Kara Walker ist bekannt für die vielschichtigen Bezüge, die ihr Werk zwischen dem historischen Erbe der Sklaverei in den Vereinigten Staaten, der Entwicklung von Narrativen und kulturellen Überzeugungen, sowie der gegenwärtigen Debatte um „Race Relations“ herstellt. Seit den 1990er Jahren vollziehen ihre silhouettenhaften Wandarbeiten, Zeichnungen und Videos eine Gratwanderung zwischen Schönheit und Gewalt, Anziehung und Abstoßung, Vergangenheit und Gegenwart, und stehen gleichermaßen für ein pointiertes Storytelling. In ihrer ersten Einzelausstellung bei Sprüth Magers präsentiert die Galerie das Video Fall Frum Grace, Miss Pipi’s Blue Tale (2011) – eine Arbeit, die den souveränen Umgang der Künstlerin mit konfliktbeladenen, und gleichzeitig äußerst relevanten Sujets in den Fokus rückt.

Das siebzehn-minütige Video folgt der verworrenen Geschichte von Miss Pipi, einer „Southern Belle" (Südstaatenschönheit) mit perfekt frisiertem Haar, die sich auf eine sexuelle Begegnung mit einem Schwarzen Mann einlässt – allem Anschein nach ein Sklave. Nachdem ihre Liaison auffliegt, wird er von einer Gruppe weißer Männer geschlagen, kastriert und schließlich brutal gemordet. Die Geschichte evoziert die in den amerikanischen Südstaaten des neunzehnten Jahrhunderts tief verwurzelte, kulturell kodierte Furcht vor der sexuellen Macht des Schwarzen Mannes über weiße Frauen. Wie in vielen ihrer Filme bedient sich Walker auch hier der antiken Kunst des Schattentheaters, wobei ihre Charaktere sich als Silhouetten von den einfachen, mitunter farbenfrohen Hintergründen absetzen. Ihre Formen sind scharf konturiert, bleiben aber leer und somit bereit, durch die Assoziationen der Betrachter_innen mit Details sexueller Obszönitäten und Gewalt komplettiert zu werden.

Während Walkers Narrativ eine lineare Vorwärtsbewegung verfolgt, sorgen eingestreute Szenen für ein gewisses Maß an surrealer Abstraktion: Blüten tragende Bäume ziehen vorbei; ein Mann mit Zylinderhut tanzt zu heiterer Musik; eine Figur, halb Mensch, halb Fahrrad, rollt durch die Bildfläche. Darüber hinaus lässt die Künstlerin das Publikum flüchtige Blicke auf die Puppenspieler_innen erhaschen, unter denen auch Walker selbst ist. Regelmäßig stört dieser Vorgang die Illusion der Silhouette, verleiht der Szenerie einen Hauch von Humor, und reißt uns aus der unheimlichen Träumerei der Künstlerin zurück in den gegenwärtigen Moment. Derweil wechselt der Soundtrack des Videos von Delta Blues, über siebziger Jahre Groove-Musik, zu Ambient Noise: eine weitere komplexe Ebene in Walkers Synthese kultureller und historischer Referenzen.

Kara Walker (*1969, Stockton, USA) wuchs in Atlanta auf und lebt und arbeitet in New York. Eine Retrospektive ihres Werks wurde vom Walker Art Center, Minneapolis, USA (2007) initiiert und wanderte anschließend an das ARC/Musée d'Art Moderne de la ville de Paris; an das Whitney Museum, New York; an das Hammer Museum, Los Angeles sowie an das Museum of Modern Art in Fort Worth, Texas. Weitere Einzelausstellungen umfassen: Domino Sugar Refinery, Brooklyn, organisiert von Creative Time, New York (2014); Camden Arts Centre, London (2013); Art Institute of Chicago (2013); Center for Contemporary Art Ujazdowski Castle, Warsaw, Poland (2011) und The Metropolitan Museum of Art, New York (2006). Walker's Katastwóf Karavan wurde kürzlich als Teil von Prospect.4, New Orleans gezeigt. Weitere wichtige Gruppenausstellungen umfassen America Is Hard to See am Whitney Museum, New York (2015); Remembering is Not Enough, MAXXI, Rom (2013); die 11. Havana Biennial (2012); die Venedig Biennale 2007 und die Whitney Biennial von 1997.