Der Frankfurter Kunstverein hat Yves Netzhammer, Theo Jansen und Takayuki Todo eingeladen, eine Auswahl ihrer Werke in Einzelpräsentationen zu zeigen, für die der gemeinsame Titel „Empathische Systeme“ eine thematische Überkategorie setzt.

Der Frankfurter Kunstverein präsentiert eine Überblicksschau mit Werken des schweizerischen Künstlers Yves Netzhammer, die Arbeiten aus den vergangenen zehn Jahren seines Schaffens präsentiert. Netzhammer steht mit seinem künstlerischen Oeuvre für die Auseinandersetzung mit zentralen Fragen des Menschseins im digitalen Zeitalter.

Netzhammers Arbeit hat bereits in den frühen 2000er Jahren zentrale Fragen in den Mittelpunkt seiner künstlerischen Recherche gestellt, die nach den Bruchstellen fahndet, die der Mensch im Umgang mit Welt heute empfindet. Die Ausstellung wird eine gezielte Auswahl wesentlicher Werke Netzhammers Formenrepertoire zeigen, mit dem Fokus auf Fragestellungen zur Natur menschlicher Emotionen und existentieller Erfahrungen.

Netzhammers Arbeit ist nicht an realistischen Repräsentationen von Welt interessiert, sondern sucht vielmehr die Essenz menschlichen Handelns anhand von Bildstudien zu analysieren. Die Protagonisten in Netzhammers Arbeiten sind auf die wesentlichen Merkmale der menschlichen Figur reduziert und erinnern an Modellpuppen und anatomische Modelle. Die reduzierten Bildwelten muten anfänglich wie Versuchsanordnungen an. Er transformiert seine Figuren in die Körperlosigkeit digital generierter Zeichnungen. Seine Figuren kommen ohne individuelle Züge einer Persönlichkeit aus und stehen somit wie archetypische Menschenfiguren für das Wesen des Seins.

Die Arbeiten verzichten auf Wort und Text. Sie erzählen in Szenen, die in einer Aneinanderreihung von Fragmenten über die Dauer der Animationen einen Bogen zu spannen wissen. Netzhammer übersetzt Gefühlslandschaften in eine Bildsprache, die die fragile Trennlinie zwischen Innen- und Außenwelt ausloten. Seine Figuren handeln in wiederkehrenden Sequenzen, die in der Abfolge körperlicher Wiederholungen Sinn erzeugen. Das Bildrepertoire ist von Netzhammer bewusst aufs Essentielle reduziert: er arbeitet in Primärfarben, mit stilisierten Formen, angedeuteten, leeren Räume und Abläufe, in denen die zeitliche Dimension diffus bleibt.

Der Künstler verzichtet bei seinen Figuren bewusst auf individuelle Züge, sodass es nie um Portraits einer Person, sondern um allgemeine Wesensmerkmale des Menschlichen geht. Die Figuren haben keine Gesichter, keine Augen und keine Mimik, sie sprechen nicht. Es sind nicht deren Mienen, über die der Betrachter Gefühlsregung zuordnen könnte. Es sind die Handlungen, die physischen Ausformulierungen in der Geste, die präzise Beschreibungen leiblich ausgeführter Zeichen innerer Zustände darstellen, die eine unmittelbare Erkennbarkeit der Intentionen und Gefühlslandschaften herstellt.

Die Kraft von Netzhammers Arbeiten entsteht aus der Übertragung von Bedeutungszusammenhängen. Er überträgt Studien und Beobachtungen des Realen in neue Gefühlszusammenhänge, die er in Bildsynthesen transferiert. Aus sich wiederholenden Aktionen, Elementen und Sinnfragmenten schafft er seine individuelle Bildsprache, durch die seine Figuren handeln. So entsteht eine Meta-Semantik körperlicher Ausdrucksweisen. Die Deutung körperlicher Bewegung ist eine Urform zwischenmenschlicher Kommunikation, die mit einer archaischen Unmittelbarkeit das Wesentliche des Menschen ausmacht. Auf diese Leiblichkeit bauen die Figuren Netzhammers auf. Er animiert sie am Computer, er baut die Handlungen und Bewegungen synthetisch nach, er studiert und erkennt Sequenzen der motorischen Ausdruckweise und konstruiert damit seine Humanoiden.

Netzhammers Arbeiten sprechen den Betrachter über diese körperliche Ebene an. Die empathische Beziehung zu den animierten Figuren basiert auf einer Spiegelung körperlicher Empfindung, es entsteht ein Wiedererkennen von Gesten, die die Figuren andeuten, verändert ausformulieren und mit der wir Emotionen verbinden, auch wenn diese meist in einer Ambivalenz verweilen.

Der Körper der Figuren ist ein rekurrierendes Material, das in Netzhammers Arbeiten eine zentrale Rolle einnimmt. Die Grenze von Innen und Außen ist verletzlich und offen. Die glatten digitalen Oberflächen der Körper werden geöffnet und es entsteht ein Austausch von Farben und Dingen, die metaphorische Assoziationen erzeugen. Die Bilder bewegen sich immer entlang einer minimalen Grenze, bei der Brutalität und Sanftheit sich durchdringen und durch Details ins Gegenteil umkehren.

