Die Wurzeln der Kunst der französisch-vietnamesischen Künstlerin Thu Van Tran finden sich in der Verarbeitung und Reflexion ihrer eigenen Herkunft. In Vietnam geboren, kam sie im Alter von zwei Jahren als Flüchtling nach Frankreich. Ihre persönliche und tief in einem kollektiven Gedächtnis verankerte Geschichte ist geprägt von Kriegs -und Migrationserfahrung, welche sie in ihren Arbeiten mit dem Betrachter teilt. Um der Vergangenheit eine Stimme zu verleihen, verwendet die Künstlerin unterschiedliche Materialien und Medien - Gummi, Pigment, Fotografie und immer wiederkehrend sechs spezifische Farben, die symbolisch für Kriegserfahrungen und einige der furchtbarsten Menschenrechts- und Naturverletzungen der Neuzeit stehen. In ihrer ersten Ausstellung in der Galerie Rüdiger Schöttle zeigt Thu Van Tran Arbeiten aus der Serie „Colors of grey“, bestehend aus einem Fresko und Malerei. Weitere Arbeiten, wie Zeichnungen und Skulpturen beziehen sich auf das Gleichgewicht zwischen Schönheit und Gewalt, ein Thema, das in ihren Arbeiten häufig vorkommt.

Die „Colors of grey“ entstehen durch die systematische Auftragung der Farbschichten Weiß, Rosa, Blau, Grün, Lila und Orange. Die Kunst von Thu Van Tran kennt keine Zufälle, folgerichtig ist auch diese Farbkombination nicht willkürlich gewählt. 1965 nutzten US-amerikanische Streitkräfte so genannte „Regenbogen Herbizide“ im Vietnamkrieg. Aus Flugzeugen und Hubschraubern versprüht, fraßen sich die hochgiftigen Chemikalien durch die dichte Bewaldung, töteten hunderttausende Bewohner in betroffenen Gebieten und kontaminierten die Natur und Nahrungsgrundlage der Bevölkerung über Jahrzehnte. Die Folgen des chemisches Entlaubungsmittels sind bis heute enorm: Breitflächige Vergiftung der Umwelt und gesundheitliche Schäden bei etwa einer Million Vietnamesen.

Erschüttert durch die Folgen des Krieges und gleichzeitig fasziniert von der sublimen Grausamkeit des Geschehens, begann Thu Van Tran sich mit einem der längsten Konflikte des 20. Jahrhunderts in ihrer Kunst zu befassen.

Sie war überrascht zu erfahren, dass die Fässer der „Agenten“, so wurden die jeweiligen chemischen Entlaubungsmittel genannt, mit den farbigen Streifen Weiß, Rosa, Blau, Grün, Lila und Orange gekennzeichnet wurden – sechs Farben, die den Arbeiten von Thu Van Tran eine poetische und hoch ästhetische Wirkung verleihen. Die Farben werden von der Künstlerin als eine Form der Kodierung genutzt: Einzeln, Schicht für Schicht, trägt sie die Farben auf Papier oder direkt auf die Wand auf. Durch die Vermischung der Farben entsteht eine Kombination aus einer abstrakten, grauen Palette, bei der die sechs einzelne Farben als Regenbogen das Bild umrahmen und somit auf die Vielschichtigkeit der Farbkombination hinter der Oberfläche hindeuten. Erst nach der Decodierung offenbart sich dem Betrachter die dahinter versteckte Symbolik, das kollektive Trauma - Verlust und Schmerz – welches sich hinter der vordergründigen und täuschenden Kulisse aus Leichtigkeit und Schönheit versteckt.

Die Arbeiten der jungen Künstlerin wurden unter anderem im Moderna Museet in Stockholm, auf der 57. Biennale in Venedig und im Neuen Berliner Kunstverein in Berlin gezeigt. Im Jahr 2018, wurde sie für den Marcel-Duchamp-Preis nominiert und stellte im gleichen Jahr im Centre Georges Pompidou aus. Heute befinden sich Arbeiten von Thu Van Tran in internationalen, öffentlichen und privaten Sammlungen, wie zum Beispiel Musée National d'Art Moderne in Paris, Kadist Fondation, Paris / San Francisco, Lidice Memorial, Josée & Marc Gensollen Collection und Vehbi Koc Fondation, Istanbul. Im Jahr 2019 folgt ein Residency-Programm im Times Museum von Guangzhou in China. Seit 2012 unterrichtet Tran Bachelor-Studenten am PCA - Paris College of Art. (S.Sokolov)