Die Industrieländer gehen davon aus, dass in ihren Gesellschaften der Rechtsstaat die Gewaltenteilung, die Achtung der Gesetze, die Menschenrechte und das Privateigentum garantiert, was unter anderem Sicherheit für ausländische Investoren bedeutet.

All dies gilt mit entsprechenden Abstrichen auch für viele Entwicklungsländer, in denen die Gleichheit vor dem Gesetz - zumindest theoretisch - für alle Bürger gilt.

Die Rechtsstaatlichkeit einer Gesellschaft ist gekennzeichnet durch die Achtung einer Rechtsordnung, die aus dem Willen ihrer Bürger ersteht, der frei von jeglichen Hindernissen im Rahmen eines repräsentativen demokratischen Systems, in dem freie, wettbewerbsfähige Wahlen zu gleichen Bedingungen bestehen, ausgedrückt wurde.

Die Vereinten Nationen definieren Rechtsstaatlichkeit als

„Regierungsprinzip, in dem alle Einzelpersonen, Institutionen und Körperschaften, öffentliche und private, einschließlich des Staates selbst, Gesetzen unterworfen sind, die öffentlich verkündet, gleichermaßen durchgesetzt und unabhängig voneinander angewendet werden und die mit den internationalen Menschenrechtsstandards und Grundsätzen vereinbar sind.“

Kein demokratisches Land bezweifelt heutzutage die Wichtigkeit des Rechtsstaates - im Gegenteil, man will ihn auch in Länder durchsetzen, in denen er noch nicht voll entwickelt ist. Hingegen wird im internationalen System, d. h. bei den Vereinten Nationen, wo Abkommen zum Wohl der Menschheit ausgehandelt werden, jedoch wenig in dieser Richtung unternommen. Dies würde es möglich machen, den Aufbau eines soliden rechtlichen Rahmens für den Multilateralismus zu perfektionieren, um eine reale globale Governance zu erreichen, die in der Lage wäre, der Komplexität der Probleme und Bedrohungen, denen wir heute gegenüberstehen, nicht als einzelne Länder sondern als menschliche Spezies zu begegnen.

Dies erfordert natürlich politischen Willen, denn es wäre eine Frage der Übergabe von nationaler Souveränität an ein Gremium, das neu formuliert werden müsste, einschließlich der Befugnisse des Sicherheitsrats und des Generalsekretärs. Eine grundlegende Reform würde dazu beitragen, die Rechtssicherheit der internationalen Gemeinschaft zu erhöhen und die Gleichheit der Staaten zu schützen.

Wir sprechen über den Beginn einer Demokratisierung des derzeitigen internationalen Systems, welches 1945 von den Siegern des Zweiten Weltkriegs in der San Francisco-Konferenz mit einer autoritären Enklave versehen wurde: dem Vetorecht der 5 Großmächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Dies geschah als Reaktion auf einen Moment in der Geschichte, der heute überwunden ist und nicht den aktuellen Herausforderungen entspricht. Diese fünf Länder bilden zusammen mit zehn nichtständigen Mitgliedern, die alle zwei Jahre je nach geographischen Regionen wechseln, den Sicherheitsrat, der für die Gewährleistung von Frieden und Sicherheit in der Welt verantwortlich ist.

Die wahre Macht konzentriert sich auf die oben genannten Länder, wodurch die Ausübung der multilateralen Demokratie durch die Umwandlung in Abmachungen auf eine Art „geschützte multilaterale Demokratie" beschränkt wird. Abstimmungen sind im Rahmen der Generalversammlung unbrauchbar, wo der Grundsatz der Gleichheit der Staaten in ein Land, eine Stimme übersetzt wird. Wenn dieser Wille schließlich der Macht von fünf Staaten unterliegt, reicht es aus, dass einer von denen sich verweigert, um das von der Mehrheit Genehmigte zu annullieren 1.

Zwischen 1946 und 2016 wurde das Veto 236 Mal angewandt, wobei fast die Hälfte der ehemaligen Sowjetunion/Russland und die andere Hälfte den Vereinigten Staaten, Frankreich und dem Vereinigten Königreich entspricht. Die Sowjets konsultierten niemanden, als ihre Panzer in Nachbarländer oder 1979 in Afghanistan einmarschierten. China auch nicht, als es 1979 Vietnam invadierte. Präsident Reagan informierte nicht einmal seine treuesten Verbündeten, als er die kleine karibische Insel Granada im Jahr 1983 besetzte – und noch tat es Bush 1989 mit Panama.

Bei Fällen von Gewaltanwendung wird diese Anomalie am besten deutlich - gemäß der Charta der Vereinten Nationen muss diese nämlich vom Sicherheitsrat genehmigt werden2. Diese Bestimmung wurde 2018 durch die gemeinsamen Bombardements Syriens durch die Vereinigten Staaten, Frankreich und Großbritannien 3 verletzt4. Nach dem Bürgerkrieg in Jugoslawien (1991-1995), bei dem mehr als 100.000 Jugoslawen starben und rund 4 Millionen Menschen vertrieben wurden, kam es zum sogenannten Kosovo-Krieg (1998-1999), der die Fortsetzung des ersten Krieges war. Die Bombardierung der Stadt Belgrad über fast drei Monate durch die NATO-Streitkräfte hinterließ eine erschreckende Balance, die den Tod von drei chinesischen Diplomaten in ihrer eigenen Botschaft beinhaltete. Nach Ansicht von Organisationen wie Amnesty International und nach den Regeln des Völkerrechts stellte die Anwendung von Gewalt durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten einen Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen dar, und ihre Handlungen sind Kriegsverbrechen.

