Was tun die Dinge, wenn wir nicht anwesend sind?

Beachcomber Shores – der lapidare Titel der Ausstellung – erschließt sich nicht sofort. Es ist der Titel des von seinen Ausmaßen her größten Gemäldes, das der neorealistische Maler Peter Dreher bis jetzt gemalt hat. Genau genommen besteht dieses Interieur aus 52 Einzelbildern zu je 41 x 51 cm, die sich zu einer 360° Ansicht – also einem Panoramabild – zusammensetzen. Dieses zeigt sein Hotelzimmer im südkalifornischen San Diego.

Der Betrachter blickt in stille, leere, fast asketisch anmutende Räume. Der Künstler hat die Einrichtung der Zimmerflucht mit Ölfarbe à la prima auf Masonitplatten gemalt. Deren Oberfläche hat in ihrer Glätte die Anmutung von Papier und ermöglicht dadurch einen überganglosen Farbauftrag, der eine illusionistische Tiefenwirkung erzeugt. Doch die Mimikry eines Farbfotos hat der Maler nicht beabsichtigt. Bei näherer Betrachtung löst sich die einheitlich wirkende Oberfläche in einzelne Farbinseln auf und der Pinselduktus wird sichtbar. Der verblüffende Realismus gründet in etwas anderem: Peter Dreher verfügt über die Gabe des absoluten Sehens. Sein Sehzentrum ist so fein chromatisch abgestimmt, dass es jeden Farbton in seinen allerfeinsten Fragmentierungen ausrechnen und auf der Palette wieder herstellen kann. Es liegt an der Farbgebung, dass der Betrachter den Eindruck hat, die Realität vor sich zu haben.

Peter Dreher, der bereits als Jugendlicher die USA zu seinem Sehnsuchtsziel erkoren hat, verbrachte seit Beginn der neunziger Jahre immer wieder mehrere Wochen im Jahr in San Diego. America`s Finest City ist vielleicht für ihn so etwas wie Italien es für die Künstler des neunzehnten Jahrhunderts war, ein nostalgisch verklärtes Arkadien. Der Maler wählte für seinen Aufenthalt ein einfaches Surfer-Hotel ohne jeden Schnickschnack. Wie zuhause in seinem schlichten Atelier in St. Märgen im Südschwarzwald verzichtete er auch hier auf jeden Komfort. Er legte sich sozusagen einen materiellen Zölibat auf, um sich auf das, was ihm wesentlich und wichtig war, zu konzentrieren, auf die Malerei. Diese modeste Haltung atmen diese stillen Räume im beachcomber shores und verkörpern und repräsentieren damit ihren Schöpfer. Vom Wesen der Dinge bedeutet hier auch vom Wesen des Malers.

Die Einzelbilder, die größtenteils auch für sich alleine stehen könnten, sind zum Teil Reminiszenzen seiner großen Vorbilder: Zum Beispiel Chardin auf dem Bild, wo sich der Tulpenstrauß zu einem Stillleben verdichtet. Zum Beispiel Edward Hopper bei dem Fensterausschnitt, hinter dem eine Hausfassade mit Schlagschatten zu sehen ist, scharf wie mit einer Schere ausgeschnitten. Der Betrachter verharrt vor solchen Bildern in einer Art stillem Gebet, indem diese einen zeitentgrenzten transzendenten Moment schaffen.

Die Wirkung von beachcomber shores lässt sich mit den Begriffen zusammenfassen: Poesie des Augenblicks, Anmut und stille Würde. Begriffe, die auch den Künstler beschreiben, da ihm alles Laute, Demonstrative und jegliches Kalkül wesensfremd sind.

Er ist ein Anverwandler und Verwandler, indem er das Einfache, Konkrete und Banale zu etwas Besonderem und Zeitlosem macht, indem er einen Typus, einen Topos schafft. Peter Dreher beherrscht die Kunst des Weglassens und offenbart damit das Wesentliche und Unverzichtbare. Diese Klarheit wirkt wie ein Veredelungsprozess und macht ein Erkennen möglich. Dem Betrachter wird Einblick in eine imtime Situation gewährt. Doch das ist nur scheinbar, denn die Räume öffnen sich nicht wirklich. Sie strahlen mit ihrer leeren Strenge auch ein Komm-mir-nicht-zu-nahe aus. Sie wissen ihr Geheimnis zu wahren.

Ähnlich wirken auch die Stillleben der silverbowls und Birnenmostgläser, die ebenfalls in dieser Ausstellung gezeigt werden. Sie nehmen mit ihrer spiegelnden Oberfläche die sie umgebende Welt auf, reflektieren sie aber gleichzeitig und werfen sie auf sich selbst zurück.

Die erste Einzelausstellung Peter Drehers in der König Galerie ist das Resultat einer klugen Entscheidung und gibt ein unmissverständliches Statement ab. Denn man wird dem Maler nicht gerecht, wenn man sein Werk immer wieder auf die zahlemmäßig größte Werkgruppe Tag um Tag guter Tag verengt. Diese überwältigt zwar durch ihre schiere Zahl (man kolportiert immer wieder die Zahl 5000) und erhält dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Es mag verwundern, dass Peter Dreher mit dieser Reihe noch keinen Eintrag im Guinessbuch des Rekorde kassiert hat. Es muss den Künstler schmerzen, dass viele Käufer seiner Bilder auf diese Sensation und den Wiedererkennungswert zielen. Denn eigentlich hat der Maler mit dieser Serie ein Anti-Vermarktungs-Statement setzen wollen. Durch das Immergleiche gibt es nicht das Besondere, auf das dann die Jagd eröffnet wird.

Ausstellungen wie diese öffnen den Blick auf das reiche Gesamtwerk und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur „Rehabilitation“ des Künstlers, will sagen zu einer Wahrnehmung, die diesem Reichtum an Themen und dem Reichtum der formalen Ideen gerecht wird.