Der Titel der diesjährigen Regionale-Ausstellung A Tooth for an Eye (dt. Zahn um Auge) ist einem Liedtitel entliehen, welcher das alttestamentliche Konzept der körperlichen Vergeltung heraufbeschwört, um einen anderen Tausch anzubieten.

Gleichzeitig verdeutlicht er, dass der menschliche Körper über alle Zeiten hinweg zentraler Aspekt gesellschaftlicher und politischer Systeme ist. Körper sind weit mehr als ihr Erscheinungsbild; sie sind biologische Schlachtfelder, Projektionsflächen für Fantasien, Orte der Individualität und Schauplätze für Auseinandersetzungen. Seit Anbeginn menschlicher Kultur werden sie auf unterschiedlichste Art benutzt, instrumentalisiert, manipuliert, fragmentiert, transformiert und kommerzialisiert.

Körper sind vergängliche Gefässe und zurück bleiben nur Spuren ihrer vergangenen Existenz. Trotz dieser Verwundbarkeit sind sie wie eine Ur-Architektur. Ihre Durchlässigkeit bestimmt, was und wie etwas sinnlich erfahrbar ist, und sie agieren als wirkungsvolle Werkzeuge zur Gestaltung der Welt. Alle 16 Künstlerinnen und Künstler der Gruppenausstellung, die Kunst- schaffende aus der Region vorstellt, sind sich dessen bewusst. Sie beziehen sich auf den Körper, zerlegen und abstrahieren ihn, erweitern und verwandeln ihn, um seine vielfältigen biopolitischen Dimensionen fassbar zu machen – aber mehr als das, sie gestalten und überdenken ihn neu.

Bereits der erste Schritt in die Ausstellung macht den Körper des Publikums zum Teil von Gerome Gadients Toninstallation, der die Trittgeräusche der Besuchenden aufnimmt und durch Logarithmen zur geheimnisvollen Tonspur verändert in den Ausstellungsraum einspielt. Der Körper ist auch bei den anderen Arbeiten nur durch seine Spuren und seine Umgebung, in der er agiert, präsent. So die Arbeit von Daniel Kurth Self Portrait (dt. Selbst- bildnis), welche die ausgelatschten Turnschuhe des Künstlers zeigt, aus denen ein flüchtiger Rauch aufsteigt, als ob der Künstler sich aufgelöst hätte. Den abwesenden Körper setzt Kurth auch in der Arbeit Amazing Luxury Hilltop Houses That Will Blow Your Mind (dt. Verblüf- fend luxuriöse Häuser an Hanglage, die Dich umhauen werden) ein. Hier sieht man zusammengeschnittene Werbefilme für Luxusimmobilien, worin alle Menschen entfernt wurden. Zurück bleibt die leere, hübsche Hülle einer kommerzia- lisierten Hochglanz-Welt für Menschen mit Kapital. In der Mitte des Raumes ist das GipsWerk Monobloc von Jeronim Horvat platziert.

Es sind zwei Abgüsse der weltweit am meisten verbreiteten Plastikstühle, die von der Globalisierung der modernen Warenwelt als auch von den durch sie geformten Körpern erzählen. Claudio Rasano dokumentiert in seiner Serie Everyone lives in the same place like before (dt. Jeder lebt am selben Ort wie zuvor) die Lebensumgebungen getrennt von ihren Bewohnenden. Bei dieser Auswahl an direkten, sorgsam komponierten Farbfotografien werden nur Gebäude und Konstruktionen gezeigt, in denen die Menschen spürbar abwesend sind. Im Raum 2 entfaltet sich an zwei Wänden die sich im Lauf der Ausstellung verändernde Arbeit von Philipp Hänger mit dem Titel Es gibt NUDE – und es gibt NAKED. Hänger gestaltet in Überlagerungen mit ausgewählten Fotografien (eigene sowie gefundene), Textelementen und Farbübermalungen einen visuellen Essay, der Objekt und Subjekt, körperlichen Schutz und Entblössung, Leerstellen und Bilderfülle verbindet. Ihm zur Seite gestellt sind zwei Serien an kleinformatigen Skulpturen von Jeromin Horvat aus Bronze und Plastik, die aus der modernen Fitness- und Unterhaltungsindustrie kommen, wo sie einst in den kontrollierenden Händen von Jugendlichen und Spielbegeisterten ruhten oder als FahrradFlaschenhalter fungierten – wie seltsame Pro- thesen irgendeiner zukünftigen Welt. Weitere Objekte der Konsumwelt üben Einfluss auf die Kunstwerke in Raum 3 aus wie bei Axel Gouala, der diverse Gerätschaften, die das Leben des modernen Menschen leichter, bequemer oder auch fitter machen sollen, mit exotisch wirkenden Plastikpflanzen kombiniert.

