Eigentlich wollte ich diesen Artikel der besonderen Sequenzen im Roman widmen. Jedoch überlegte ich mehrmals und entschied mich für die außergewöhnlichen Kapitel im Roman. In der deutschen Sprache gibt es Autoren für alle Geschmacksrichtungen. Allerdings wird ja nur einer als nüchtern, elegant, klug und gleichzeitig erstklassig verbleiben: Hermann Hesse. Ein ganzes Hesse Werk zu analysieren, wäre zu viel Aufwand für die wenigen Zeilen, die ich zu Verfügung habe. In diesem Artikel wollte ich mich mit dem Kultroman Der Steppenwolf befassen, allerdings nicht als Einheit, weil es genügend Interpretationen davon gibt. Das Meisterwerk und Bekenntnisbuch wurde mehrmals falsch interpretiert bzw. verurteilt und bei anderen Kritikern sogar deklassiert als sei es extrem surrealistisch und beinhalte eine gewisse Ambivalenz der Hauptfigur.

Da ich mich in dieser Reihe Artikeln mit den Strukturen, Mustern und Besonderheiten des Romans, wie auch mit den Methoden und Fallen des Romanciers beschäftige, werde ich nur das erste Kapitel des Romans kommentieren und untersuchen. Bei der Entstehung einer Geschichte überprüft ein Autor anhand seiner Argumente die beste Form, in den ersten Seiten seine Leser gefesselt zu halten. Dieses tut Hermann Hesse im ersten Kapitel Des Steppenwolfs. Die meisterhaften Seiten des „Vorwort des Herausgebers“ Vorwort des Herausgebers sind einerseits asymmetrisch geschaffen, in dem einen in erster Person geschriebenen Text gelingt eine fast vollkommene Beschreibung der Hauptfigur Harry Haller, ohne dass der Erzähler in der Geschichte wieder auftaucht. Jedoch andererseits sind die Informationen und der Stil von hoher literarischer Qualität, die den Leser in eine logarithmische Gier verwickelt, mehr über die seltsame Figur zu erfahren.

Die Absicht Hesses ist für unsere Analyse ziemlich klar. Durch das asymmetrische Kapitel, in dem der Herausgeber seine Sympathie für den selbsternannten Steppenwolf eingesteht, ist dieser Teil der Geschichte ohnehin mit den späteren Ereignissen verbunden, aber auch ist er eine unabhängige Erzählung, die als solche hätte veröffentlicht werden können. Man spürt, dass diese Unabhängigkeit dem Text die Erlaubnis überträgt, in einer bestimmten Form Auskunft zu vermitteln, in einem exklusiven Raum zu beschreiben, namentlich das Haus und Umgebung der Tante des Herausgebers. Der Text ist so konzipiert, als wäre dieser Erweiterungsbau ein zusätzliches Modul, dessen Eigenschaften seien: Tadellosigkeit und die unzähligen Merkmale Hallers, die in der Einheit als Informationssequenz in weiteren Kapiteln hätte funktionieren können. Allerdings entschied sich Hesse für eine ausgefallene Variante und verpackte die ganze Auskunft sauber und mit Glanz aus einer jungfräulichen Perspektive in einer Art Einleitung. Es ist nicht nur die ausgewählte Struktur, die Hesse sich zu Nutze macht, sondern auch der Beobachter, der in erster Person die Fähigkeiten des Gastes, Herrn Haller, seine Mutmaßungen über ihn und die Kommunikation mit seiner Tante, der Hausbesitzerin, gezielt wiedergibt.

Auch sind andere Details des großartigen Textes hier zu erwähnen. Zum Beispiel die verhüllte Auskunft über die Reise des Steppenwolfs zwingt den Leser aufgrund des mit Transportfirmenschilder beklebten Kabinenkoffers und des Verschweigens bestimmter Details zu erahnen, er sei mehrmals umgezogen oder auf der Welt unterwegs gewesen. Dieser Spannungshöhepunkt ist ein sichtbarer Zweck der Struktur, mit der der Romancier mittels bestimmter Auslassungen, wie die Namen der Transportfirmen und deren Herkunftsländer, die Neugier des Lesers ununterbrochen wachsen lässt. Jedoch gerade die Information, die im Text nicht auftaucht, wird wohl im Laufe der Geschichte rücksichtsvoll behandelt. Was aber der Leser in den weiteren Kapiteln des Steppenwolfs lesen wird, ist nichts anderes als die Entwicklung der Geschichte im freien Fall.

Das erste Kapitel in Hesses Meisterwerk gilt als eigenständiger Teil, der die Vorfälle für die späteren Geschehnisse in der Geschichte benennt. Dank dieser Vorfälle und den verborgenen Auskünften der Hauptfigur baut der Autor die eigentliche Struktur mit einer senkrechten Chronologie - ohne Zeitabwechselungen – welche einfacher innerhalb der komplizierten Persönlichkeit Harry Hallers für den Leser scheint. Wiederrum hinterlässt es für unsere Erforschung weitere Geheimnisse. Es ist nicht nachvollziehbar in welcher Zeit das Manuskript geschrieben wurde; war es schon fertig, als Haller das möblierte Zimmer mietete? Der Gast verbrachte zehn Monate im Haus und man könnte auch diese Zeit mit den Erlebnissen des Steppenwolfs verbinden. Diese Überlegungen verstärken die Fantasie und den Impuls des Lesers, um sich in die Geschichte hineinfallen zu lassen. Somit hat sich die Absicht des asymmetrischen Moduls für den Romancier schon von allein durchgesetzt.