Das Tribunal ist in seine 103. Woche eingetreten. Zwar war von Anfang an ein langwieriger Prozess erwartet worden, aber die Tiefe und Komplexität des gesamten Unterfangens überfordert inzwischen selbst den hier erschöpft Bericht erstattenden Gerichtsreporter. Um es mit den Worten eines unbenannten Stücks Gneis zu sagen: „Wir haben Millionen von Jahren gebraucht, um hierher zu kommen. Dachten Sie nun, wir könnten das innerhalb einer Woche abhandeln?“ Vielleicht war dies die größte Herausforderung, der das Gericht gegenüberstand. Während die Menschheit sich stets bemüht zeigt, der Dimension Zeit eine generelle Sinnhaftigkeit beizumessen, auch über die eigene Existenz hinaus, betrachtet Sedimentgestein die Menschheit als bloßen Ausrutscher. Gase wiederum scheint der Faktor Zeit überhaupt nicht zu tangieren.

So wächst die Unübersichtlichkeit des Streitfalls von Tag zu Tag; sowohl logistisch als auch konzeptionell. In der heutigen Sitzung versuchte der leitende Sonderermittler, ein edel aussehender Glaswürfel, Parameter festzulegen, anhand derer bewertet werden soll, welchen Anteil Beton an der momentanen Erderwärmung trägt. Die Anklage verbrachte einige Zeit damit, ein Kontingent von Treibhausgasen zu befragen. Die Antworten zeichneten ein durchaus ambivalentes Bild der Beziehung zwischen Beton und den Gasen. Glas setzte derweil seine Strategie fort, exakte Rahmenbedingungen für eine gerechte Entscheidung über die jeweilige Verantwortung für die Klimaveränderungen zu definieren. So wurde erklärt, dass vor jeglicher Schuldzuweisung zunächst ein tatsächliches Verständ- nis der Auswirkungen eines jeden einzelnen Materials erarbeitet und die entsprechende Motivlage geklärt werden müsse. Erst dann, so die Argumentation, könne ein endgültiges Urteil gefällt werden.

In einem Aufsehen erregenden Moment lehnte Beton es kategorisch ab, selbst Verantwortung zu übernehmen und erklärte, dass allein der Mensch, der Beton ja geschaffen habe, die alleinige Verantwortung für jedwede Auswirkungen trage. Die Anklage erwiderte: „Wir haben ein System, in dem es kein Äußeres gibt, also kann es keine unbeabsichtigten Konsequenzen geben, es gibt nur Konsequenzen. Und die Aufgabe dieses Tribunals ist es, diese offenzulegen.“

Es gibt noch keine Anzeichen, wann das Gericht zu einer abschließenden Entscheidung gelangen wird. Es steht jedoch außer Frage, dass das Urteil unser Zeitalter prägen wird. Während die letzten Wochen der Verhandlung doch zäh und langatmig waren, verspricht das für den nächsten Dienstag geplante Kreuzverhör von Kohlendioxid, dass die Temperaturen im Sitzungssaal erneut hochkochen werden.

Harry Haddon

Die Galerie Guido W. Baudach freut sich, unter dem Titel attitudes of heat, die dritte Einzelausstellung von Philipp Modersohn mit der Galerie zu präsentieren. Der in Berlin lebende Bildhauer (*1986) hat an verschiedenen Ausstellungen im In- und Ausland teilge- nommen, u.a. an Ich bin ein Riss, ich will durch Wände gehen, Salon Dahlmann, Berlin, 2018; Ausstellen des Ausstellens, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 2017; verbacken & verwittern, Oldenburger Kunstverein, Oldenburg, 2016 (solo); Loose Container, Galerie Karin Guenther, Hamburg, 2015 (solo); Die Punktierung der Sphärenarena, Tiergarten, Berlin, 2014 (solo); Spacerologia, Manitiusa Park, Poznan (2013). Philipp Modersohn zählt zu den Mitbegründern der Intensive Independent International Amateur Academy. Ab Mai 2020 werden seine Arbeiten in der Ausstellung object notes, im Kunstverein Göttingen zu sehen sein.