Sven Marquardts analoge Schwarzweiß-Fotografien wirken oft so, als hätten Gemälde der frühen italienischen Barockmaler Caravaggio und Ribera, dann aber vor allem auch spanische Siglo de Oro-Maler wie Velázquez, Murillo und Zurbarán Pate gestanden. Immer wieder sehen wir Felder tiefen Schwarzes in den Porträts, Schatten, aus denen die Gestalten herauszuwachsen scheinen. Die ausgeprägten Hell-Dunkel-Wirkungen sind nicht ein Resultat des Mediums Schwarzweiß-Fotografie, sondern ganz bewusst gewähltes Stilmittel, wofür sich das Medium aber besonders gut eignet. Mit scharfen Konturen und harten Schatten schafft Marquardt stark plastische Effekte, welche die Figuren wie Skulpturen wirken lassen. Die stilistische Nähe zu den genannten Barockmalern ergibt sich auch aus der sorgsamen Inszenierung der portraitierten Figuren: diese Fotos sind keine Schnappschüsse, sondern das Resultat eher malerischer Porträtsitzungen. Sie verdichten die Persönlichkeit des Abgebildeten zu seiner Essenz, beleuchten aussagekräftige Details und eliminieren Unwesentliches. Bei aller unleugbarer Theatralik der Haltungen und Posen vermitteln sie gleichzeitig eine unmittelbare Präsenz der Abgebildeten, welche die Brücke zurück von malerischer Herangehensweise zum Medium Fotografie schlägt.

Die von Marquardt portraitierten Personen sind keine zufällige Ansammlung, sondern stammen aus dem Bekanntenkreis des Fotografen und sind sorgfältig ausgewählt. Marquardts Interesse galt von Beginn seiner fotografischen Laufbahn an den Unangepassten, den Individualisten, den nicht-Gleichgeschalteten, sei es im Ostberlin der 1980er, wo Marquardt seine künstlerischen Anfänge hatte, oder im wiedervereinten Berlin seit 2000. Schon die erste Betrachtung der Figuren macht augenscheinlich, dass diese Menschen voller Selbstbewusstsein und fast schon schroffer, kantiger Selbstbestimmtheit sind, Helden ihres eigenen Lebens, nicht Opfer ihrer Umstände, in der Lage, sich auch in widrigen Umständen Freiräume zu schaffen. In den Körpern, Haltungen und Gesichtern manifestiert sich echte Individualität, nicht die konsum-basierte, vorgegaukelte modischer Werbeclips (nach dem Motto: kauft unsere massengefertigten Waren und folgt diesen angesagten Trends, um eure Einzigartigkeit zu beweisen). Marquardts Fotografien fangen die Unverwechselbarkeit dieser Individuen ein und verwandeln sie gleichzeitig zu Ikonen unserer Zeit, die über das Individuelle hinauswachsen.

Nach Rudel, seiner Serie von Porträts von Türstehern, folgt nun der nächste selbstironische Titel, PACK, für seine hier zum ersten Mal gezeigte Serie von Musikerportraits aus der internationalen Elektroszene, mit der Marquardt durch seine Tätigkeit für den bekannten Club Berghain seit vielen Jahren eng vertraut ist. Marquardts Hintergrund von Punk, Underground und Künstlerszene, die Milieus, welche seine Fotografie seit Anbeginn portraitiert haben, schlägt einen Bogen zur Welt rauschhaft-hedonistischen nächtlichen Feierns in den Techno-Clubs der Metropole, und gleichzeitig auch zu einem Lebensgefühl, bei dem im Rausch immer auch eine gewisse Melancholie mitschwingt, basierend auf der Erfahrung umwälzender geschichtliche Veränderungen und dem Wissen um unsere Vergänglichkeit. Ein Lebensgefühl, das uns wieder zum memento mori des Barockzeitalters zurückbringt. Wie im Medium Fotografie selbst schon angelegt, begegnen wir hier der Dialektik von flüchtigem Augenblick und zeitenüberdauernder Form.

Im Basement ist eine audio-visuelle Installation mit einem von Marcel Dettmann gemixten Soundloop zu sehen.

Geboren 1962 in Ost-Berlin, war Sven Marquardt ab Mitte der 1980er Jahre prägender Teil der aufkeimenden Punk-, New Wave- und Kunstszene des Prenzlauer Bergs. Mit dem Mauerfall ließ er seine Arbeit als Fotograf ruhen und tauchte in die sich neu formierende Clubszene Berlins ein, ab Ende der 1990er prägte ihn das Thema der 'Nacht' durch seine Tätigkeit als Türsteher des Clubs Ostgut. Seit 2004 steht Marquardt an der Tür des Berghains, maßgeblich beteiligt ist er seit 2007 am Erscheinungsbild des Labels Ostgut Ton. 2010 erschien sein erster Bildband Zukünftig Vergangen, gefolgt von Heiland und Wild Verschlossen (alle Mitteldeutscher Verlag), 2014 die Autobiografie Die Nacht ist Leben (Ullstein Extra). Seit 2015 reist Marquardt mit seinen Bildern und Projekten um die ganze Welt, folgt zahlreichen Einladungen des Goethe Instituts und lebt und arbeitet in Residency für Magazine wie Interview, Sang Bleu und L'Uomo Vogue, sowie für Labels wie Hugo BOSS, Levi’s, ITEM m6, Baldessarini und Liebeskind. Seit 2015 unterrichtet er als Dozent an der OSTKREUZ Schule für Fotografie.