Als ich das erste Mal als Gewerkschaftsführer der „Cocaleros“ zu einem Treffen nach Spanien reiste, verlangte die Polizei am Flughafen von Madrid, dass ich 500 Dollar zur Bestreitung meines Unterhalts vorweise. Ich erklärte, dass ich noch nie in meinem Leben einen derartigen Geldbetrag gesehen hatte, dass ich eingeladen worden war und dass sie mir bitte einen Dollar für jedes der 500 Jahr gewähren sollten, die ihre Vorfahren uns ausgebeutet haben. Sie ließen mich durch.

(Evo Morales)

Die Geschichte neu schreiben

Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo Morales Ayma, regierte 13 Jahre und 10 Monate lang, bis er am 10. November nach einer angezweifelten Präsidentschaftswahl, in der er nach seiner vierten Wiederwahl getrachtet hatte, auf Ersuchen der Streitkräfte gezwungen war, zurückzutreten und nach Mexiko ins Exil zu gehen. Evo Morales war in den 80er Jahren Gewerkschaftsvertreter der Coca-Bauern, bis er im Jahr 1997 Abgeordneter wurde und schließlich 2006 die Präsidentschaft der Republik in einem Land erreichte, das aus 62% einheimischer Bevölkerung, 28% Mestizen und 10% weißer Bevölkerung besteht.

Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1825 wurde Bolivien von 122 Präsidenten, Militärjuntas oder Diktatoren regiert, was einer Regierungszeit von durchschnittlich eineinhalb Jahren entspricht. Morales war der Präsident, der am längsten an der Macht war, länger noch als der Marschall Andrés de Santa Cruz (1829-1839) oder Víctor Paz Estenssoro, der viermal regierte (1952-1958, 1960-1964; in jenem Jahr wiedergewählt und in einem Militärputsch gestürzt wurde), und dann wieder 1985-1989). Daher ist Evo Morales nicht nur der Präsident, der Bolivien seit mehr als einem Jahrzehnt ununterbrochen regiert, sondern auch die politische Stabilität, das Wirtschaftswachstum und die soziale Gerechtigkeit seiner Einwohner bei weitem am meisten erhöht hat.

Wo viel Licht ist…

In seinen ersten 100 Regierungstagen im Jahr 2006 verstaatlichte Evo Boliviens Bodenschätze, die vom ehemaligen Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada, einem wohlhabenden Geschäftsmann, der seine zweite Präsidentschaft nicht abschloss und mit einem Brief an den Kongress zurücktrat, in Form einer Art Volkskapitalismus privatisiert worden waren. Nach einem katastrophalen Wirtschaftsmanagement suchte er Zuflucht in den Vereinigten Staaten. Nach der Rückgabe der Öl- und Gasvorräte an den bolivianischen Staat, der diese von nun ab kontrollieren werden sollte, erklärte Morales: "Mit der Plünderung der natürlichen Ressourcen Boliviens ist es vorbei". Sein Vizepräsident, Álvaro García Linera, fügte hinzu: "Der Spieß wurde umgedreht - während es vorher die Ölfirmen waren, die 82% der Unternehmensgewinne einsteckten, und dem staatlichen Unternehmen Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos (YPFB) 18% blieben, ist es ab heute umgekehrt.“ Und so war es auch. Dies war eine der grundlegenden Maßnahmen, damit das BIP Boliviens, welches im Jahr 2006 ca. 9 Milliarden US-Dollar erreichte, sich heute auf 40 Milliarden US-Dollar beläuft, was bedeutet, dass das korrigierte Pro-Kopf-Einkommen von 4.778 US-Dollar heute auf über 7000 US-Dollar gestiegen ist.

Dies hat auch die Verringerung der Bresche in der Ungleichheit beeinflusst, die laut Gini-Index von 0,60 auf 0,47 sank. Das gute Management der Steuereinnahmen, gepaart mit dem Boom der Rohstoffpreise, führte dazu, dass die Armut in 13 Jahren von 60% auf 35% und die extreme Armut von 38% auf 15% sank. In dem angegebenen Zeitraum betrug das Wirtschaftswachstum 4,9%, was Analphabetismus, Unterernährung und Kindersterblichkeit reduzierte und eine Ausweitung der Schulbildung und eine umfangreiche Liste von Sozialleistungen für die Mehrheit der Bevölkerung bedeutete. Vor allem hat Morales seinem Volk würde verliehen - den Stolz, ein multinationaler Staat zu sein, in dem 37 Sprachen gesprochen werden, von denen eine Spanisch ist, und das seiner Kleidung und seiner Kulturen in vollem Umfang Rechnung trägt. ..ist auch viel Schatten.

