In der Antike waren sie fast immer nackt. Griechische Götter, Krieger und Olympioniken in ideal-harmonischer Komposition. Der menschliche nackte Körper war der des Mannes. Die Renaissance exerziert den Typus des schönen nackten Jünglings an Heiligen- und Märtyrerdarstellungen. Als vom Kreuz abgenommener Christus, das Geschlecht nur von einem leichten Lendentuch verdeckt, oder mit Pfeilen geläuterter Heiliger Sebastian, mehr in sinnlicher Entspannung als in körperlicher Qual, transportieren sie ein Schönheitsideal. Schwebend in jenem transzendenten Moment zwischen Leben und Tod, der die Anmut des Körpers selbst beim letzten Atemzug betont. Ohne Frage spielte dabei auch ihre erotische Ausstrahlung auf den männlichen Betrachter eine Rolle.

Während im 19. Jahrhundert der Hedonismus den Heroismus ablöst und eine Faszination für den kräftigen und athletischen Körper männliche Aktdarstellungen beherrscht, wird der weibliche Körper zunehmend zum Objekt der Begierde und unterschwelliger sexueller Fantasie. Ohne sich hinter der Legitimation durch eine mythische Figur oder Allegorie zu verstecken, stehen die sexuellen Reize und die sinnliche Weiblichkeit der Körper im Vordergrund.

Der Blick auf den nackten weiblichen Körper ist bis ins 20. Jahrhundert stets ein männlicher. Was 1975 in der Filmtheorie von Laura Mulvey als »male gaze« definiert wurde, ist in der Kunst schon lange vorher angelegt.1 Der »male gaze« macht das Subjekt zum Objekt, den Körper zur Projektionsfläche des (männlichen) Betrachters. »Die Vorstellung von der Welt ist wie die Welt selbst ein Produkt der Männer, sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den sie mit der absoluten Wahrheit verwechseln« bemerkt Simone de Beauvoir 1949 in ihrem feministischem Standardwerk »Das andere Geschlecht«.

Man könnte meinen, die männliche Nacktheit hätte ein gefundenes Fressen geboten für die Künstler der Moderne, um den Spieß mit einem Paukenschlag umzudrehen und mit den Regeln zu brechen. Doch das Gegenteil ist der Fall: einige der bahnbrechendsten Werke der modernen Kunst basieren auf nackten Frauenkörpern, Picassos Démoiselles d'Avignon genauso wie Edouard Manets Olympia, Amedeo Modiglianis Nu couchés und Henry Moores Reclining Nude. »Do women have to be naked to get into the Met. Museum?«, fragen die Guerrilla Girls folglich 1993. Moderne und zeitgenössische männliche Akte sind immer noch spärlich gesät, sieht man von bekannten Beispielen wie den provozierenden Selbstporträts Egon Schieles oder den homoerotischen Fotos Robert Mapplethorpes ab. Und da liegt auch der wunde Punkt, den Martin Eder mit der Ausstellung »Martyrium« und seinen Porträts junger, nackter Männer touchiert: Wieso schwingt bei künstlerischen Darstellungen nackter Männlichkeit immer das Homoerotische oder Pornografische mit? Was lösen Bilder von nackten Männern aus, bei Männern gleichermaßen wie bei Frauen? Wo kippt die Rezeption? Bildbände über männliche Akte landen im Buchladen unter »Male Erotica«, weibliche unter »Kunst«. Was Männer erotisch finden, verkauft sich, was sie nicht erotisch finden, wird ein Special-Interest-Produkt. »Warum fällt es Männern so schwer, ihren heterosexuellen ‚male gaze' auf andere heterosexuelle Männer zu richten?«, fragt der Theologe Philip Culbertson.

Es gibt keine einfache Antwort auf all die Fragen. Die Beschäftigung mit ihnen kommt einem Martyrium gleich: sie ist quälend und langwierig, aber überfällig. Eine Lebensaufgabe, nicht nur der Kunst. Es scheint, als fühlten Männer sich in ihrer Männlichkeit bedroht, wenn sie mit dem Bild eines anderen nackten Manns konfrontiert werden. Im Umkehrschluss heißt das: Bilder von Frauen, ob in der Werbung, in den Medien, in der Kunst, dienen der Stimulation und Aufwertung des eigenen männlichen Egos. Als würde die gesellschaftliche Konditionierung auf das Macho-Sein jede andere Form von Körperlichkeit, gelebte und gesehene, verbieten. Das fängt bei Playboy und Bildzeitung an und hört bei den Harvey Weinsteins dieser Welt auf.

Martin Eder nähert sich dem Thema, in dem er es runterbricht auf eine Frage: Wieso ist es nicht möglich, einen nackten Körper neutral zu betrachten? Ohne unterbewusste Wertung oder Kategorisierung? Denn im Grunde sind die Bilder nur das: Porträts von nackten Menschen, aber diesmal eben von Männern. Die Provokation liegt allein im Auge der Betrachter*innen.