Parallel zur Art Basel 2017 zeigt Hauser & Wirth Zürich eine Ausstellung, die zwei grosse Vertreter der amerikanischen Skulptur des 20. Jahrhunderts zusammenbringt: Alexander Calder (1898 – 1976) und David Smith (1906 – 1965). ‘Alexander Calder / David Smith’ wurde in enger Zusammenarbeit mit der Calder Foundation und The Estate of David Smith realisiert. Die Ausstellung zeichnet das Bestreben der beiden Künstler nach, die Grenzen der traditionellen Plastik auszuloten und die Parameter der Abstraktion neu zu definieren. Sie geht über die vereinfachten Vorstellungen zu den beiden Künstlern hinaus, nach denen Calder der raffinierte Extrovertierte ist, der die Pariser Avantgarde anführte und die Einfachheit der Abstraktion in Gang setzte, während Smith als zurückgezogen in den Bergen arbeitender Eisenplastiker gilt, als Erschaffer rätselhafter, höchst unterschiedlicher Chiffren, der die dreidimensionale Form in die Generation des Abstrakten Expressionismus einführte. Die Ausstellung wirft nicht nur ein Licht auf die tiefere Komplexität der Leistungen dieser beiden modernen Meister, sondern wird auch durch den Dialog zwischen ihnen bereichert. Neben intimeren werden auch grossformatige Werke aus vier Jahrzehnten in den Blickpunkt gerückt. Die Präsentation zeigt auf, wie sich Calder und Smith im Verlauf ihrer Entwicklung häufig die gleichen künstlerischen Fragen zum Wesen der Skulptur stellten, jedoch im Streben nach ihrer persönlichen ästhetischen Identität zu ganz unterschiedlichen Lösungen gelangten.

1962 wurden Calder und Smith zur Teilnahme am vierten ‘Festival of Two Worlds’ in Spoleto, Italien, eingeladen. Im Genueser Stadtviertel Voltri wurde Smith ein stillgelegtes Stahlwerk zur Verfügung gestellt, wo er innerhalb von nur 30 Tagen aus Altmetall und Fundstücken aus der aufgegebenen Industrieanlage 27 Skulpturen schuf. Calders Beitrag zum Festival war das schwarz bemalte Stahlstabile ‘Teodelapio’ (1962), eine über 17 Meter hohe Monumentalskulptur, die noch heute vor Ort steht. Die über ganz Spoleto verteilte Ausstellung gehörte zu den ersten, in der die beiden Künstler nebeneinander gezeigt wurden. Rückblickend befanden sich beide Plastiker damals auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Sie nutzten die Zugfestigkeit von Baumetall, um Objekte zu gestalten, die so radikal und dynamisch waren, dass ihre Konfigurationen ans Unmögliche zu grenzen schienen. Seither wurden Calder und Smith kaum mehr im Dialog miteinander ausgestellt.

Calder wie auch Smith stellten die Prämisse in Frage, wonach Masse für die Skulptur wesentlich sei. Beide beherrschten die visuelle Sprache der Malerei und der Zeichnung: Verwendung der Linie, von zweidimensionalen Ebenen und von Farbe. Durch das Verwischen der Grenzen zwischen Zeichnung, Malerei und Skulptur schufen sie innovative, geistreiche neue Werke. In den kleineren Arbeiten in der Ausstellung schwingt die Idee der ‘Zeichnung im Raum’ mit – eine Formulierung, mit der Kritiker 1929 Calders Drahtskulpturen beschrieben. Bei seinem Mobile ‘Red Flowers’ (1954) kombiniert Calder archetypische abstrakte, teilweise perforierte Elemente zu einer organischen Komposition. Damit beschwört er die Tradition der Blumen-Stillleben herauf, verleiht seiner Skulptur jedoch Bewegung und ein Gefühl von Lebendigkeit. Smiths ‘Swung Forms’ (1937), eine fein austarierte Schweissstahl-Komposition, belegt Edward Frys Feststellung, dass die Linie in Smiths Skulpturen wie in seinen Zeichnungen als auf ihr Wesen reduzierte Form verwendet wird, als Umriss und als eigenständige Geste. In diesem eigenartigen, eleganten Werk, in dem biomorphe Form und lineare Struktur im Gleichgewicht stehen, verschmelzen Verweise auf surrealistische Inhalte mit einer aktiven Gestik, die ein Jahrzehnt darauf zum Markenzeichen der New Yorker School werden sollte.

