„Girl Meets Girl“ präsentiert vier Künstlerinnen, die im Laufe der Jahre ihre ganz eigene Sprache entwickelt haben, die sie mit so viel Elan und Frische einsetzen, dass der Eindruck ungezwungenen Schaffens entsteht. Sie kennen keine Grenzen zwischen Realität und Fiktion, Geschlechtern und Sexualitäten, bewusst und unbewusst, Ich-Erzähler und Vermittler. Die Welt ist der Stoff für ihre selbstbewusste Technik und ihren freien Willen.

Rose Wylie ist mit 84 die älteste der vier und ihre Bilder werden dialogisch mit den Werken der drei anderen Künstlerinnen inszeniert. Sie ist für sie – wie für viele andere – eine Inspiration, nicht nur wegen der Überzeugungskraft, die sie in ihre Arbeit einbringt, sondern auch wegen ihrer Beharrlichkeit über Jahrzehnte, in denen sie kaum Beachtung fand. Hier zeigt Wylie Arbeiten, die sie aus der Erinnerung im Geiste von „Mädchen von heute trifft Mädchen von damals“ („Girl Now meets Girl Then“) geschaffen hat. Der Titel der Serie ist „Clothes I Wore“ (Kleidung, die ich trug) – obwohl sie sagt, das abgebildete Mädchen sei nicht sie. Uns vermittelt sie doppelte Freude: erstens das Gefühl, das – in der Erinnerung – mit dem Tragen dieser Kleidung verbunden ist: ein „schlichtes Korsett, von dem sie sagt, es sei nicht beengend, vielmehr verführerisch gewesen, ein schwarzes Abendkleid, „das ich in Mexiko oder Spanien gefunden habe“ und ein Badeanzug in Primelgelb. Zum anderen das offenkundige Vergnügen, Bleistift- und Buntstiftzeichnungen in einnehmend lebendige Bilder zu verwandeln, mit einer Lust am Umgang mit Farbe in Gegensatzpaaren, die Wylie als „dick/dünn“, „flächig/ausgearbeitet“ und „ausufernd/eng“ bezeichnet. Man kann die Chuzpe bewundern, mit der sie unverhohlen Leinwand hinzufügt, wenn sie meint, mehr Platz zu brauchen, oder collagierte Teile, auf denen sie ausprobiert hat, was richtig aussieht, beibehält. Man kann sich an den Farben erfreuen, so wie Rose offenbar selbst, denn „die Farbe der Kleider ist auf allen Bildern genau so wie sie tatsächlich war“. Man könnte zudem überlegen, welche Geschichten mit diesen Bildern erzählt werden, aber darum geht es nicht. Es geht um Gefühle und es geht um das Malen: das Malen von Gefühlen und das Gefühl des Malens.

Was ist mit „Mädchen von heute trifft Mädchen von damals“ trifft genderqueer Boi? Caroline Wells Chandler, der sich so bezeichnet, bewundert Rose für eine „Kunst, die vorkulturelle Programmierung mit einer starken Zeichenhand erforscht, die unverkennbar die der Künstlerin ist“ und meint: „…letztlich geht es in Roses Bildern um Freiheit“. Die Freiheit ist auch ein häufiges Motiv seines eigenen Werks, das nach seiner Aussage Themen wie „Gemeinschaft, Zugehörigkeit, das Spirituelle und Dazwischensein“ aufgreift. Chandler unterläuft die Kunstgeschichte, indem er der heterosexuell-maskulinen Perspektive traditioneller Malerei Figuren ohne eindeutige Geschlechtsidentität entgegensetzt, gestaltet durch „weibliche Handarbeit“, das Häkeln. Neonhelle Figuren tummeln sich an den Wänden, und es kümmert sie nicht, ob sie männlich oder weiblich sind, welcher Rasse sie angehören – oder ob sie überhaupt menschlich sind. Eine gelbe Reißverschlusslinie an passender Stelle kann männliches oder weibliches Geschlecht bedeuten, Haut und Haare gibt es in allen Farben und überall finden sich Verweise auf Zeichentrickfiguren, Roboter und Computerspielgrafiken. Beim Häkeln verdreht und kreuzt man buchstäblich Linien: Chandler hat ein passendes Handwerk gewählt, um freudig die Erwartungen des heteronormativen Blicks zu zerstören. Vielleicht ist „glücklich, stolz und offen queer zu sein“, wie er sagt, „ein großer Erfolg” – was nicht bedeutet, dass wir ein neues Normal erreicht haben, aber so weit gekommen sind, dass wir Grund zum Feiern haben.

