Otto Piene zählt zu den Pionieren der Kunst des 20. Jahrhunderts. Als Mitbegründer der internationalen ZERO-Bewegung beeinflusste er grundlegend den Blick auf klassische Kunstformen wie Malerei und Skulptur. Sowohl mit seinen frühen Rauch-, Raster- und Feuerbildern, als auch seinen Lichtballetten und Lichträumen gelang es ihm Zeit, Licht, Raum und Bewegung in die Kunstproduktion miteinzubeziehen. Durch seine interdisziplinären Projekte in Deutschland und Amerika und vor allem durch seinen Umzug in die USA Ende der 1960er Jahre wurden ihm neue, für seine experimentelle Praxis richtungsweisende Perspektiven eröffnet: Seit Beginn der 1970er Jahre entwickelte Piene als Direktor des MIT Center for Advanced Visual Studies (1974-1993) eine Vielzahl von Projekten. An der Schnittstelle von Kunst und technologischen Innovationen experimentierte Piene zusammen mit Vertreter_innen der Kunst, Wissenschaft und Technik. Es entstanden gigantische aber ephemere Arbeiten. In ihrer Prozessorientierung und Vergänglichkeit stellen die sogenannten Sky Events eine Herausforderung für das traditionelle Verständnis von Kunst im öffentlichen Raum dar.

Mit der aktuellen Ausstellung richtet Sprüth Magers den Blick auf eine Zuspitzung in Otto Pienes experimenteller Haltung, die sich Ende der 1960er vollzog. Die Ausstellung widmet sich einer Auswahl von Skizzen, Entwürfen, Arbeiten auf Papier und schriftlichen Kommentaren, sowie Partituren von Inflatables und Sky Events. Außerdem werden die Installation Red Sundew 2, die Videoarbeit Electronic Light Ballet und ein Lichtgeist gezeigt.

Piene äußerte sich in einem frühen Text der ZERO-Gruppe 1961: „Warum machen wir keine Kunst für den Luftraum, keine Ausstellungen im Himmel?“ In den folgenden Jahrzehnten prägte er den Begriff der Sky Art und produzierte aufblasbare Strukturen, die ganze Räume füllten und sich über Strände, Flüsse oder Stadtlandschaften ausdehnten. Die Skulpturen, die er in den Himmel steigen ließ, wurden von eigens dafür entwickelten Heliumschläuchen getragen. Auch entfernte er sich von der traditionellen Vorstellung der modernen Skulptur als monolithische Form aus Materialien wie Stein und Metall und begann mit weichen, elastischen und formbaren Geweben zu arbeiten. Seine Arbeiten sind nicht als autonome, absolute Einheiten zu begreifen, sondern als „fließende“ Werke, die erst im Dialog mit ortsspezifischen Faktoren wie Licht, Raum, Publikum und Atmosphäre ihre endgültige Form annehmen.

Während die Sky Events zunächst in Form von Skizzen dargestellt wurden, legte Piene die Abläufe größerer Events anhand von zeichnerischen Partituren fest. Die Dramaturgie von Ort und Zeit der Events wurden mit expliziten Bildvorstellungen des Künstlers gekoppelt. Anhand der ausgestellten Skizzen wird der Entstehungsprozess von den ersten Windsocks hin zu den Sky Events deutlich. Vorbereitungstreffen, aktive Beteiligung und Wind und Wetter bei der Durchführung der Events sind der künstlerischen Arbeit inhärent.

Otto Pienes experimentelle Haltung wird ebenfalls in der Videoarbeit Electronic Light Ballet (1968), welche explizit für das Medium Fernsehen entstanden ist, sichtbar. Das Videokünstler TV-Programm „The Medium is the Medium“ wurde von dem Kulturkanal WGBH-TV Studio in Boston, Massachusetts produziert. Die Arbeit zeigt dokumentarische Auszüge von Pienes Sky Event Flying Girl Sculpture (1968), in der die 17 jährige Susan Peters mit sieben heliumgefüllten Polyäthylenschläuchen für 30 Minuten in den Nachthimmel aufstieg. Der Videobeitrag wurde vor Fernsehkameras live mit Lichtpunkten überblendet und führt das mechanische und automatische Lichtballett der frühen sechziger Jahre weiter.

In der Ausstellung wird außerdem die Installation Red Sundew 2 präsentiert. Die feuerrot leuchtende Stoffarbeit ist 1970 für eine Ausstellung in der Honolulu Academy of Arts auf Hawaii entstanden. Die Struktur aus zusammengenähten Segelstoffbahnen, in deren Mitte sich, aus einer Art Durchlass, tentakelartige Arme den Besucherinnen entgegenstrecken, nimmt eine Trennung des Raumes vor. Hierbei handelt es sich um fünf ineinander verwobene Inflatable-Stoffblumen, die über Gebläse am Boden mit Luft versorgt und in sanfte Bewegungen versetzt werden. Die Besucherinnen werden eingeladen die physische Nähe des Werkes, die bewegliche, variable Struktur zu erfahren.

Die opake Glasform des Lichtgeistes (1966/2014) besteht aus vier einzelnen, übereinander liegenden Glaskörpern, die nach oben hin verjüngt werden. In dem zylinderförmigen Sockel befindet sich eine Lichtquelle, die in von Piene vorgegebenen Abständen Leuchtimpulse in die Glasskulptur abgibt, so dass die einzelnen mundgeblasenen Glaskörper unterschiedliche Schattierungen von rotem Licht ausstrahlen. Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Licht und Farbe zeugt von einer großen Bedeutsamkeit in den Werken des Künstlers. In einem Gespräch mit dem Maler Jürgen Claus betonte Otto Piene: „Meine Sky Art, das heißt, die Inflatables sind im Grunde genommen aus der Lichtplastik, aus der Beschäftigung mit dem Licht entstanden.[...] Wir leben vom Licht.“

Otto Piene wurde 1928 im deutschen Laasphe geboren und starb 2014 in Berlin. Er lebte und arbeitete in Düsseldorf, Cambridge sowie Groton, Massachusetts. Zu seinen jüngsten Einzelausstellungen zählen unter anderem Präsentationen im Tehran Museum of Contemporary Art, Iran (2015); Neue Nationalgalerie, Berlin (2014); ZKM Museum Für Neue Kunst, Karlsruhe (2013) und MIT List Visual Arts Center, Cambridge (2011). Im Jahr 2014 war das Solomon R. Guggenheim Museum, New York, der Schauplatz einer umfassenden Retrospektive der Gruppe ZERO. Historische Gruppenausstellungen beinhalten die Teilnahme an der Biennale in Venedig (1971 und 1967) und an der documenta 6,3 und 2 (1977, 1964, 1959).