In vielen Arbeiten wird deutlich, wie die beiden Künstler Farbe einsetzten, um die Wahrnehmung des Betrachters von dreidimensionalen Objekten zu verändern. Bemalte Plastiken waren zwar kein neues Konzept, doch in einer Zeit, in der die ‘Materialtreue’ als Standard galt, war dieses Vorgehen unüblich. Die mit kräftigem Kobaltblau und Rot bemalten Scheiben von Calders stehendem Mobile ‘Untitled’ (1967) zeigen exemplarisch den für sein Schaffen typischen harmonischen Umgang mit Farbe auf. Derweil versah Smith bei ‘Zig I’ (1961) die rostbraune Oberfläche seiner mosaikartig zusammengesetzten Monumentalskulptur mit federleichten schwarzen Pinselstrichen und nutzte damit die gestische Energie des Abstrakten Expressionismus. Calder setzte Farbe ein, um die unterschiedlichen Bestandteile einer Komposition hervorzuheben. Zwei unbetitelte Plastiken aus den Jahren 1936 und 1943 zeigen die meisterhafte Nutzung einer polychromen Palette, die im Zusammenspiel mit der Bewegung des Betrachters die räumlichen Ebenen der Werke hervorhebt. Demgegenüber betonte Smith mit der bemalten Oberfläche die strukturelle Komplexität der Skulptur. Mit ihren malerischen Elementen in gesprenkeltem Grün, Ocker, Gelb und Braun steht die Arbeit ‘Untitled’ (1954) für Smiths Bekenntnis zur visuellen Natur der Bildhauerei und zur Überwindung der Grenze zwischen den Medien Malerei und Skulptur. Bei beiden Künstlern fordert die Verwendung von Farbe auf Metall den Betrachter heraus, seine Beziehung zur Skulptur auf eine neue und andere Art zu erleben. Die Werke von Calder und Smith schufen auch eine neue Beziehung zwischen der Skulptur und dem sie umgebenden Raum. Beide Künstler profitierten von einer vermehrten Verfügbarkeit der Industriematerialien Stahl und Eisen, welche ihnen neue Möglichkeiten hinsichtlich Grösse und Gewicht boten. Durch die Schaffung einer neuen Grössenordnung für die Bildhauerei forderten sie den Betrachter auf, das Werk und seinen räumlichen Kontext gemeinsam wahrzunehmen und formten damit die herkömmliche Wahrnehmung von einem Platz oder einem Hügel buchstäblich um.

Sie bestanden auch darauf, dass die Skulptur vermehrt das Zeitgefühl des Betrachters anspricht – Plastik als performatives Medium, das sich körperlich erfahren lässt, nicht bloss als statisches Objekt, das betrachtet werden kann. Während sich Calders hängende Mobiles durch ihre spielerischen Bewegungen auszeichnen, sind seine Stabiles und stehenden Mobiles auf das Konzept von Zugspannung und Stabilität ausgerichtet. Gleichwohl schwingt in ihnen Energie mit. Ein solches Beispiel ist ‘Extrême porte à faux III’ (1969): Obwohl der lange, gebogene, horizontale Draht fest in einer stabilen schwarzen Metallbasis verankert ist, scheint er unzureichend, um das Gewicht des Mobiles zu tragen, das elegant von seiner Spitze baumelt. Mit seiner dem Himmel zustrebenden Spannung stellt er die Gesetze der Physik in Frage und belegt Calders kompositorische Genialität. Das kleine integrierte Mobile bildet einen wunderbaren Kontrapunkt und wirkt so leicht, dass es zu näherer Betrachtung einlädt. Bei Smiths ‘Construction on Star Points’ (1954 – 1956) rufen die gestische Wucht und die Windungen der geometrischen Konstellation eine Dynamik und das Gefühl einer Aufwärtsbewegung hervor, das über die statische Natur dieser Stahlarbeit hinwegtäuscht. Mit seinem Mix von poliertem Edelstahl und bemaltem Stahl ist das Werk ein Beispiel dafür, wie der Künstler die Skulptur als facettenreiches Bild auffasst, das vom Raum durchdrungen wird: Bewegt sich der Betrachter um die Plastik, verändert sie sich laufend und aus jedem neuen Blickwinkel entsteht ein neues Bild. Sowohl für Calder als auch für Smith musste die Skulptur in Verbindung mit dem umgebenden Raum und dem Körper betrachtet werden.

Zu dieser Ausstellung gibt Hauser & Wirth Publishers einen neuen Katalog heraus: ‘Alexander Calder & David Smith’ enthält neben Texten von Elizabeth Hutton Turner und Sarah Hamill Fotos von Ugo Mulas, der den beiden Bildhauern 1962 in Spoleto begegnete und sie anschliessend sein Leben lang fotografisch begleitete.