Die Animationsfilme Netzhammers werden immer um eine akustische Ebene erweitert. Der Klangkünstler Bernd Schurer ist der kongeniale Gegenpart Netzhammers, dem es mit minimalen Klanglandschaften gelingt, die Bilder in der emotionalen Ebene des Betrachters zu verankern. In Analogie zur Bildsprache Netzhammers alterniert Schurer ebenfalls zwischen Sanftheit und schneidenden Klängen, Stille und akustischen Sequenzen, die teils melodisch, teils als Noise Atmosphären die Bildwelten erweitern.

Die Arbeiten Netzhammers sprechen die Fähigkeit empathischen Empfindens im Betrachter an. Empathie ist ein Empfinden der temporären Auflösung der Grenze zwischen dem Ich und dem Anderen. Ein Zustand des Sich-Einfühlens in die inneren Welten eines Wesens, das nicht das Selbst ist und dessen existentielle Bedingung für einen Augenblick zur eigenen werden kann. Im Akt des stillen Beobachtens kann dieses empathische Gefühl gelingen, eine verändernde Selbstwahrnehmung durch das emotionale Mitempfinden, eine Resonanzfähigkeit mit dem Gegenüber. Netzhammer formt und verschmilzt ein Bild ins nächste, sodass neue autonome Welten entstehen, neue Sinnzusammenhänge lesbar werden. Er zeichnet universelle und allgemeingültige Metaphern existentiellen Empfindens. Wer sich auf sie einlässt, kann in diese neue digitale und symbolische Realität eintreten und dort etwas wiedererkennen oder finden, das im Verborgenen der eigenen Existenz schläft und von der Zerbrechlichkeit menschlichen Seins erzählt.

Die Ausstellung versammelt eine Auswahl Netzhammers digitaler Animationsfilme aus unterschiedlichen Schaffensphasen. Darunter befindet sich eine seiner zentralen Arbeiten „Die Subjektivierung der Wiederholung“. Sie war Teil der umfassenden Rauminstallation auf der Venedig Biennale 2007, mit der er den Schweizer Pavillon gestaltet hat. In der 42-minütigen Arbeit finden sich alle grundlegenden künstlerischen Merkmale Netzhammers wieder, die sein Werk charakterisieren:

ineinander gleitende Motive, die sich wiederholen, sich verändern, in Fragmenten wieder erscheinen, um sich mit anderen zu neuen Sinnkonstellationen zu verbinden; die Überführung von diffusen Emotionen in das Bildliche auf der Suche nach neuartigen Empfindungsdimensionen.

Seine neueste Fünf-Kanal-Installation „Biografische Versprecher“ überführt die digitalen Bildwelten der Computeranimationen in eine räumliche Erweiterung. Die projizierten Bilder reflektieren sich in zahlreichen transparenten Oberflächen und erzeugen ein visuelles Echo ihrer eigenen Spiegelungen. Elemente aus den humanoiden Figuren und deren Handeln überträgt Netzhammer in die materielle Welt kinetischer Skulpturen, die im Raum agieren. Objektassemblagen, die an Körperteile von Puppen erinnern, an Arme und Beine, werden durch mechanische Konstruktionen auf den Oberflächen ihrer skulpturalen Sockel bewegt, gezerrt und geschoben. Kompressoren steuern den Antrieb. Es entstehen scharrende Geräusche, ruckartige Bewegungen, die über die Dauer der Zeit die zarten Objekten abnutzen und langsam zerstören. Es handelt sich um Unikate, die der Künstler für die Ausstellung im Frankfurter Kunstverein aufgreift und für den spezifischen Ort überarbeitet.

Ein weiterer wichtiger Fokus der Ausstellung liegt auf der Präsentation Netzhammers umfassenden grafischen Oeuvres. Netzhammer zeichnet ausschließlich am Computer. Für den Frankfurter Kunstverein trifft der Künstler eine Auswahl an Outline Zeichnungen, die das Prinzip der Reduktion und seines bildhaften Denkens auf konzentrierte Art und Weise deutlich macht. Ausgehend von den zweidimensionalen Zeichnungen zeigt die Werkauswahl Netzhammers Erweiterungen in die Dreidimensionalität der zeichnerischen Linie. Diese führt Netzhammer in „Vororte der Körper“ in die Materialität schwarzer Metalldrähte über, die als Outlines Dinge aus der Leere des Raums herausarbeiten, die somit wie eine Spur auf ihre Abwesenheit im Raum verweisen. Diesen Schritt von der Zeichnung zum Objekt erweitert Netzhammer in eine dritte Werkgruppe, bei der nun die Materialität sich im Raum behauptet: „Adressen unmöglicher Orte“. Ein Stuhl steht im Akt des Zerbrechens, in der Bewegung des Falls zeitlich fixiert und verbindet sich mit roten Fäden an die Wand. Diese sind wie rote Linien eines perspektivischen Schlagschattens. Ihre Enden treffen wie Punkte auf die Darstellung einer kontrollierten Farbexplosion.