In ihrer Einzelausstellung Nativist Americans zeigen Andrea Robbins und Max Becher eine Auswahl von Fotografien aus drei Serien, die teilweise zum ersten Mal präsentiert werden. In ihrer Praxis nutzen Robbins und Becher das Medium Fotografie, um Situationen zu erkunden, in denen ein Ort einem anderen weit entfernten stark ähnelt – ein Phänomen, das sie als „the transportation of place“ (dt. etwa „die Verlagerung des Ortes“) bezeichnen.

Die Ausstellung umfasst drei Serien: German Indians (1997–98), The Improved Order of Red Men (2017) und Pocahontas Pageant Laredo, Texas (2017–2019), deren gemeinsames Thema die historische Aneignung der Kultur der Native Americans in Form von Kostümen und Verkleidungen ist. German Indians, die älteste der drei Serien, zeigt als Native Americans verkleidete, deutsche Hobbyist_innen. Aufgenommen wurden die Fotografien in Radebeul bei Dresden, der Heimatstadt Karl Mays. An der Liebe zum Detail und der Kultivierung eines hochromantisierten Bildes der First Nations wird deutlich, dass die Native Americans von den Teilnehmenden als untergegangenes Volk wahrgenommen werden.

Versuchen die German Indians eine koloniale Fantasie zu rekonstruieren, die sich aus Karl Mays Romanen speist, so ist die Aneignung von Kleidung durch die Improved Order of Red Men in den Vereinigten Staaten stärker symbolisch motiviert – hier fungieren die Kostüme eher als Bedeutungsträger denn als ethnographische Rekonstruktion. Die Improved Order of Red Men (I.O.R.M) ist eine Bruderschaft, die ihre Wurzeln auf die Sons of Liberty zurückverfolgt. 1773 protestierten sie gegen die britische Besteuerung und Kolonisierung, indem sie Native-American-Kostüme anlegten und eine große Ladung importierten Tees zerstörten (bekannt als „The Boston Tea Party“). In privaten Ritualen kleiden sich I.O.R.M-Mitglieder in Kostüme, die an Fest- oder Historienspiele des 19. Jahrhunderts erinnern. Zwar gehen die Mitgliedszahlen der Bruderschaft seit ihrer Blütezeit erheblich zurück, doch entlehnen einzelne Gruppen für ihre Rituale noch immer Wörter aus Sprachen der Native Americans und geben ihren Orden „Stammesnamen“.

Das Pocahontas Pageant in Laredo, Texas ist das letzte Festspiel seiner Art. Es besteht fort, weil es die Debütantinnenkultur der Südstaaten mit der formellen Initiation sowohl ins Erwachsenenleben als auch der Einführung in die elitäre Gesellschaft Laredos verbindet. Teil der einmonatigen Feierlichkeiten anlässlich des Geburtstags von George Washington sind das aufwendige Festspiel und die Parade aus High-School-Schülerinnen, die von einer „Prinzessin Pocahontas“ zu Pferde angeführt wird. Den Auftakt bildet die Übergabe des Stadtschlüssels durch den Bürgermeister an die „Prinzessin“, eine Tradition, die auf die Improved Order of Red Men zurückgeht, welche vor 123 Jahren einen Scheinangriff auf das Rathaus inszenierte, der wiederum an die Aktionen der Sons of Liberty gegen die Britische Herrschaft erinnern sollte. Laredos erste „Prinzessin Pocahontas“ trat als feierliche Friedenshüterin auf, eine Rolle, die dem angloamerikanischen Publikum aus Erzählungen von John Smith vertraut war. Smiths Geschichte von Pocahontas, der Häuptlingstochter, die für seine sichere Befreiung nach seiner Entführung sorgt, ist ein amerikanischer Mythos, den Historiker_innen inzwischen in Zweifel ziehen. Die aufwendigen und teuren Festspiel-Kostüme verschmelzen die Ikonographie der in der Prärie lebenden Native Americans mit mexikanischen Design-Motiven in einem Mix beider Kulturen, wie er für die mexikanisch-amerikanische Grenzstadt typisch ist.

