Der mexikanische Künstler Iñaki Bonillas öffnet ein neues Kapitel seines bedeutenden "J.R. Plaza Archivs" und präsentiert mit "Jazz Covers from the J.R. Plaza Archive" 60 neue fotografische Arbeiten, die sich mit Fotografie und Grafikdesign in der visuellen Vermittlung von Jazzmusik auseinandersetzen.

Der Künstler, der für seine konzeptuelle Analyse von Fotografie bekannt ist, erbte vor 20 Jahren von seinem Großvater José Rodríguez Plaza, einem engagierten Amateurfotografen, der in Spanien geboren wurde und als junger Mann nach Mexiko emigrierte, 30 Ordner mit sorgfältig geordneten Fotos und persönlichen Dokumenten. Diese Zeitkapsel von 100 Jahren bildet seit 2003 ein Arbeitsarchiv, das Bonillas durch eine Reihe von Verfahren auf analytische, konzeptuelle, indexikalische und manchmal humorvolle sowie spekulative Weise in eine eigene künstlerische Untersuchung verwandelt. Im Zentrum steht dabei die Frage: Welche Relevanz kann die Fotografie in dem Moment noch für die Kunst haben, wenn in jeder Sekunde Millionen von Bildern produziert werden? Die Antwort liegt für Bonillas in den Randbereichen der fotografischen Tradition. Anstatt neue Fotos zu schaffen, arbeitet er mit bereits existierenden. Damit hinterfragt er, wie (fotografische) Archive erschlossen und präsentiert werden. Durch die Auseinandersetzung mit den peripheren und konstituierenden Elementen der Fotografie gelingt es ihm, neue Realitäten und Erzählungen zu schaffen.

Die neue Serie aus 60 Drucken in der Größe von 12-Zoll-Schallplatten ist von zwei Aspekten inspiriert: zum einen von den originalen, eindrucksvollen Selbstporträts seines charismatischen Großvaters, der in verschiedenen Rollen posiert, als wäre er ein berühmter Hollywood-Schauspieler – wie Bonillas bemerkt, ein Selfie-Künstler avant la lettre. Zum anderen von Bonillas‘ eigener und J.R. Plazas Begeisterung für Jazz. Es sind vor allem die LP-Cover aus den späten 1950er und 60er Jahren mit ihrer vollen Verwendung von Farbe, den authentischen und intimen Fotografien und der sorgfältig platzierten Typografie. Diese Cover wurden durch junge Designer wie etwa Reid Miles, der zwischen 1956 und 1967 nahezu 500 Cover für das legendäre Blue Note Records Label entwarf, zu stilistischen Meilensteinen und zum visuellen Ausdruck für das, was Jazz war: "modern, lebendig und frei".

Bonillas fand im "J.R. Plaza Archiv" bemerkenswerte Übereinstimmungen mit diesen Coverporträts. Anstelle der Jazzikonen zeigen seine Arbeiten den imaginären Star J.R. Plaza. Alle Texte und Typografien des Covers sind verschwunden und die Porträts sind nur noch in eine Vielfalt abstrakter Formen mit einer reichen Farbpalette eingebettet. Bonillas kameralose Fotografie – er bezeichnet sich selbst als einen Dachbodenfotografen – eröffnet in seinem Spiel der Entsprechungen zahlreiche neue Wertigkeiten. Die Gestaltung, die vor allem dazu diente, die Musik und die Musiker zu unterstreichen, rückt in den Vordergrund und der Einfluss abstrakter Kunst wird greifbar. Es ist diese Migration von Formen Ideen und Identitäten, die Bonillas Werk grundlegend bestimmt. Die Anordnung der Fotografien auf der Wand zu einem Rastersystem mit Leerstellen unterstreicht die Vorstellung, dass die Selbstporträts von J.R. Plaza zu Platzhaltern für alle nicht repräsentierten weiblichen und männlichen Jazzmusiker werden.

Die zweite Arbeit in der Ausstellung "Soundtrack for a Still" besteht aus fünf identischen Fotografien eines Mannes, der in Venedig inmitten eines Taubenschwarms tanzt. Die Wahrnehmung der Bilder ist allerdings unterschiedlich, da jedes Foto mit einem anderen Jazzstück kombiniert wird. Auch hier lenkt Bonillas wieder die Aufmerksamkeit auf die Bedeutungungsverschiebungen, die sich durch die Verbindung von Musik und Fotografie ergeben, und endlose Interpretationen eröffnen.

Iñaki Bonillas wurde 1981 in Mexico Stadt geboren, wo er derzeit auch lebt und arbeitet. Er nahm 2003 an "Utopia Station" der 50. Venedig Biennale teil, 2005 an der Prag Biennale und 2012 an der 30. São Paulo Biennale. Zu seinen wichtigen Einzelausstellungen zählen Secretos, Casa Luis Barragán, Mexico Stadt (2016); Arxiu J.R. Plaza, La Virreina Centre de la Imatge, Barcelona (2012); Circular Thinking: an Anthology. MAM, Mexico Stadt (2009); El topoanalista, Matadero, Madrid, (2007); Intervención al pabellón, Mies van Der Rohe Pavilion, Barcelona (2005) und Little History of Photography, MuHKA, Antwerpen (2003). Seine Arbeiten wurden in zahlreichen Gruppenausstellungen präsentiert, u.a. im MARCO, Monterrey und ESPAC, Mexico Stadt (beide 2019); Cantor Arts Center, Stanford (2018); Moscow Museum of Modern Art (2015), Jumex Museum, Mexico City (2013), Musée d'Art moderne de la Ville de Paris (2012); Bard College, New York und Kunstmuseum Basel and Malmö Konsthall (beide 2009); The Power Plant, Toronto (2003) and HKW, Berlin (2002).Für sein 2014 vom Dia Art Foundations kommissioniertes Artist's Web Project "Words and Photos", digitalisierte er das "J.R. Plaza Archive" und er arbeitete gleichzeitig an einen umfassenden Index assoziierter Wörter, die die Bilddatenbank "spiegeln".