Die Galerie Michael Janssen freut sich, mit ~Vollmond die erste Einzelausstellung des in Berlin lebenden Künstlers Jonathan Schmidt-Ott zu präsentieren. Schmidt-Ott zeigt großformatige Fotografien von Pferden, aufgenommen im französischen Teil des Baskenlands. Der titelgebende Mond ist ein wiederkehrendes und wichtigstes Motiv des Künstlers, und die Ausstellung eröffnet am 23. November zum vorletzten Vollmond dieses Jahres.

Gleichzeitig stellt Schmidt-Ott sein neues Buch Se così fosse (Wenn dem so wäre) – erschienen bei a+G - das beinahe ein Jahrzehnt seines künstlerischen Schaffens umspannt.

Im Sommer 2009 steht Schmidt-Ott auf einem Feld in der Nähe von Biarritz, das Rauschen des Ozeans im Ohr und die Kamera am Auge, als eine Herde von Pferden den Sucher ausfüllt. Die daraus entstehenden Fotografien dokumentieren – vor dem Hintergrund der langen Geschichte, die Mensch und Pferd miteinander verbindet und einer bis heute andauernden starken Symbolik des Pferdes – einen sehr besonderen Moment der Begegnung zwischen den Spezies.

Sechs der Bilder sind horizontal ausgerichtet, um die Pferdekörper aufnehmen zu können. Eines von ihnen ist ein Gruppenbild der Herde, eine Szene voller Dichte, voller Anspannung, die das Gefühl vermittelt, als bräche gleich das trampelnde Donnern einer Massenpanik los. „Für mich steht dieses Bild für den Tod”, sagte Schmidt-Ott in einem 2013 entstandenen Interview mit dem Architekten Johannes Schulze-Icking. Auch wenn dieses Empfinden von den frühen Filmen des Stummfilmkinos geprägt ist, in denen erschrockene Pferde regelmäßig auf Schüsse und damit auf einen gerade stattgefundenen Mord hindeuteten, geht Schmidt-Otts Kommentar auf noch weitaus ältere Überlieferungen zurück, die die Gattung Pferd aus der Familie der Equidae in Zusammenhang mit großem Unheil bringen. Man denke an die Heimsuchungen, Eroberungskriege, Hungersnöte und den allgegenwärtigen Tod in der Offenbarung des Johannes, der Apokalypse; oder, noch spezifischer, an die wildgewordenen Pferde Duncans nach dessen Erdolchung im zweiten Akt von Macbeth.

Die atmosphärische Spannung innerhalb des Bilds – eine Spannung, die sich auch in den anderen Fotografien des Zyklus zeigt – wird weiter durch den strengen kompositorischen Rahmen verstärkt, der den Pferden die Beine noch über dem Knie abschneidet. Ob mit besonderer Intention oder nicht, in jedem Fall ist es eine ungewöhnliche Entscheidung des Fotografen. Gleichzeitig ordnet sie das Bild unter formalistischen Gesichtspunkten, wenn auch auf ganz informelle Weise, einer bestimmten kunsthistorischen Kategorie zu, nämlich jener der Darstellung scheinbar schwereloser Pferde. Man denke hier zum Beispiel an die zahlreichen Darstellungen des Pferdes in den Höhlenmalereien von Lascaux, in denen die Tiere wie schwebend vor dem Hintergrund einer ansonsten leeren Felswand gemalt sind, figürliche Bewegungsstudien und Porträts eines Lebewesens, das für den Menschen seit jeher eine besondere Bedeutung hat. Und wenn Sie an die ungefähr 19.000 Jahre später von Eadweard Muybridge durchgeführten chronofotografischen Untersuchungen der Bewegung von Tieren denken, so ist die Faszination für das Pferd dort noch genauso spürbar. Die berühmten Fotos zu seiner bewegungsanalytischen Analyse des Jahres 1878, Sallie Gardner at a Gallop, in der er die während des Pferdegalopps wirkende Mechanik mit einer in Sekundenbruchteile fragmentierten Präzision untersuchte, erbringen den Nachweis, dass ein galoppierendes Pferd in dem Moment, in dem es mit allen vier Hufen vom Boden abhebt und sie an seinen Körper anlegt, tatsächlich einen Moment lang fliegt.

Eines der Bilder von ~Vollmond, das Portrait eines Pferdes, aus nächster Nähe mit einem Blitz aufgenommen, ist im Gegensatz zu den anderen der Serie vertikal ausgerichtet. Der Lichtblitz spiegelt sich als leuchtendes Glimmen in den glasigen Augen des Pferdes wider. Zuerst erscheint die Reflexion weiß – beinahe könnte es der Mondschein sein. Bei näherer Betrachtung jedoch wird darin das gesamte sichtbare Lichtspektrum erkennbar, dessen Schillern für den ganzen Reichtum der potentiell möglichen menschlichen Wahrnehmung steht – und gleichzeitig darauf hinweist, wie begrenzt der Umfang dessen oft ist, was wir tatsächlich wahrnehmen.

In seinem Kern ist ~Vollmond eine Hommage an unsere Faszination für das Tier. Wie fühlen sich Tiere an, wenn man sie berührt? Wie schmecken sie? Wie können wir sie benennen und was ist es eigentlich, das uns von ihnen unterscheidet? Das sind nur einige der grundlegenden Fragen, die den konzeptionellen Hintergrund der Fotografien aufspannen. Fragen der Abhängigkeit und des Überlebens machen das Thema noch weitaus komplexer, auch solche nach Gemeinschaft, ja Freundschaft mit dem Tier, ebenso wie nach seiner Haltung als Nutz- oder Haustier. Aber sie alle sind Faktoren, die zu der gleichen, prähistorischen Neugierde gehören. Es sind somit Betrachtungen, die ausgesprochen zeitlos sind.