Geb. 1982 in den USA und in Berlin lebend, erhielt Lindsay Lawson ihren BFA in Bildhauerei an der Virginia Commonwealth University, ihren MFA in New Genres von der UCLA, und besuchte die Städelschule in Frankfurt am Main.

Kürzlich präsentierte sie eine Performance mit dem Titel "Choreography for Crane" im Rahmen der 9. Berlin Biennale.

Der Winter bringt Ruhe. Wir alle ziehen uns in unser Heim zurück. Platons Gestalt kehrte in seine Höhle zurück, nun wir auch in unsere. Wir versuchen der kalten Realität zu entfliehen. In diesem winterschlafähnlichen Zustand verschwindet das Bedürfnis sich zu bewegen: wir werden starr.

Genau diese Reaktion des Erstarrens auf den Winter wird in Lindsay Lawsons Ausstellung „Wokeness“ reflektiert. Die Künstlerin zeigt – zum ersten Mal in einer Einzelausstellung – abermals eine frühere Arbeit: „Der Denker“. Diese Neonskulptur befindet sich in einem permanenten, erstarrten Zustand der Kontemplation. Lawsons neue, figurative Skulpturen folgen dieser Pose des Nachdenkens. Alle sind sie gesichtslos, sie spiegeln die gewählte Blindheit gegenüber der Realität wider, von der uns in Platons Höhlengleichnis erzählt wird. Der Titel der Ausstellung bezieht sich dagegen auf ein aktuelleres Konzept des Verstehens der eigenen, wenn auch verschleierten, unmittelbaren Realität. Eine Generation, die sich mit dem Konzept der „Wokeness“ auseinandersetzt, möchte sich darüber bewusst werden, auf welche Weise sie durch die gemeinschaftlichen Strukturen individuell wie auch kollektiv beeinflusst wird.

Demnach ist der Denker ‚woke’ – und dennoch tut er nichts. Dem Denker fehlt die Autonomie oder die Motivation zu handeln. Der gefrorene Augenblick des Verstehens wird noch stärker durch die Flammen, die aus einem Mistkübel lodern verdeutlicht: Da sie aus Keramik modelliert sind und anschließend gebrannt wurden – ein Prozess, der immense Hitze erfordert um ein Bild des Feuers einfrieren zu lassen –, sind sie jeder fließenden Bewegung beraubt. Erleuchtung stellt sich im Moment des Fragens dar. Die Fotografien brennender Streichhölzer und ihrer Schatten heben die offensichtliche, wenngleich bemerkenswerte Tatsache hervor, dass Feuer keinen Schatten hat. Sie werfen Fragen zur Materialität von Energie auf. Lässt hier die Fragilität des Verstehens selbst oder die Tatsache, dass es sich auch beim Verstehen um Energie handelt, die Zweifel in den Schatten schieben?

Lindsay Lawson verändert kontinuierlich unsere Sichtweise auf das Wesen von Objekten. Indem sie einem Stuhl seinen Nutzen entzieht, macht sie ein Sitzen auf ihm unmöglich; gleichzeitig jedoch deutet sie menschliche Gegenwart durch anthropomorphes Formenvokabular und eingearbeitete, persönliche Gegenstände, wie eine drapierte Lederjacke oder ein paar Handschuhe, an. Zudem hat sie durch das Platzieren der Stühle eine vorgetäuschte menschliche Präsenz theatralisch inszeniert. Lawson gab dem Gemälde „Plato´s Inbox“ ein impliziertes Publikum. Die Installation weist Ähnlichkeiten zu Warteräumen in Krankenhäusern oder Sitzbereichen in Flughäfen auf. Die Spannung der Warteräume reflektiert die Spannung des Gemäldes, die in das blaue Licht der Mobiltelefone getränkten leeren Gesichter sind in der ständigen Erwartung einer Benachrichtigung und der andauernden Sorge des Versäumens. Das Warten auf eine Reaktion der digitalen Welt. Diese Situation vermittelt ein vages Gefühl des Unbehagens, dessen Herkunft unergründlich ist.

Die Ausstellung „Wokeness" in der Galerie Lisa Kandlhofer ist eine inverse Reflektion der jüngsten Einzelausstellung Lindsay Lawsons bei Gillmeier Rech in Berlin, in der die Künstlerin durch den Einsatz von Wasser und Nebel Bewegung und Leben innerhalb ihrer anthropomorphen Skulpturen erzeugte und so das Nebeneinanderstehen von Starre und Fließen, von menschlichem Wesen und Objekt verdeutlichte.