Alle drei Serien greifen ideologisch belasteten Stoff auf, der nicht nur Eingang in aktuelle politische Debatten gefunden hat, sondern auch lautstärkere Gegner_innen. Sich im deutschen Radebeul zu verkleiden, scheint aufgrund der transatlantischen Distanz zu diesen Debatten einfach, aber der steigende Altersdurchschnitt der Mitglieder der I.O.R.M., das Desinteresse ihrer jüngeren Generationen sowie die streng geschützte Kultur des Pocahontas Pageant sprechen eine andere Sprache.

Letztlich versuchen Robbins und Becher nicht nur, dem neuen Nativismus in der modernen amerikanischen Politik ein Gesicht und einen historischen Kontext zu geben, sondern auch eine Analyse dieser äußerst spezifischen kulturellen Blasen zu liefern, die im größeren Zusammenhang der amerikanischen Zerbrechlichkeit eine bedeutende Rolle spielen. Darüber hinaus stellen die Künstlerinnen eine Verbindung zwischen der Gegenwart und wenig bekannten historischen Praxen her, die von Kolonistinnen eingesetzt wurden, um sowohl den britischen Kolonisatorinnen als auch fremden Grundherrinnen die Kontrolle über das Land und die Ressourcen zu entreißen. Ironischerweise waren es gerade diese rebellischen Akte, begangen in von den Kulturen der Native Americans entliehenen Kostümen, durch die sich die Kolonist_innen abgrenzen und von den europäischen Ansprüchen auf nordamerikanische Ressourcen lossagen wollten. Aus dieser Tradition ging später die nativistisch-amerikanische politische Bewegung des 19. Jahrhunderts hervor, die sich durch einen neuen Nationalismus, eingebildete externe Feinde, die Überbetonung von Grenzen und eine anti-migrantische Stimmung auszeichnete – alles Attribute, die uns aus dem heutigen politischen Klima Amerikas nur allzu vertraut sind.

Andrea Robbins (1963) und Max Becher (1964) leben und arbeiten in New York. Seit 1984 arbeiten sie sowohl allein als auch gemeinschaftlich. Ihre Werke wurden in zahlreichen Einzelausstellungen gezeigt, unter anderem Museo ICO, Madrid (2016); Museum für Gegenwartskunst, Siegen (2016); School of Art Gallery, University of Manitoba (2014); The Center for Art and Visual Culture, University of Maryland Baltimore College, Baltimore (2008); Museum Kunstpalast, Düsseldorf (2005); Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln (2005); Museum of Contemporary Photography, Chicago (2003); Kunstverein Hamburg (1994); de Vleeshal, Middelburg (1994); Kanaal Art Foundation, Kortrijk (1994). Ausgewählte Gruppenausstellungen sind National Museum of the American Indian, Washington DC (2018); Serralves Museum, Porto (2018); Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln (2016); The New Museum, New York (2014); Multimedia Art Museum, Moscow (2014); Museum für Gegenwartskunst, Siegen (2012); Museum of Art, Fort Lauderdale (2011); Peggy Guggenheim Collection, Venice (2011); Centre Pompidou, Paris (2010); New Orleans Museum of Art (2009); Museum of Contemporary Art, Barcelona (2008); Norton Museum, Miami (2008); Museum of Contemporary Art, Miami (2007); Gana Art Center, Seoul (2006); The Jewish Museum, New York (2005); Museum of Contemporary Art, Chicago (2005); Seattle Art Museum (2004); Le Printemps, Toulouse (2003); International Center of Photography, New York (2003); Whitney Museum of American Art, New York (2002); Museum of Modern Art, New York (2001); Biennale de Lyon d’Art Contemporain, Lyon (2000); Solomon R. Guggenheim, New York (1999); San Francisco Museum of Modern Art (1996); The New Museum of Contemporary Art, New York (1994).

Zeitgleich zeigt die Berliner Galerie Ausstellungen von Peter Fischli David Weiss und Reinhard Mucha.