Als Präsident brachte Evo Morales Bolivien schnell mit der bolivarischen Welle des Kommandanten Chavez in Venezuela in Einklang. Er reiste mehrere Male nach Kuba, wo Fidel ihn wie einen Sohn behandelte, näherte sich dem Präsidenten Lula, dem Argentinien der Kirchners, dem Ecuador des Präsidenten Correas, hatte ein gutes Verhältnis zur chilenischen Präsidentin Bachelet, er schloss sein Land an ALBA und MERCOSUR an, finanzierte das 61,7 Mio. USD teure Gebäude, in dem das 2018 eröffnete UNASUR-Parlament untergebracht werden sollte, und reichte vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag eine Klage gegen Chile wegen der Ansprüche Boliviens auf einen Zugang zum Meer ein. Heute ist Bolivien kein Mitglied von ALBA, das UNASUR-Parlament hat aufgrund der politischen Krise der Agentur nie in dem brandneuen Gebäude getagt, und Bolivien hat das Verfahren gegen den chilenischen Staat haushoch verloren. Bolivien wurde mit 2.363.769 km2 ins Leben gerufen und verlor im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in Kriegen und Grenzkonflikten mit seinen fünf Nachbarn mehr als die Hälfte seines Territoriums.

An Peru verloren die Bolivianer 250.000 km2, an Argentinien 170.758, an Brasilien 490.430, an Paraguay 234.000 und an Chile 120.000. Diese Niederlage in einem der Kriege mit Chile ist für das bolivianische Volk am schmerzhaftesten, obwohl sie die geringste Ausdehnung bedeutet, da sie den Verlust seiner Küstenlinie zur Folge hatte. Die Instabilität zusammen mit Machthunger und einer schlechten Politik, die hauptsächlich von der weißen Minderheit ausgeübt wird, die Bolivien regiert hat, sind dafür verantwortlich, dass es immer noch eines der ärmsten Länder in der Region ist. Präsident Morales begann einen Weg, der von seinem eigenen Ehrgeiz, ewig an der Macht bleiben zu wollen, unterbrochen wurde. Er rief im Februar 2016 zu einer Volksabstimmung auf, um die Bolivianer zu befragen, ob er die Verfassung ändern und zum vierten Mal wieder Kandidat sein könne.

Er verlor ganz klar mit 51,3% gegen 48,7%. Danach suchte er eine Lücke, indem er sich an den Obersten Gerichtshof wandte, welcher seine unbefristete Wiederwahl unter Missachtung des Willens des Volkes mit der Begründung genehmigte, dass die Amerikanische Menschenrechtskonvention die politischen Rechte des Menschen über anderen Normen festschreibt. Das war der Beginn des Endes seiner Präsidentschaft. Der frühere Präsident Lula fasste es gut zusammen: "Mein Freund Evo hat einen Fehler gemacht, als er eine vierte Amtszeit als Präsident anstrebte, aber was sie ihm angetan haben, war ein Verbrechen, ein Staatsstreich."

Die Zukunft

In Lateinamerika ist es mehrmals vorgekommen, dass ein verdrängter Präsident, Führer oder Diktator in sein Land zurückkehrt und wieder regiert. Natürlich nicht immer mit guten Ergebnissen. Bolivien, im Herzen Südamerikas gelegen, ist reich an natürlichen Ressourcen und ein Ort der Welt, an dem große internationale Unternehmen ihre Wetten abschließen, wie es heute mit dem bolivianischen Lithium der Fall ist, das eines der größten Reserven der Welt darstellt und das für die Herstellung von elektrischen Batterien lebenswichtig ist. Die Vereinigten Staaten, traditionell der Gendarm der Region, haben nie außer Augen gelassen, was dort vor sich geht, und die derzeitige Regierung von Präsident Trump hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie Chinas Interesse, in die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zu investieren bzw. sich daran zu beteiligen, wie im Fall des Lithiums in Bolivien oder anderen lateinamerikanischen Ländern. In den 60er Jahren wählte der Ché Guevara dieses Land aus, um die Guerilla zu starten, die sich auf dem gesamten Kontinent ausbreiten sollte. Er war davon überzeugt, dass die Bedingungen von Armut und Vernachlässigung sein bester Verbündeter sein würden, um den Befreiungskrieg zu auszudehnen. Wir alle wissen, wie sein revolutionäres Abenteuer endete. Heute muss Bolivien in die Zukunft schauen und darf den von Evo Morales eingeleiteten Weg nicht verlassen. Die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften seiner Regierung werden nicht vergessen, da er zum ersten Mal in seiner Geschichte der Würde jener Menschen Vorrang einräumte, die seit Jahrhunderten missbraucht und gedemütigt werden.

Übersetzung von Anke Kessler.