei der Bewegung integraler Bestandteil der künstlerischen Arbeit ist. So wird in den eckigen Konstruktionen von Quadrat und Raute eine dynamische Wellenbewegung erkennbar, in der runden Form bewegen sich die ausgeschnittenen Kreise scheinbar mehrachsig. Im Zusammenspiel mit Licht und Schatten fächert sich die kühle, silbrige Farbigkeit der Skulpturen in ein ganzes Spektrum an Nuancen auf und wird der brutalistischen Rauheit des Raums entgegengesetzt. Mit Kreis und Quadrat wählt Reyle die ursprünglichsten aller Formen, welche sowohl kunsthistorisch als auch philosophisch, religiös und naturwissenschaftlich größte Bedeutung haben. So kann der Kreis Symbol sein für Rad, Kranz oder die sich in den Schwanz beißende Schlange und steht gleichzeitig für Komplexität, Gleichgewicht und Unendlichkeit. Der großzügige Raum von St. Agnes wird in seiner Höhe ebenso wie in seinem sakralen Charakter genutzt.

Der Rückgriff auf Vorgefundenes ist eine Konstante in Reyles Werk. Oft geht er dabei bewusst in Bereiche, wo Kunst und Kreativität als Freizeitbeschäftigung verbreitet und vermarktet werden. Die Momente des Staunens und der Faszination – im Fall der Windspiele das Zusammenspiel von Licht, Material und Form – lässt Reyle bewusst zu, hält inne und versucht, das Wesen dieser Dinge einzufangen. Durch das gezielte Herausarbeiten formaler Aspekte wird der Objektcharakter der Fundstücke in den Vordergrund gerückt. Damit einhergehend werden auch Bezüge zum kunstgeschichtlichen Kanon hergestellt und zum Teil unvermutete Parallelen aufgezeigt. Reyles Interesse gilt genau dem Moment, in dem Gestaltungsentscheidungen von dem, was gerne als Kitsch bezeichnet wird, der Formensprache der Moderne entspringen und die sogenannte Hochkultur auf Abwege geführt wird.

Parallel zu den hängenden Skulpturen zeigt Anselm Reyle zwei neue Bildtypen aus seinem malerischen Oeuvre.

Auf den unbetitelten Werken aus der Serie Zen Paintings zieht sich in gleichmäßigen Bahnen ein gerakeltes Muster über die Leinwand. Die Erhöhungen der mit Strukturpaste erzeugten Linien glänzen unterschiedlich metallisch. Zum Teil sind über mehrere Bahnen geometrische Formen mit hochglänzender Chromfolie bedeckt, die umliegenden Bereiche wurden wie mit einer Art Blattsilber veredelt. Im Gegensatz zu einem expressiven Gestus abstrakter Malerei handelt es sich hier um eine reduzierte, kontrollierte und beinahe meditative Form der Linienführung. Das Muster löst sich auf der Bildfläche und besonders zu den Rändern hin immer wieder auf. Leere und Fülle stehen in einer spannungsvollen Balance.

Für die ebenso unbetitelten Metal Scrap Paintings arrangiert Reyle unterschiedliche Formen von Metallspänen und anderen Resten aus der Metallverarbeitung auf einem schwarzen Bildträger, der mit einer transparenten Acrylglashaube verschlossen wird. Die zum Teil hochglänzenden und extrem filigranen Spiralen aus Aluminium, Stahl und anderen Metallen, werden zu einer feingliedrigen dreidimensionalen Zeichnung, deren Anmutung je nach Betrachterperspektive zwischen roher Materialität, unwirklicher Tiefenschärfe und digitalem Bildrauschen liegt.