Diese hybriden Formen scheinen spielerisch ein Eigenleben zu entwickeln, emanzipiert von den Körpern, denen sie einst dienten. Auch die figurativen Gemälde von Camille Brès sprechen über Besitz, Situationen und Dekor, welche Menschen umgeben – menschliches Leben ist hier nur indirekt porträtiert. Alltagsgegenstände anderer Art sind die Grundlage für die Werkserie Armes Blanches (dt. Blankwaffen) von Inès P. Kubler, welche verschiedene scharfe Gegenstände (Skalpelle, Austernmesser u.a.) in Wachs einschliesst, so dass sie an prähistorische Artefakte, an die ersten menschlichen Werkzeuge, erinnern. Wie an- thropologische Exponate liegen in einer Vitrine Kasper Ludwigs Gesichter und Köpfe, deren Grundformen von Luftballon-Abgüssen stam- men. Auch Simone Steinegger fragmentiert für ihr Werk den Körper in Einzelteile und inszeniert ein klinisches Ersatzteillager des menschlichen Körpers in der Ausstellung. Die surrealistischen Züge in den Stillleben von Mona Broschár erlauben Assoziationen, die zwischen Essbarem und Innereien schwanken und in manchen Fällen einigen Lebensmitteln sogar Leben einhauchen.

Der letzte Raum beherbergt Hannah Gahlerts skulpturale Installationen. Es sind Arrangements unterschiedlichster Materialien, die weich, hart und duftend sich opulent wölben und win- den, manchmal nur vom Metallkasten oder von Keramikbändern im Zaun gehalten. Die Objekte von Dominik His wirken in ihrer Materialität dagegen kontrollierter – ihre schalenartigen Oberflächen und sorgfältig aus- gearbeiteten Formen lassen an seltsame Eier und Architekturen denken. Sie sind Studien, die wie die Werke von Gahlert, durch und über implizierte, manchmal befremdliche Körper- lichkeit sprechen. Simona Deflorins Arbeiten auf Papier sind ausdruckstarke figurative Darstellungen, welche wilde Synthesen von Göttin, Mensch und Tier wiedergeben, die voller Dynamik und dunkler Kraft sind. Im hinteren Bereich des Raumes liegt ein amorphes Objekt: eine von ihrem Inneren entleerte Matratze, neu befüllt mit dem weltlichen Besitz des Künst- lers Dorian Sari. Das Auffüllen der «Aussenhülle» eines Objektes, das vom Leben des Künstlers gezeichnet ist, macht deutlich, dass ein Bett mehr als nur Ruhestätte für den Körper ist, sondern eng mit Geburt, Leben und Tod verbunden ist. Die Figuren auf dem Triptychon von Mirjam Walter stülpen ihr Inneres fast gewaltvoll nach aussen und thematisieren malerisch Körper, bei denen enge Setzungen zwischen Innen und Aussen, dem Selbst und den Anderen, Über- schwang und Begrenzung flüchtig und instabil sind.

Konzeptionell, archaisch, experimentell, sinn- lich, expressionistisch lösen die gezeigten Arbeiten den Körper in Rauch auf, folgen seinen Spuren, isolieren ihn, zerlegen ihn in Einzelteile, zeigen die Grenzen seiner Kontrollierbar- keit auf, werfen einen scharfen Blick auf seine Umwelt und seine Positionierung darin. Wie ein Körper ist auch die Ausstellung selbst keine beständige Einheit, sondern sie verändert sich von Raum zu Raum. Es ist eine Begegnung verschiedener Strategien im künstlerischen Umgang mit Körperrepräsentationen sowie dem Verhältnis von Menschen und Objekten. Befinden sich in den ersten Räumen Arbeiten, welche mehr dokumentarische und mimetische Techniken einsetzen, so geht es in den folgenden Räumen über zu analytischen, strukturellen oder quasi-archäologischen Ansätzen. Im letzten Raum versammeln sich die abstraktesten und organischsten Formen. Ein transformativer Moment durchläuft die Ausstellung: von den eher konkreten, figura- tiven, aber auch konzeptuellen Darstellungen hin zu expressiveren Ausdrucksformen, die zugleich kognitiv und sinnlich, objektiv und sub- jektiv, psychologisch und nach innen gerichtet sind.