Chandler nennt Katherine Bradford als eine seiner Inspirationen: Tatsächlich hat er ein Werk nach ihrem typischen roten Brillengestell benannt und ihr bekanntestes Motiv der Schwimmer*innen übernommen. Die sportlichen Aktivitäten, die Bradfords undefinierbare, anonyme Figuren in „Girl Meets Girl“ betreiben, sind jedoch eher unkonventionell – wie Akrobatik mit Hilfen, nächtliche Bootsrennen und eine Preisverleihung für Gesichtslose. Sämtliche Bilder sind in den neueren, düsteren Rosa- und Blautönen gehalten, in denen das schattenlose Licht und die schwebende, verkümmerte Perspektive eher verwunschen als real wirken. Bradford ist 77, aber wie Wylie hat sie sich in ihrem Umgang mit Farbe eine mädchenhafte Frische erhalten; es scheint nicht wichtig, ob an mancher Stelle Gegenständliches oder Abstraktes dargestellt werden soll. Und obwohl ihre Figuren und deren seltsame Interaktionen sich psychologisch deuten ließen, habe ich – wieder wie bei Wylie – den Eindruck, dass ihr das Gemalte wichtiger ist als das, was es erzählt. Bradford bevorzugt Acryl. Die fluoreszierenden Farben und die wässrigen Texturen passen zu ihrer verträumten Mischtechnik, deren Untertöne in ihren Worten „eine Metapher für alles sind, worauf wir treiben, in das wir springen und durch das wir reisen“. Freud deutete Wasser als das Unterbewusste und diese geheimnisvolle Atmosphäre innerer Reise bleibt auch dann erhalten, wenn Bradfords Figuren trockenes Land erreichen oder sich hoch durch die Lüfte bewegen.

Katherine Bernhardts bildhafte Werke sind in ihrer Ungezwungenheit eher schludrig, sodass es nicht überrascht, dass der Besuch in Wylies Atelier – „anregend, farbenfroh, chaotisch und amüsant“ – ihre Wertschätzung dafür erhöht hat, wie Roses Werke „einfach erscheinen, sich die Wahrnehmung dann aber ändert und man erkennt, dass es sich um anspruchsvolle Meisterwerke handelt“. Bernhardt verwendet Acryl- und Sprayfarben, um Alltagsgegenstände und Wildtiere so kraftvoll darzustellen, dass sie eher Ausführungen der Symbolik als Analyse des Symbolisierten sind. Pizza, Batterien, Vögel, Emojis, Zigaretten und Schuhe werden mit der gleichen typischen Energie dargestellt, die als Rechtfertigung dient, elektrische Farben und geladene Formen statt eigentlicher Themen zu malen. Mit einer Sprache, die sie über die Einflüsse von Mode und marokkanischen Teppichen erlangt hat, erfasst Bernhardt den Bilderstrom der Welt und ihre Lebensorte Brooklyn und Puerto Rico mit so viel, oft tropischer Wärme, dass sie sich diese zu eigen macht. Hier zeigt sie einen Tukan, einen Schmetterling und ein Eulenpaar – oder Darth Vader? Die kunstvolle Unschärfe ihrer Konturen und die halb zufällige Zusammenstellung von Farben machen es schwer, sicher zu sagen, was was ist. So oder so beschäftigen sich alle Bilder mit dem befreienden Potenzial des Fliegens – bedenkt man, dass Darth Vader in der Lage ist, frei zu schweben, auch wenn er selbstbewusst genug ist, diese Fähigkeit nicht allzu oft einzusetzen.

Ich nehme nicht an, dass Bernhardt, Bradford, Chandler und Wylie fliegen können, in ihrer Kunst aber, drückt sich diese Art selbstbewusster Sorglosigkeit aus. Kein Wunder also, dass die Mädchen sich auf ein Treffen freuen.