Der öffentlich-künstlerische Werdegang Frida Orupabos entwickelte sich aus der digitalen Welt der Algorithmen: Sie arbeitet als Sozialarbeiterin für Sexarbeiterinnen und Opfer von Zwangsprostitution als Arthur Jafa vor drei Jahren auf ihren Insta-gram-Account @nemiepeba stößt. Es ist keine bequeme Ästhetik, der sich Orupab-os Feed bedient und die sie 2019 schließlich bis zur Venedig Biennale führen soll, sondern eine unbarmherzige Auseinandersetzung mit omnipräsenten historischen und gleichzeitig gegenwärtigen soziologischen Problematiken: Gender, Rassismus, Post-Kolonialismus, Gewalt, Identität. Seit 2013 sammelt die norwegisch-nigerianische Künstlerin quasi archivarisch authentische, populärmedial verbreitete Bildzeugnisse, darunter fotografische und filmische Aufnahmen kolonialer Gewalt und Frauenbilder. Die bildgebenden Quellen sind facettenreich, sie implizieren ei-nen ewigen Fluss Normen zu etablieren und sie gleichzeitig wieder zu verabschie-den. Orupabo dekodiert diese Ambiguität in ihrem künstlerischen Schaffen und hin-terfragt von Kunstgeschichte, Wissenschaft, Popkultur und Kolonialismus konstru-ierte Existenzbilder, nicht ohne gleichzeitig andere zu evozieren. Sie integriert Fremd- in Selbstbild und widmet sich ihrer eigenen Herkunft genauso wie dem mo-ralisch-ethischen Versagen der Menschheit.

Wir sehen ein Huhn an die Wand des Ausstellungsraums montiert, unabhängig von seinem Lebendigkeitsstatus durch Papierklammern beweglich gemacht. Es ist Sinnbild für Rituale und Nahrung, dem unmittelbaren Bezugssystem der Mensch-heit entnommen, die es seit jeher gewohnt ist, ohne Bedenken Lebensformen zu unterwerfen und für das Eigenwohl zu nutzen. Dieser hierarchische Zwang macht auch vor Angehörigen der eigenen Spezies nicht Halt. Es sind meist solche mono-chromen Arbeiten, denen Frida Orupabo uns in Ausstellungsräumen aussetzt. Der völlige Farbentzug basiert dabei nicht nur auf Farblosigkeit des Archivmaterials o-der ästhetischer Zweckmäßigkeit, sondern wird gezielt eingesetzt, um Grundessen-zen und Intensitäten zu filtern und manipulieren. In einer sechsteiligen Foto-Arbeit lenkt die Künstlerin den Blick von abstrakt anmutenden Mustern aus der Natur hin zur schonungslosen Dokumentation einer Injektion, die im Dialog mit den visuell und geistig milden Abstraktionen noch konkreter erscheint. Wir fühlen uns daran erinnert, dass die Menschheit sich nur scheinbar von der Natur emanzipiert hat, sie immer noch durch Unbezwingbares wie Krankheiten beherrscht. Der humane Be-wältigungsmechanismus für diese Entmächtigung ist seit Anbeginn die Religion: die zwischen Mensch und Natur vermittelnde Frage „jesus?“ erinnert nicht zuletzt an die Zwangschristianisierung in weiten Teilen der Kolonialgebiete.

Neben schwarz/weiß kommt es zu wirkungsträchtigen Farbigkeiten wie einem in-tensiven Rot – eine kompromisslose, aktive Farbe, die sowohl Sujets der Werke als auch die ihnen inhärente Performativität zusätzlich aktiviert. Sie begleitet uns durch den gesamten Raum und führt zur großformatigen Fotografie eines Mannes, ins Negative revidiert. Er lächelt uns mit gezogenem Hut freundlich zu und man kommt nicht umhin sich zu fragen, was wohl seine Geschichte sein mag. Auch ohne Ant-wort fühlt man sich verbunden, erlebt die von Orupabo mehrfach aufgegriffene Su-che nach dem Verhältnis fremder und eigener Identität. Dass dieses Verhältnis in vielen Fällen kein angenehmes ist, zeigt eine am Boden installierte Videoarbeit: Man wird durch die Platzierung gezwungen, auf die dargestellte Gruppe hinabzu-blicken. Diese metaphorische Inszenierung von Perspektive strapaziert das Gewis-sen, man wird als unfreiwilliger Akteur Protagonist einer unausweichlichen Diskri-minierungssituation.

In ihren Werken eröffnet Orupabo quasi unerzählte, doch allgegenwärtige Narrati-ve, die verschiedene Zeit- und Realitätsdimensionen miteinander vereinen. Diese Multidimensionalität basiert nicht nur auf dem angeeigneten Bildmaterial, vielmehr konstituieren Orupabos Arbeiten eine Eigenzeit, die die konsensuelle Wahrneh-mung betrifft. Sie zwingen zum Hinsehen und retournieren dasselbe meist unmiss-verständlich, schreiben sich irreversibel dem Gedächtnis ein und greifen selbst nach dem kollektiven (Un-)Bewussten. Sie lösen unabhängig vom persönlichen soziokulturellen Hintergrund individuell elektrisierende, emotionale Assoziations-ketten aus, deren Summe sich letztlich in den Arbeiten zu einer - dem Internet nicht unähnlichen - unendlichen Rezeptionsplattform zusammenfügt. Frida Orupabos Werk ist ein zeitloses, sich wandelndes, das ephemer Ausstellungsräume, aber permanent Gedankenwelten bespielt.

(Teresa Kamencek, 2020)