So ist es gelinde gesagt paradox, dass die Europäische Union unsere Zeit in ihren Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags von Rom als „die längste Friedensperiode in der Geschichte Europas" definiert hat.

Zwar kann nicht gesagt werden, dass die Anwendung von Gewalt ohne Zustimmung des Sicherheitsrats eine gewohnheitsmäßige Tatsache ist, es kann jedoch festgehalten werden, dass es in der Praxis keine Konsequenzen oder Sanktionen gibt, wenn eine der fünf Großmächte „die globale Rechtsstaatlichkeit verletzt" und die Regeln der Rechtsordnung der „Verfassung" des internationalen Systems, das uns regiert, ignoriert, da es sich dabei um die Charta der Vereinten Nationen handelt. In Bezug auf die Verwendung des in der Charta verankerten Vetos wurde es in 70 Jahren im Durchschnitt 3,3 Mal pro Jahr eingesetzt. Zwei Generalsekretär der Vereinten Nationen haben ohne Erfolg versucht, den Sicherheitsrat zu reformieren: Kofi Annan und Ban Ki-Moon; der Eckpfeiler der Reform waren das Vetorecht bzw. die gleichberechtigte Aufnahme neuer Mitglieder.

Es wurden zahlreiche Vorschläge zur Entwicklung verschiedener Modelle für die Zusammensetzung des Organismus unterbreitet, welche von Ländern eingereicht werden, die in den exklusiven Club der fünf ständigen aufgenommen werden möchten bzw. die über ausreichende Ressourcen verfügen, wie im Fall von Deutschland, Japan oder Indien. Letzteres ein Land mit Atomwaffen und mehr als einer Milliarde Einwohnern. Zu dieser Liste gehören unter anderem Brasilien, Mexiko, Italien oder Südafrika. Gegenwärtig arbeitet der Sicherheitsrat mit 15 Ländern zusammen, von denen jedes eine Stimme hat und Entscheidungen mit einer Mehrheit von 9 getroffen werden, wenn keine der fünf ständigen Mitglieder Einspruch erhebt.

Wenn die Rechtsstaatlichkeit die Gleichheit in substanzieller Weise widerspiegeln soll, wenn niemand über dem Gesetz steht und wenn jeder Anspruch auf gleichen Schutz und gleiche Leistungen hat5, sollte die internationale Gemeinschaft in gleicher Weise auf einen weltweiten Rechtsstaat zugehen, der eine wahre Regierungsführung in einer zunehmend unsicheren Welt, in der die Waffenproduktion nicht nachlässt, garantiert - im Gegenteil, sie steigt mit der permanenten Gefahr des späteren Einsatzes von Atombomben. Wir können viele Bedrohungen hinzufügen, die das Überleben der menschlichen Spezies und des Planeten bedrohen, wie der durch den Menschen verursachte Klimawandel, die Verschmutzung der Meere und Städte, die Irrationalität der Liberalisierung des internationalen Finanzsystems und der vorherrschenden Konsumkapitalismus, kein Ende.

Die Unsicherheit über die Zukunft nimmt zu, was uns zu einer Umformulierung unserer Lebensweise führen sollte, und dies erfordert eine echte Weltregierung, die unser Überleben sichert. Während heute nicht auszudenken ist, dass die fünf Länder, die das Herrschaftsmonopol der Vereinten Nationen aufrechterhalten, dieses an die Organisation abtreten und sie demokratisieren werden, bleibt nur noch die Zivilgesellschaft und die politischen Bewegungen, die über die Zukunft besorgt sind, zu stärken und zu mobilisieren.

Andere Wege sind nicht in Aussicht, bevor es für alle zu spät ist.

Fußnoten

1 Es gibt hierfür zahlreiche Beispiele; man kann die Male überprüfen, in denen jedes Mitgliedsland des Sicherheitsrats sein Vetorecht ausgeübt hat.
2 Charta der Vereinten Nationen, Kapitel VII.
3 Weitere Informationen hierzu finden Sie in diesem Artikel. Offensichtlicher Verstoß gegen internationales Recht. Wladimir Putin erklärte: "Wenn Washington neue Maßnahmen gegen Damaskus ergreift, wird es ein „unvermeidliches“ Chaos in den internationalen Beziehungen geben“.
4 „19 Länder des westlichen Militärbündnisses begannen ihre Kampagne von den Schiffen in der Adria und von vier Luftstützpunkten in Italien aus. Die NATO lancierte 1.300 Marschflugkörper und mehr als 37.000 Streubomben, von denen 200 Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Nach Schätzungen der serbischen Regierung starben mindestens 2.500 Menschen, darunter 89 Kinder, während der Anschläge (einigen Quellen zufolge betrug die Gesamtzahl der Todesfälle fast 4.000), während mehr als 12.500 Menschen verletzt wurden. Schäden an Wirtschaft und Infrastruktur wurden auf 100 Billionen Dollar geschätzt. Während der Aggression führte die NATO insgesamt 2.300 Luftangriffe auf 995 Installationen im ganzen Land durch, während 1.150 Kampfjets fast 420.000 Raketen abschossen.“ Siehe hier.
5 Louise Arbour. Link.