Die galerie lange + pult freut sich, die erste Einzelausstellung der Berliner Künstlerin Madeleine Boschan (*1979/D) in ihrer Züricher Galerie zu zeigen. Für die Ausstellung BB 105 /146 entwickelte die Künstlerin eine Serie von sechs farbigen Skulpturen aus Schichtholz sowie eine großformatige Skulptur aus lackiertem Metall, deren Körper an archaische Architekturen längst vergangener Zivilisationen erinnern. Die minimalistischen Objekte untersuchen Fragen zu Raum, Architektur und kulturellem Gedächtnis, wobei ihre suggestive Wirkung über das Sichtbare hinaus verweist.

Die Künstlerin verknüpft strukturelle Klarheit mit Modellhaftigkeit, was den Arbeiten eine subtile innere Spannung verleiht. Frei im Raum stehend können die Werke aus verschiedenen Perspektiven betrachtet und erfahren werden. In ihrer Grundform leicht variiert, legt jeder Blickwinkel neue Durchsichten, veränderte Licht- und Schattenwürfe, Farbnuancierungen, Höhen und Tiefen frei. Fein orchestriert, rhythmisieren sie den Ausstellungsraum, laden ihn auf.

Farbe behandelt Madeleine Boschan als eine eigenständige Qualität. Sie verleiht ihren Arbeiten eine geerdete Ruhe und starke sinnliche Präsenz. Die intensive Farbwirkung basiert auf Spinellpigmenten vulkanischen Ursprungs, wie sie bereits seit der Antike verwendet werden. Diese entstehen bei der Umwandlung von Basaltlava in Tonminerale. Im Verlauf dieses Vorgangs werden der Lava alle wasserlöslichen Bestandteile entzogen. Übrig bleiben nur rötlich-schwarzes Eisenoxid sowie Aluminiumoxid, das eine intensive Palette von Blau, Violett, Magenta, Mint und Gelb erzeugt. In Eitempera gebunden, werden die Pigmente in fünf Lagen mit einem Pinsel aufgetragen. Der nie homogene Pinselduktus, das Pastose der Farbe verschafft den Objekten Körper und Gewicht, definiert Raum. Dieser repetitive Prozess fügt der künstlerischen Arbeit von Madeleine Boschan ein weiteres wesentliches Element hinzu: ähnlich einem meditativen sich Hineinversenken ist es für sie eine abschliessende, sehr direkte und persönliche Interaktion mit dem Kunstwerk.

Wie kaum eine andere künstlerische Strömung hat die Minimal Art ‘place and presence’ zum integralen Bestandteil des Kunstwerks gemacht. Formal reduzierte Skulpturen aus modernen, kühlen Materialien sollten direkt mit dem Raum interagieren und den Betrachter involvieren. Aus poveren Materialien wie Blech und Schichtholz von Hand hergestellt und in Farbe gefasst, zeichnen sich Madeleine Boschans Arbeiten durch eine Ökonomie der Mittel aus, die im offenen Gegensatz zur Fetischisierung des Materials und inhaltlichen Verweigerung durch die Minimalisten steht. Aus dieser gewollten Diskrepanz läßt die Künstlerin ein Reibungsfeld entstehen, das ihrem mit kulturellen Referenzen aufgeladenen Werk eine eigene Qualität verleiht.

Der Titel "Une écriture corporelle" ist einem Essay des französischen Symbolisten Stéphan Mallarmé entlehnt. In dem 1883 entstandenen Grundlagentext für das utopische Theater skizziert Mallarmé die Theorie vom Tanz als "Schreiben mit dem Körper", der „Zeichen in den Raum einschreibt“. Der Tänzer gerät dabei zu einer Metapher, in der die für das Schreiben charakteristische Spannung zwischen Bewegung und Stillstand physisch zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne können Madeleine Boschans Skulpturen als Zeichen verstanden werden, die sich nicht selber repräsentieren, sondern erst durch den sie umkreisenden Betrachter aktiviert werden. Es geht weniger um das, was ein Kunstwerk bedeuten kann, sondern um das, was es durch die Interaktion mit dem Raum beim Menschen bewirkt.

Die Künstlerin dringt mit ihren Werken in einen subjektiven, musikalischen Raum vor, der sich durch Klang, Raum, Pause, Stille, Rhythmisierung, Wiederholung und Position definiert. Diese nahezu physisch wahrnehmbaren Parameter machen den Gang durch die Ausstellung für den Besucher zu einem selbstreflektiven Prozess, in dem er sich permanent neu verorten muss. Insbesondere die begehbaren, metallischen Objekte, lassen die sinnliche Verdichtung von Wahrnehmung und Raum spürbar werden. Raum ist für Madeleine Boschan immer auch von sozialer Bedeutung. Bereits in den 60er Jahren diskutierten Vertreter des süddeutschen Minimalismus die Interaktion von Kunst und Architektur unter artifiziellen Begriffen wie „Farbwege“ oder „Farbräume“ mit dem Ziel, neue Bewusstseinszonen für den Menschen zu schaffen. Boschan verschiebt diese utopische Vision auf eine qualitativ andere Ebene, auf der für den Menschen die physisch-spirituelle Erfahrung von Kunst und Raum in den Vordergrund rückt.