In Carsten Sievers zweiter Einzelausstellung in der Galerie EIGEN + ART stehen Werke aus der Serie der gefalteten Graphikzeichnungen raumgreifenden Installationen und skulpturalen Wandarbeiten aus gefundenen Materialien wie gebrauchte Pantographenund Schleifleisten gegenüber. Sie alle verbindet eine Beschäftigung mit der Beziehung und Lagerung von Dingen, Materialien und Kräften, die der Künstler in kontemplativen und interventionistischen Tätigkeiten, austariert.

Hier werden Graphitlinien anhand von Schablonen in sich wiederholenden Wellenformen auf Bahnen von Transparentpapier gebracht. Im Material stehend, faltet Sievers die übergroßen Flächen per Hand zusammen. Die Konsistenz der Faltung – jeder Griff – wird zur Demarkation für die Arbeit und erzeugt so eine physisch umgesetzte Selbstbeziehung. Die fertige Arbeit erreicht dabei einen Zustand des In-sich-Ruhens, der Entspannung, bei dem zugleich die inhärente Mechanik des Faltens, die ihrer Genese unterliegt, sichtbar bleibt.

Die Frage der Lagerung und Positionierung überträgt sich in der Ausstellung auch auf vermeintlich gegensätzliche Pole, die sie zusammenbringt: Auf der einen Seite gefundene Objekte, die einer technischen Nutzung entliehen sind und auf der anderen Formen und Materialien, die dem Raum der Kunst entstammen. Die Verwendung von Graphit für die Erzeugung bildlicher, wenn auch abstrakter Systeme, verortet die „Faltungen” klar in der Tradition von Zeichnung. Gleichzeitig fungiert Graphit auch als Kontaktmaterial zur Übertragung von Energie auf den Schleifleisten der Stromabnehmer von Bahnen. Hängen die Schleifleisten jedoch an der Wand der Galerie, überwiegt die ästhetische Qualität ihrer fast als zeichnerisch erscheinenden Abnutzungen.

In Georg Simmels Text „Brücke und Tür” von 1909 beschreibt dieser, dass der Mensch ein verbindendes Wesen ist und dabei die Trennung immer am Anfang jeder Verbindung steht: Das indifferente Dasein zweier Seiten muss erst geistig als eine Getrenntheit aufgefasst werden, um letztlich verbunden werden zu können. In der Ausstellung ist es gerade der Aspekt des Trennens und der Erzeugung von Distanz zum Gefundenen und Angeeigneten, der zum zentralen Thema wird. Der Autolack, mit dem die gebrauchten Pantographennachträglich lackiert wurden, setzt die Frage nach der künstlerischen Autorschaft mittels der Farbwahl in Bezug zur realweltlichen Funktion des Lacks. Diese verhält sich nicht gänzlich konträr zur Idee der Autorschaft, ist sie es doch, die einem industriellen Massenprodukt im begrenzten Möglichkeitsraum der Konsumentscheidungen einen individuellen „Anstrich” gibt. Auch die spezifische Wahl der zwei Farben – Porsche Tarifa Blau und Nora Greendes malaysischen Herstellers Proton – verweist nicht zufällig auf die unterschiedlichen Enden des Wohlstandsspektrums. Hier ist die Idee von Lagerung auf den Skalen und Systemen von Wert und Bedeutung verwoben mit unmittelbaren tektonischen Fragestellungen, die wiederum auch auf eine gesellschaftliche Dimension hindeuten.

Wie Simmel weiter beschreibt, ist es die konstante Umsetzung von Energie und Stoffen, die alles in Beziehung setzt und aus allen Einzelheiten einen Kosmos macht. Nichtsdestotrotz sind die Gegenstände gebannt im unüberwindbaren Auseinander des Raumes: „Keinem Materienteil kann sein Raum mit einem anderen gemeinsam sein, eine wirkliche Einheit des Mannigfaltigen gibt es im Raume nicht.” Und wenn der Wurf einer stählernen Kralle auf eine Hochspannungsleitung die Energiezufuhr des TGV abschneidet, zum Zerreißen und Kollaps der Leitung führt, verwandelt sich Simmels Erkenntnis in brutale Realität. Im Moment der Unterbrechung, des kurzen Stillstands der unermüdlichen Netzwerke von Verkehr, Energie und Handel, zieht sich der Pantograph auf sich selbst zurück, legt sich ab und ruht.